Mit Worten fliegen und mit der Phantasie zeichnen lernen

Teresa Präauer schickt ihre Leser auf ‚literarische Höhenflüge‘

Von Julia GördesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Gördes

Brave Höllengreiflinge und zutrauliche Astgabler; fliegende Großväter, Vogel-Ziehmütter in bohnenförmigen Fluggeräten und Kinder in eigenwilligen Flugkostümen – lauter seltsame Flugobjekte bevölkern die Bücher von Teresa Präauer. Das 2009 erschienene Taubenbriefe von Stummen und anderer Vögel Küken beherbergt 15 Vogel-Zeichnungen, die mehr der Fantasie als einem Ornithologielexikon entspringen, und stellt ihnen jeweils 15 poetische Kurztexte an die Seite. 2010 illustrierte Präauer zudem das Kinderbuch Die Gans im Gegenteil von Wolf Haas. In ihrem Prosadebüt Für den Herrscher aus Übersee (2012), das im gleichen Jahr mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, arbeitet die Österreicherin – so scheint es – weiter daran, diese (beinahe) symbiotische Vereinigung von Schreiben und Fliegen zu vertiefen:

„Ich bin mit dem Schreiben nicht nachgekommen, da hab ich mich ins Fluggerät gesetzt und bin losgeflogen.“ lautet das vorangestellte Motto des Romans, in dem nun wirklich alles zu fliegen scheint: Eine Gänsenärrin führt ihre Zöglinge ins Winterquartier, zwei Geschwister absolvieren Flug-und Leseübungen am Boden, der Großvater, einst selbst Pilot, fabuliert von einer japanischen Bruchpilotin – eine Exotin; sie trägt Vögel im Haar und, wann immer sie spricht, scheinen Blüten aus ihrem Mund zu wachsen. Während sich die Figuren darin üben, vom Boden abzuheben, stößt auch die Sprache selbst in immer luftigere Höhen vor. Leicht, befreit von unnötigem Wortballast wird eine eigenwillige Welt gezeichnet – mal aus der Vogelperspektive, mal in fabulierende Bilder gekleidet, die dem Leser ungewohnte Perspektiven eröffnen.

Die Kraft der Imagination spielt in Präauers Texten ohnehin eine wesentliche Rolle. „Ich stelle mir vor, wie ich als junger Bub auf dem Land lebe“ beginnt die Erzählstimme ihres jüngsten Romans Johnny und Jean (2014). Die Phantasie stellt ein narratives Leitmotiv dar, das die Konstruktion von Wirklichkeit durch Literatur, ja durch Kunst im Allgemeinen explizit thematisiert. Mehr noch, die Erzählungen des Protagonisten werden selbst als Fiktion entlarvt, die Grenzen zwischen ‚Realität‘ und Imagination verschwimmen. Ist alles bloß erdacht oder ist die behauptete Außenwelt wirklich? Gibt es Jean und die gemeinsamen Pastis-Abende, ist Johnnys Nacht mit Louise real oder ist gar die gesamte Handlung bloß ein Produkt der Fantasie des erzählenden Ichs? Präauer begreift und inszeniert Literatur letztlich als einen Möglichkeitsraum, in dem die Grenzen und Gesetze der extradiegetischen Wirklichkeit aufgelöst und alternative Realitäten erprobt werden können. Diesen hält sie für den Rezipienten bewusst offen und bietet ihm damit einen Ausweg aus der ‚Alternativlosigkeit‘ des Alltags.

Zentral für Präauers literarisches Werk ist zudem die enge Verknüpfung von Literatur und bildender Kunst. 1979 in Linz geboren, hat sie in Berlin, Salzburg und Wien Germanistik und Malerei studiert. Dies hat wesentlichen Einfluss auf ihr künstlerisches Schaffen. Zunächst vorwiegend der bildenden Kunst zugewandt, ist sie letztlich per „Sonderflug“, wie sie selbst sagt, in der Literatur angekommen. Hier verknüpft sie Illustrationsarbeiten mit literarischem Schreiben. Auch den Einband ihres jüngsten Romans hat sie selbst gestaltet. Mehr noch: Mit Johnny und Jean hat sie einen Künstlerroman geschaffen, der die enge Verbindung von Literatur und bildender Kunst fortsetzt und sogar potenziert. Der Roman ist nicht nur eine Satire auf den Kunstbetrieb und ein Zwiegespräch über die Kunstgeschichte, die erzählte Wirklichkeit, die Figuren werden dabei selbst zu Kunstikonen. Das Erzähl-Ich Johnny ist dem Bildnis des Künstlers als junger Mann (James Joyce) nachempfunden, seine Mitbewohnerin Valérie oszilliert zwischen einer Cranach-Venus und Kiki Smiths Wolf Girl und Jean wird letztlich zum Boy hidden in a fish, einer Zeichnung von David Hockney. Präauer bedient sich hier der Stop-Motion-Art, die im Found-Footage-Verfahren u.a. Werke der bildenden Kunst und Bilder, welche die Imagination erzeugt, zusammenfügt.

Teresa Präauer wird als Hoffnungsträgerin der deutschsprachigen Literatur gehandelt. Neben dem aspekte-Literaturpreis u.a. auch mit dem Droste-Förderpreis der Stadt Meersburg und dem Hölderlin-Förderpreis (beide 2015) ausgezeichnet sowie im Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, liest sie jetzt auf Einladung von Hubert Winkels in Klagenfurt. Nun gilt erst einmal die Ungewissheit, mit welcher Präauer auch in ihrer Prosa zu spielen weiß, auszuhalten: Denn aus welchem Text sie liest, wird sich – wie bei allen Teilnehmern – frühestens am 2., spätestens jedoch am 4. Juli herausstellen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen