Paddys Coup

Aus dem Nachlass – Patrick Leigh Fermors „Die Entführung des Generals“

Von Almut VierhufeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Vierhufe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Patrick Leigh Fermor (1915 – 2011) ist schon lange kein Geheimtipp mehr, im deutschsprachigen Leseraum wird er jedoch bedauerlicherweise noch zu wenig zur Kenntnis genommen. Frühe Übersetzungen seiner Werke sind heute nur noch antiquarisch greifbar. Seit kurzem jedoch erscheinen sukzessive im Züricher Doerlemann Verlag Fermors Reisebücher und andere seiner Werke, von denen allen voran die Schilderungen seiner (ja tatsächlich:) Wanderungen von Holland bis Konstantinopel in den frühen 1930er-Jahren genannt werden müssen.

Fermor, in Geisteshaltung und Bildung, in Wahrnehmung und Urteil ein wahrer Kosmopolit und, wie allein sein Prosa-Stil beweist, das Paradebeispiel eines hochgebildeten britischen Gentleman, war jedoch zuallererst Philhellene, lebte jahrelang in Griechenland, sprach die Landessprache perfekt, fühlte sich Land, Menschen und Mentalität Zeit seines Lebens zutiefst verbunden, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil er im Zweiten Weltkrieg als britischer Major des Geheimdienstes auf Kreta nur mithilfe der griechischen Partisanen und der Einheimischen einen empfindlichen Schlag gegen die nationalsozialistische Besatzung ausführen konnte: Als „Husarenstück“ wird die Entführung des deutschen Generals Heinrich Kreipe stets bezeichnet. Diese Etikettierung mag Mantel- und Degen-Filmhandlungen evozieren, bei Fermors geheimer Aktion darf jedoch nicht vergessen werden, dass alle Beteiligten ihr Leben aufs Spiel setzten: Griechenland, auch Kreta, standen ab Frühjahr/Sommer 1941 unter deutscher Besatzung und waren dem nationalsozialistischen Terrorregime mit allen Konsequenzen ausgeliefert, die erst jüngst wieder durch die Diskussion über Reparationszahlungen in das Bewusstsein der (auch internationalen) Öffentlichkeit rückten.

Wer Fermors Stil kennt, weiß, dass man sich auf ihn einlassen muss – Fermor liest man nicht einfach nebenbei. Sein Werk braucht Zeit, Muße, Ruhe, die dann jedoch mit großem Lesegenuss belohnt werden: Akribisch, detailliert und mit einer Vielzahl von historischen Exkursen zeichnet Fermor seine Reisen nach. Berühmt sind seine Landschaftsbeschreibungen, geradezu zärtlich zu nennen sind seine von großer Sympathie gezeichneten Charakterisierungen der einheimischen Bevölkerung, der Gastfreundschaft und des alltäglichen Lebens.

Die waghalsige Aktion im Sommer 1944 ist tatsächlich ein „Coup“ in wörtlicher Bedeutung: ein kühnes und erfolgreiches Unternehmen. Fermors Die Entführung des Generals ist betont undramatisch, unprätentiös, uneitel, ohne Pathos, zum Teil sogar, soweit es die Umstände zulassen, humorvoll und nicht ohne Witz und britisches Understatement. So erwähnt er beiläufig, dass des Generals größte Sorge nach dem Überfall gewesen sei, sein „Ritterkreuz“ verloren zu haben. An Ernst Lubitschs Film „Sein oder Nichtsein“ gar erinnern die Tarnungen der Briten und Kreter, wenn sie, um den Feind zu täuschen, verkleidet in deutsche Uniformen, deutsche Parolen, Worte, sogar Lieder wie „Lili Marleen“ oder das  „Horst-Wessel-Lied“ skandieren, brüllen, singen. Die Entführung selbst dauert, so Fermor, nur exakt siebzig Sekunden, die weitere Ausführung des Plans jedoch wesentlich länger, da Kreipe von seinen Entführern über das Ida-Gebirge an die Südwestküste Kretas gebracht werden muss, um von dort aus als „offizieller Kriegsgefangener“ nach Kairo verschifft zu werden.

Die Planungen waren minutiös, aufwendig, vor allem aber umsichtig: Es sollte (so unwahrscheinlich dies für diese Zeit und die Situation klingt) ein möglichst „unblutiges“ Unternehmen sein, nicht etwa aus Rücksicht auf die deutschen Militärs und Besatzer, sondern in der Hoffnung, dadurch grausamste Vergeltungsmaßnahmen der Nazis gegen die Zivilbevölkerung zu verhindern, von denen der Autor auch berichtet: Fermor verfasst einen Brief, der im Wagen des Generals nach seiner Entführung hinterlegt wird, in dem er nachdrücklich betont, das Kommando der Aktion habe allein unter britischer Verantwortung gestanden und habe ohne jede Hilfe kretischer Partisanen und Einwohner stattgefunden – mit äußerst höflicher, an Ironie jedoch kaum zu überbietender Grußfloskel an die  „Werte[n] Herren“: „Auf baldiges Wiedersehen!“

Tatsächlich berichtet Fermor wiederholt, dass das Vorhaben ohne die Partisanen und ohne kretische Zivilisten, die für Verpflegung, Verstecke und Irreführung des Feindes sorgten, überhaupt nicht hätte ausgeführt werden können. Die Reaktionen der Kreter nach Bekanntwerden der Entführung ist ein Musterbeispiel an (Galgen-)Humor und Gelassenheit: „Was müsse Hitler toben“ war die genussvolle Vorstellung, und bei aller Furcht vor Rache herrschten Spott und Schadenfreude über die Demütigung des Feindes vor. Die gelungene Entführung zeitigte die intendierten Wirkungen: Die (zumindest) moralische Schwächung des Feindes und die Stärkung der griechischen Widerstandskraft.

Die Edition ist vorbildlich. Neben Fermors 1966/67 verfasstem Text über die Entführung und seinen insgesamt neun Kriegsberichten aus Kreta (1942 – 1945) enthält der Band zeitgenössische Fotografien, Karten der Entführungsroute, ein einführendes Vorwort, das über die „Geschichte“ des Manuskripts informiert, sowie ein Glossar der Pseudonyme. Die Entführung des Generals ist kein typischer Fermor – wer den Autor und sein Hellas jedoch kennenlernen möchte, sollte mit diesem Buch beginnen.

Titelbild

Patrick Leigh Fermor: Die Entführung des Generals.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allie und Gabriele Kempf-Allie.
Dörlemann Verlag, Zürich 2015.
302 Seiten, 23,90 EUR.
ISBN-13: 9783038200178

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