Unzeitgemäß und aktuell

Zur Neuedition von Achim von Arnims „Zeitung für Einsiedler“

Von Urs BüttnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Urs Büttner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem „Athenäum“ oder der „Europa“ gleichrangig, stellt die „Zeitung für Einsiedler“ eines der wichtigsten romantischen Zeitschriftenprojekte dar. Zu ihren Beiträgern zählten einige der Zentralgestalten der Romantik wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, Joseph Görres, Friedrich de la Motte-Fouqué, die Brüder Grimm, Friedrich Hölderlin, die Brüder Schlegel und Ludwig Tieck. Der ursprüngliche Plan der 1808 in Heidelberg erschienenen und redaktionell von Achim von Arnim verantworteten Zeitung war, sich jeglicher Aktualität zu enthalten und den von Napoleon besetzten deutschen Landen eine Zeitung aus dem imaginären Mittelalter anzubieten: „Nichts modernes, nichts Gelehrtes, nichts Getändeltes, nichts Bekanntes, nichts Langweiliges“. Das Zitat Brentanos umreißt dabei sehr schön den Inhalt der Publikation. Mit Übersetzungen aus anderen Sprachen und alten Texten aus der Zeit der kulturellen Blütephase der deutschen Literatur sollte die Zeitung einer kulturellen Erneuerung vorarbeiten, die langfristig auf die Wiederauferstehung und Einigung der deutschen Nation zielte. Diese kulturpolitischen Pläne schlugen sich in der Zeitung in zum Teil recht bekannt gewordenen Texten nieder. Darin findet sich unter anderem die Fußnote, die Anlass für die breite Diskussion mit den Brüdern Grimm um ‚Natur-‘und ‚Kunstpoesie‘ gab, genauso wie der Erstdruck von Philipp Otto Runges Märchen „Mahandel Boom“, das in Grimms Sammlung große Popularität erlangte. So unzeitgemäß wie ursprünglich beabsichtigt blieb die Zeitung aber nicht. Sie wurde auch zum Schauplatz der poetischen Invektiven und Satiren im Literaturstreit mit dem Klassizisten Johann Heinrich Voß.

Die „Zeitung für Einsiedler“ ist jetzt im Rahmen der historisch-kritischen Weimarer Arnim Ausgabe (WAA) in einer Neuedition erschienen. Die Edition bietet nicht nur Arnims Beiträge, sondern alle publizierten Artikel. Die Entscheidung, auch Texte anderer Autoren in einer Arnim-Werksausgabe zu drucken, ist insofern konsequent, als sie die Redaktionstätigkeit als Teil seiner Poetik ernst nimmt. Arnim hat mit der Entscheidung für ein nicht allein verfasstes Sammelmedium, wie es eine Zeitung darstellt, nicht nur bestimmte Absichten verfolgt, sondern hat der Publikation mit der Auswahl und teilweise deutlichen Eingriffen in die Artikel ihr spezifisches Gepräge gegeben.

Die von Renate Moering besorgte Edition besteht aus zwei voluminösen Bänden, wovon der erste den Text und der zweite einen Kommentar enthält. Der Text der Zeitung war bisher in mehreren photomechanischen Reprints greifbar. Die vorliegende Edition unterscheidet sich von diesen Ausgaben zunächst dadurch, dass sie das zweispaltige Layout der Zeitung nur einspaltig wiedergibt. Die WAA vermerkt die Spaltenwechsel allerdings im Text. Dieses Verfahren ist etwas gewöhnungsbedürftig, besonders bei den Motti, die sich unter dem quer über zwei Spaltenbreiten laufenden Zeitungskopf finden. Dennoch bleibt das Spiel der Zeitung mit Medialität, Intertextualität und wechselseitiger Supplementierung der Texte, die einen integralen Bestandteil der Herausgeberpoetik Arnims bilden, gut nachvollziehbar. So ist positiv zu vermerken, dass etwa Fußnotenkommentierungen auch als solche unter dem Text wiedergegeben und nicht in den Anhang verschoben werden, wie dies teilweise in der älteren, beim Deutschen Klassiker Verlag erschienenen, sechsbändigen Arnim-Werksausgabe geschehen ist. Die WAA druckt das Inhaltsverzeichnis der Einzelausgaben wie im Erstdruck jeweils am Ende; bisherige Reprints stellten es den Heften voran. Die Bildreproduktionen erscheinen in der WAA in besserer Qualität und höherer Auflösung als früher. Trotz der Anpassungen an die Layoutrichtlinien der Arnim-Werksausgabe bleibt der Leseeindruck des Erstdrucks weitgehend erhalten oder lässt sich zumindest einfach rekonstruieren.

Die WAA-Edition gibt den Textstand des Erstdrucks genau wieder. Dabei korrigiert sie im Abgleich mit Vorlagen vorsichtig eine Fülle an offensichtlichen Druckfehlern, was im Kommentarband genau dokumentiert wird. Zusätzlich zum Text der Zeitung bietet die Edition Arnims Vorankündigung und rund ein Dutzend Texte Arnims aus dem Nachlass, die für die Zeitung geschrieben, letztlich aber nicht publiziert wurden.

Der größte Gewinn ist aber der Kommentarband. Auf rund 100 Seiten rekonstruiert Renate Moering genau die Genese und den Wandel des Projekts. Dabei zitiert sie oftmals ausführlich aus bisher nicht edierten Briefen und anderen schwer zugänglichen historischen Zeugnissen. Der Einzelkommentar zu den Beiträgen erläutert eine Vielzahl zeitgeschichtlicher und kulturhistorischer Zusammenhänge. Dabei liefert er häufig neue Einsichten in die Entstehungsbedingungen und korrigiert Fehlzuordnungen im Bezug auf die literaturpolitischen Absichten. Überdies werden viele der Quellen für Übersetzungen wiedergegeben. Den Band beschließen Kurzbiographien der Beiträger und ein Register.

Die Edition der „Zeitung für Einsiedler“ im Rahmen der Weimarer Arnim-Ausgabe erweist sich als durchweg gelungen. Sie wird mit ihrem gesicherten Textstand und dem ausführlichen Kommentar die Grundlage für jede weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Zentraldokument der Heidelberger Romantik bilden.

Titelbild

Ludwig Achim von Arnim: Zeitung für Einsiedler. Fiktive Briefe für die Zeitung für Einsiedler.
Werke und Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 6: Text und Kommentar. Herausgegeben von Renate Moering.
De Gruyter, Berlin 2014.
1416 Seiten, 269,00 EUR.
ISBN-13: 9783110254853

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