Suchen und Finden

Mit „Die Suche nach Tony Veitch“ ist ein Krimi William McIlvanneys von 1977 erschienen und er enthält bereits alles, was den britischen Krimi von heute kennzeichnet

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines der wichtigsten Spezifika des britischen Krimis neueren Datums ist die enge Verbindung zwischen der legalen und der illegalen Sphäre. Dabei ist nicht nur die enge Durchdringung des Polizeiapparats mit korrupten Beamten oder die der politischen Sphäre mit Politikern gemeint, die sich nicht-legaler Mittel bedienen. Das wären Elemente, die ebenso gut in amerikanischen oder skandinavischen Krimis vorkommen. Auch die Affinität der Oberschicht zum Kriminellen ist kein neues und originär britisches Phänomen.

Dem britischen Krimi eigentümlich hingegen ist, dass die Linien zwischen Kriminalität und Legalität nicht zwischen Gruppen, Vierteln oder Klassen laufen, sondern zum Teil mitten durch die engsten sozialen Verbindungen, die wir gemeinhin etwa Familien nennen. Brüder, Schwager oder beste Freunde – einer von beiden ist Polizist oder auf andere Weise dem bürgerlichen Leben verpflichtet, der andere hingegen hat ein lange Karriere im kriminellen Milieu hinter sich. Das führt – naheliegend – zu Konflikten oder auch nur zu einer informellen Zusammenarbeit, die auf die gegenseitigen Interessen Rücksichten nimmt.

Das zentrale Moment daran ist die Engführung der beiden Sphären, die im Krimi zwar nie völlig getrennt sind, hier jedoch untrennbar und dilemmatisch, jenseits der Rechtssphäre miteinander verbunden werden. Das ist nicht mehr das bekannte Oberfläche-Untergrund-Phänomen, das den Krimi als Genre durchzieht: Die Alltagswelt ist unterlegt mit einer anderen Welt, in der atavistische Kräfte wirken und die in Wirklichkeit das Handeln bestimmen.

Nein, hier geht es viel weiter: Die getrennten Schichten sind ineinander verschränkt, unlösbar, und der Unterschied zwischen legalem und nicht-legalem Handeln verschwindet nahezu. Nur noch ein bisschen und die Legalität wird durch das Illegale aufgesogen, derart kontaminiert ist es bereits.

In einem solchen Gesamtbild sind Akteure, die dem Recht verpflichtet sind (nicht der Gerechtigkeit, die ja selbst zu den atavistischen Kräften gehört), naheliegend auf sich gestellt und genau so hilf- wie wirkungslos. Wogegen sie selbstverständlich beständig angehen.

In William McIlvanneys „Die Suche nach Tony Veitch“ ist dieses Muster bereits voll ausgebildet, wenngleich mit Elementen versetzt, die für die Entstehungszeit typisch sind. Irgendwann liest jemand zum Beispiel ein maschinengeschriebenes Schriftstück – was heute ein bedenklicher Anachronismus wäre. Hinzu kommen einige anarchische Züge der Erzählung, wie sie aus heutigen Krimis verschwunden sind. Sie sind brutaler, aber eben auch stringenter in der Ausführung.

Die Orginalausgabe ist bereits 1977 erschienen, was an solchen Eigenheiten und an den ungelenken, quasi-coolen Sprüchen erkennbar ist. Was das angeht, ist dem Text die Zeit, die seit seiner Entstehung vergangen ist, anzumerken. Auch sein Plot, die Durchführung und die Anlage einiger seiner Figuren atmen noch die alte Luft. Heutige Texte sind nicht immer stringenter, aber deutlicher auf die Irreführung der Leser aus. „Die Suche nach Tony Veitch“ wirkt noch roher und unreifer, dabei eben auch eckiger und mit einer eigenen Tonlage ausgestattet, die heutigen Krimis oft abgeht. Sie weisen einen Mainstreamstil aus, der ihre Autoren ununterscheidbar zu machen droht.

Der Fall hier ist ein wenig abgelegen: Eine Unterweltgröße wird erstochen, ein Berber wird vergiftet, zugleich verschwindet ein junger Mann, Tony Veitch, der aus der schottischen Elite stammt. Bei der Polizei und im Milieu vermutet man, dass dieser Tony Veitch nun der Täter war. Also machen sich beide Seiten auf die Jagd, zum Teil konzertiert, zum Teil unabhängig voneinander.

Dieser Tony Veitch nun wird auf dem Cover als rebellischer Student gekennzeichnet. Eigentlich gehört er als nachgelassene Generation der 68er eher zu denjenigen, die die wesentlichen Fragen stellen und dabei die pragmatischen Themen ein wenig aus den Augen verlieren. Dass das rebellische Milieu Kontakte zum kriminellen pflegt, ist gleichfalls ein Nachhall aus den ereignisreichen 1960er- und 1970er-Jahren, in denen im früher als Subproletariat verachteten Milieu die wahren Feinde des Establishments gesehen wurden. Ein Irrtum, der erst später aufgeklärt werden konnte. Im Genre wenigstens.

Ansonsten finden sich die spezifischen Ausstattungen schottischer Krimis: Es wird viel getrunken, die Männer sind einsam und das Wetter ist schlecht (wenigstens wird’s so empfunden). Man wird also gegen McIlvanney wenig sagen können, außer dass der Text erstaunlich wenig gelitten hat. Aber das ist zugleich ein äußerst defensives Argument, wenn es um einen Unterhaltungsroman geht.

Titelbild

William McIlvanney: Die Suche nach Tony Veitch.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Verlag Antje Kunstmann, München 2015.
316 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783956140228

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