Fragmente einer Sprache der Liebe

Alejandro Zambra skizziert in „Bonsai“ eine Liebesgeschichte en miniature

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem vor drei Jahren bereits Alejandro Zambras Roman „Die Erfindung der Kindheit“, eine Auseinandersetzung mit den Jahren der Pinochet-Diktatur, auf Deutsch erschienen ist, legt der Suhrkamp Verlag nun mit „Bonsai“ das preisgekrönte Debüt des chilenischen Autors nach – eine lakonisch erzählte Liebesgeschichte, die wie so viele klassische Liebesgeschichten tragisch endet. Womit jedoch nicht zu viel verraten wird, denn der Erzähler legt die Karten schon mit dem ersten Satz auf den Tisch: „Sagen wir, sie heißt oder hieß Emilia, und er heißt, hieß und heißt immer noch Julio. Julio und Emilia. Am Ende stirbt Emilia, Julio stirbt nicht. Der Rest ist Literatur: …“

Mit einem Roman, wie der Umschlag etwas irreführend behauptet, hat das Buch im Grunde ebenso wenig zu tun wie der Bonsai mit einem ausgewachsenen Baum. Gerade einmal 90 Seiten dünn, und dazu noch mit etlichen halbbedruckten und leeren Seiten gestreckt, ist „Bonsai“ eher eine Erzählung. Die Handlung ist schnell umrissen: Emilia und Julio lernen sich an der Universität kennen (in einer Lerngruppe für spanische Syntax), verlieben sich ineinander und werden ein Paar, bis die Beziehung zu Ende geht, Emilia Julio verlässt und nach Madrid zieht, wo sie einige Jahre später stirbt und Julio mit seinen Erinnerungen an die verlorene Liebe zurücklässt. Alejandro Zambra geht es ebenso wie in „Die Erfindung der Kindheit“ weniger darum, eine ausgefeilte Geschichte zu erzählen, als um ein filigranes, im Falle von „Bonsai“ aber auch etwas zu verkopftes Spiel mit intertextuellen Bezügen und metafiktionalen Einschüben – in der die Literatur zu einem Hauptthema wird.

Die beiden Hauptfiguren bleiben in den groben Skizzen, die Zambra von ihnen entwirft, eher blass. Das verbindende Element zwischen ihnen ist die Leidenschaft für Bücher. Emilia und Julio sind nicht nur leidenschaftliche Leser – das gegenseitige Vorlesen ist für die Beziehung von geradezu schicksalhafter Bedeutung. Zambra listet einen ganzen Kanon an Autoren –bevorzugt der europäischen und lateinamerikanischen Literaturhistorie – auf, den seine Figuren verschlingen, um etwa das Liebesspiel anzuheizen. Über die aphrodisierende Wirkung hinaus gewinnen einige Romane für das Liebespaar eine unheilverkündende Macht: Die unvollendete Lektüre von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – kein besonders originelles Motiv in einer Geschichte über Erinnerung und Verlust – deutet zugleich auf das nahende Ende der Beziehung hin.

Überhaupt liegt durch den vorweggenommenen Tod Emilias eine Stimmung von Trauer und Ausweglosigkeit über der Geschichte, die bisweilen wie ein böses Omen die Liebenden erfasst. Die düsteren Zeichen lauern versteckt zwischen den Buchdeckeln der Werke, die sich mutmaßlich auf dem Nachttisch der Beiden stapeln. So leitet eine fantastische Erzählung von Macedonio Fernández, die Emilia und Julio tief verstört, zum zentralen Motiv des Bonsai hin: Das Liebesglück eines Paares ist tragisch verknüpft mit dem Wohlergehen einer kleinen Pflanze – sobald die Pflanze stirbt, ist auch die Liebe verloschen. Später wird Julio, nachdem Emilia ihn verlassen und er eine Affäre mit seiner Nachbarin María hatte, an einer Geschichte namens „Bonsai“ über einen verlassenen Mann schreiben, dessen Autorenschaft er wiederum einer anderen Nebenfigur, dem etablierten Schriftsteller Gazmuri, zuschreiben wird.

Das Geflecht an Bezügen und Verknüpfungen, das Zambra in seiner Erzählung ausbreitet, ist durchaus reizvoll, und seine lakonische, stilisierte Sprache nimmt den Leser gefangen und lässt das Interesse am Fortgang der Geschichte nicht abreißen. Bisweilen wirkt das gesamte Konstrukt dann aber doch etwas wacklig und die Symbolik überstrapaziert, etwa wenn Julio all seine Bücher verkauft und zu einem der Welt abgewandten, manischen Bonsaizüchter wird: „Einen Bonsai ziehen ist wie schreiben, denkt Julio. Schreiben ist wie das Ziehen eines Bonsais, denkt Julio.“

Am Ende überzeugt Zambras Debüt weniger durch seine ambitionierten postmodernen Erzählstrategien, die dem Zugang zu den Figuren im Wege stehen, als durch das Gefühl der Leere und Sprachlosigkeit, die der Autor mit sparsamen Worten immer wieder zu erzeugen vermag. Auch wenn Roland Barthes sich nicht unter den vielen Autoren befindet, denen Zambra gewissermaßen per Namedropping Reminiszenz erweist, schwebt sein Diktum über den Diskurs der Liebe, der von extremer Einsamkeit geprägt sei, doch spürbar über der Erzählung. Die „Abwesenheit des Anderen“, von der Barthes in Fragmente einer Sprache der Liebe erzählt, beschreibt letztlich den Mangel, den Zambras Protagonist nicht zu kompensieren vermag und der aus „Bonsai“, seinen Schwächen zum Trotz, ein durchaus berührendes Werk macht.

Titelbild

Alejandro Zambra: Bonsai. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
93 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518424803

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