Mehrwertverlust

Den „Liebesliedern“ von Markus Berges fehlt die Musik der „Erdmöbel“

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Gunter Buskies und Dirk Darmstaedter – den etwas Älteren noch bekannt als Frontmann von The Jeremy Days – 2002 in Hamburg ihr Label Tapete Records gründeten, brachten sie damit eine zweite neue deutsche Welle ins musikalische Rollen. Bald schon versammelten sich Independent-Bands wie Tele, Kettcar, Fehlfarben und Erdmöbel unter dem geschwungenen Logo des Labels, das alle noch etwas Älteren wohlig an die psychedelischen Wohn- und Kinderzimmertapeten ihrer Jugend erinnern dürfte. Zugegeben: irgendwie mag einen diese Musik immer an die Abschlussparty einer Kunsthochschule erinnern; das Schöne daran: das macht nichts. Ganz im Gegenteil. Der öffentlich-rechtlichen Zwangsbeglückung mit durchgestylter Herz-Schmerz-Einheits-Schlagerseeligkeit setzen diese Bands eigenwillig freche Texte, überraschende Melodien und zuweilen auch stimmlich – sagen wir – sehr individuelle Talente entgegen.

Obgleich sich etwa eine Band wie die Erdmöbel in ihrer jetzigen Form schon vor fast 20 Jahren formierte, wirkt ihre Musik dadurch jedoch noch immer frisch. Irgendwie nie so ganz ernst gemeint, vermag sie es dennoch, einen nach wie vor in ihren auditiven Bann zu ziehen. Letzteres ist fraglos auch den Texten von Markus Berges geschuldet. Da verwundert es nicht, dass im Rahmen der von Walter Gödden im Aisthesis-Verlag herausgegebenen Reihe „Neue westfälische Literatur“ nun unlängst den Liedtexten Bergesʼ ein eigener Band gewidmet wurde. In den Augen vieler Fans eine sicherlich schon längst überfällige Würdigung der lyrischen Qualitäten seiner Texte.

Zusammen mit einer sogenannten „Fotosammlung“ von Martina Göken, bestehend aus einer Reihe von photos trouvées, auf denen man ein Ehepaar an unterschiedlichsten Urlaubsorten sehen kann – bezeichnenderweise jedoch kaum jemals beide auf demselben Bild –, sind hier 37 der „liebeslieder“ Bergesʼ versammelt. Von „dreierbahn“ aus dem Jahr 1996 bis zu „jede nacht (shenzhen oder guangzhou)“, das 2013 erstmals veröffentlicht wurde, reicht dabei das (historische) Spektrum. Die lyrischen Qualitäten dieser Texte hinterfragen zu wollen, wäre fraglos ein Sakrileg; zu hinterfragen, inwiefern sie jedoch per se auch als Gedichte firmieren können, mag vielleicht erlaubt sein. Man nehme als Beispiel etwa die erste Strophe des besagten „dreierbahn“ – ebenso wie auch alle anderen Texte der Sammlung präsentiert er sich in konsequenter Kleinschreibung:

wunderbar hier wieder
ein mal und nie wieder
dreierbahn
und das alles für die hälfte
und jetzt rückwärts
dreierbahn
ein letztes mal
süße, komm wir fahren
süße, komm wir fahren
dreierbahn
[…]

Als Beginn eines Gedichts vermögen diese Zeilen den Leser unter Umständen nur in begrenztem Maße zu enthusiasmieren – ein Eindruck, der spätestens dann begreiflich wird, wenn man sich als Kontrast dazu das auf dem Album Das Ende der Diät (1996) veröffentlichte Lied anhört: Sich bald ins Wummern steigernde, schnelle Synthesizer-Rhythmen und Bergesʼ wunderbar quäkende Stimme, die hier noch zusätzlich elektronisch verzerrt wird, sorgen dafür, dass man bald – ob man dies will oder nicht – beginnen wird, mit dem Fuß zum Takt zu wippen. Eine Reaktion, die der Text allein auszulösen kaum in der Lage sein wird. Man lese etwa auch Zeilen wie „und es liegt schnee / sie singt stapfend sachen wie / if you are feeling fancy free“ aus „in den schuhen von audrey hepburn“ (2003) und höre sich dann selbiges Lied aus Altes Gasthaus Love an, um festzustellen, wie eng die Texte von Berges mit der Musik verbunden sind – und wie sehr sie einander bedingen.

In seiner begeisterten Besprechung der 2011 erschienenen CD Retrospektive schwärmt Eric Pfeil von der Erdmöbel-Musik, die ihm „bald wie kölscher Bossa Nova, bald wie niederrheinischer Westcoast-Pop, im einen Moment wie französischer Dub, im anderen wie Lounge-Musik für Kunstausstellungen, mal wie Housemusik zum Nichttanzen, mal wie Rockmusik zum Tanzen“ erscheine – und es ist just diese Musik der Erdmöbel, die den gedruckten Texten fehlt, damit sie ihr volles Potenzial entfalten können. Ein echter Mehrwertsverlust, der sich leicht dadurch umgehen lässt, dass man zu besagter CD greift – diese enthält auch ein Beiheft mit allen Liedtexten.

Kein Bild

Markus Berges: Liebeslieder.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2014.
98 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783895289163

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