Das Aberland im Alpenland

Gertraud Klemms jüngster Roman glänzt mit sarkastischem Witz

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was befähigt eigentlich das kleine Alpenland Österreich dazu, in steter Regelmäßigkeit so viele großartige Schriftstellerinnen hervorzubringen? Christine Lavant etwa, Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek oder Marlene Streeruwitz. Vermutlich findet man die Antwort in den Romanen der Autorinnen selbst, die ja zumeist in eben diesem ihrem Heimatland handeln. Eine junge Autorin, Gertraud Klemm, könnte sich womöglich als bislang Jüngste in diese Liste bedeutender Schriftstellerinnen einreihen. Ein Anfang zumindest ist gemacht. Nach „Mutter auf Papier“ (2010) und „Herzmilch“ (2014) hat sie nun mit „Aberland“ ihren dritten Roman vorgelegt.

Dieses Aberland liegt dort, wo nicht nur Land und Männer, sondern auch die Frauen sich selbst viele tausend kleine ‚Abers‘ in den Weg zu Emanzipation, Glück und Karriere legen. Abers, die nicht einmal ausgesprochen, kaum gedacht werden müssen. Die Männer des Aberlands wiederum erscheinen beim Kennenlernen in einer Lesung zwar vielleicht noch als charmante und weltgewandte Künstler, erweisen sich jedoch spätestens nach dem ersten Geschlechtsverkehr als armselige Gesellen, von denen die Frauen trotz dieser Tatsache weder loskommen noch dies überhaupt wollen. Im österreichischen Teil dieses weit über die Alpenrepublik hinausreichenden Landes fristen Elisabeth, die Mutter, und Franziska, die Tochter, ihr recht glückloses Dasein. Dabei sind sie gegenüber anderen Frauen wie beispielsweise Kassiererinnen in Supermärkten oder Fließbandarbeiterinnen und Rentnerinnen, die ihre allzu karge Rente etwas aufbessern, indem sie Werbezeitungen austragen oder Flaschen einsammeln, durchaus privilegiert. Solche Leute aber kommen in der Welt des Aberlandes gar nicht vor.

Auch Franziska, die Tochter, ist selbst schon Mutter eines kleinen Sohnes, der ein, zwei Jahre alt sein dürfte. So beginnt Klemms Roman denn auch nicht zufällig am Muttertag, diesem einen Tag im Jahr, der viel zu kurz ist, um ein wenig davon wieder einzufangen, was mit der Mutterschaft tagaus, tagein verloren geht. Tatsächlich aber ist es sogar noch viel ärger, denn die Verluste bündeln sich an diesem Tag wie das Licht in einem Brennglas.

Die Unzulänglichkeiten ihres Mannes Tom, nicht nur als Feierabend-Vater, sondern schon als Muttertags-Hausmann, sind eines von Franziskas zahlreichen Argumenten gegen ein zweites Kind, das er so nachdrücklich und wenn es sein muss auch mal mit weinerlichem Blick verlangt. Kinder aber, so weiß Franziska aufgrund einschlägiger Erfahrungen, „schieben sich wie Wale zwischen das Leben vor und nach ihrem Auftreten, so wie sie sich zwischen Mutter und Vater quetschen, das Bett einnehmen, Zeit, Kraft und Lust verschlingen und den Eltern im Schlaf auch noch ins Gesicht treten“.  

Doch nicht nur zwischen die Geschlechter im elterlichen Ehebett drängen sich die Kinder, sondern auch zwischen die Mütter und ihre Dissertationsprojekte. So hat Franziska, die einst zu Forschungszwecken in die Antarktis reiste, ihre Promotionsarbeit als Meeresbiologin gleich zu Beginn ihrer Schwangerschaft „reflexartig“ auf Eis gelegt, wo sie nun über die Jahre hinweg langsam einfriert. Denn nach Schwangerschaft und Niederkunft hat „sich die Mutterschaft mit ihrem behäbigen Arsch auf Franziskas Zeitmanagement niedergelassen“. Da braucht sie nun wirklich nicht noch einen zweiten nervtötenden Balg. Zudem graust Franziska schon alleine davor, die „traumatische körperliche Veränderung“, die eine Schwangerschaft so mit sich bringt, ein weiteres Mal erleiden zu sollen. „Warum“, klagt sie, kann man diesen vermeintlich natürlichen Fluch des Frauendaseins „nicht längst auslagern“. Tatsächlich haben Feministinnen wie Shulamith Firestone und Marge Piercy genau das bereits zur Zeit der zweiten Frauenbewegung in ihren politischen Essays und Utopien als bedeutenden emanzipatorischen Schritt propagiert.

Doch auch ohne schwanger zu sein, fühlt sich Franziska ihres eigenen Körpers enteignet. Denn „es ist schon lange nicht mehr ihr Körper, es ist jedermanns Luststätte, Labstätte, Raststätte, Brutraum“. Jedermann, das sind erkenntlich – je nach dem – Sohn und Gatte. Und dann für eine Weile ein Mitsechziger, dem „die noch unbegrenzten Weiten des Patriarchats“ ins Gesicht geschrieben stehen. Von ihm lässt sich Franziska gelegentlich „in die Vergangenheit zurückkopulieren“. Der alte Mann aber verliert schon bald das sexuelle Interesse an der dreißig Jahre jüngeren Frau. Überhaupt ist bei Franziska, ebenso wie bei ihrer Mutter, oft von Sex die Rede. Dabei hat der, wie zumindest letztere weiß, „noch nie etwas besser gemacht“.

Elisabeth, die selbst auf andere Frauen ihres Alters als zu dick herabblickt, wird von Franziska ihrerseits als „pummelig“ und „komplexbeladen“ wahrgenommen. Ihren Vater hält die Tochter wiederum für „notorisch polygam“. Mit beidem liegt sie zweifellos nicht so ganz falsch.

Franziskas Mutter, betucht genug, sich schon einmal ein Designerkleid für 1.349 Euro leisten zu können, geht nun aber langsam auf das sechzigste Jahr zu und befindet sich somit in dem Alter, in dem die Frauen – im Roman zumindest – sich am Strand bräunen und vor einander „ein Stück mehr oder weniger belanglose Familiengeschichte“ ausbreiten, etwa über die Krankheiten ihrer Männer, oder darüber, was ihre Kinder „beruflich oder familiär leisten“. Sie selbst hält sich zwar noch immer für einigermaßen fit, ist aber natürlich trotzdem der ihres Alters gemäßen „langsame[n] Entsaftung“ und „Auflösung alles Elastischen“ erlegen. Dabei möchte sie doch jung und attraktiv wirken. Aus diesen und anderen Gründen hat sie sich einen zuweilen zynischen Panzer zugelegt, mit dem sie „das Leid um sich herumleitet, es hinter sich abfließen lässt“.

Zudem hängt sie noch immer denkbar konventionellen Geschlechterrollen an, die vielleicht nicht einmal in ihrer Jugend richtig angesagt waren. So störte sie sich schon früh an der Intellektualität und der Strebsamkeit ihrer damals noch jugendlichen Tochter. Doch „ein Mann und ein Kind“, so hoffte sie, „würden ihr die Ernsthaftigkeit und den Ehrgeiz schon austreiben“. So ganz hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Zeit- und kraftraubend aber sind die Herren des anderen Geschlechts allemal. Franziska wiederum huldigt allerlei biologistischen Geschlechterklischees, die einer Intellektuellen eigentlich fremd sein müssten, selbst dann, wenn sie eine Biologin ist, die vielleicht doch noch einmal ihre Dissertation vollenden wird. Jedenfalls weiß Franziska schon heute, was dann in der Danksagung der Druckfassung stehen wird: „Ich danke mir und ausschließlich mir, dass dieses Studium entgegen aller Widrigkeiten fertig geworden ist.“ Sollte es tatsächlich einmal so weit kommen, wird sie damit so Unrecht nicht haben. Die Chancen dazu stehen inzwischen nicht einmal schlecht. Bereitet sie sich doch nach längerem Stillstand nun auf das Rigorosum vor.

Klemms Roman sprüht mit seinen ebenso originellen wie maliziösen Wendungen vor galligem Witz, der allerdings keineswegs gute Laune verbreitet, weiß man doch, dass selbst ihre bitterbösesten Sentenzen schlicht und einfach ins Rabenschwarze treffen. Auch dies ist einer der Gründe, warum die Lektüre des Buches künftigen Müttern und solchen, die es werden wollen, zur vorherigen Lektüre zu empfehlen ist – und nicht nur ihnen.

Titelbild

Gertraud Klemm: Aberland. Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2015.
184 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783854209638

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