Am falschen Ende gespart

Jean François Duvals „Bukowski und die Beats“ präsentiert sich optisch kastriert

Von Christian MilzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Milz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Charles Bukowski den vor Respekt und Wertschätzung geradezu zerfließenden Jean François Duval nach einigen Flaschen Wein 1986 in seinem Haus in San Pedro gegen Ende des Interviews mit der Bemerkung aufzog, dessen Spiel sei es, auf Kosten anderer zu schmarotzen und wie ein Blutegel an den armen Schreiberseelen zu kleben, war Letzterem nicht mehr eingefallen als die hilflose Replik: „Hey, das ist aber nicht nett.“ Ein sarkastischer Konter hätte mit dem Bild der Schmeißfliegen antworten können, die nicht nur um den Haufen Scheiße herumsummen und sich auf selbigen setzen, sondern ihn auch weithin sichtbar machen und gewissermaßen verbreiten. Wer weiß, ob es dann nicht noch ein paar Flaschen mehr geworden wären. Aber auch so bringt es das Interview auf 66 Buchseiten und wird auf dem Cover entsprechend selbstbewusst angezeigt. Offensichtlich verspricht man sich davon Publikum. Diese Kalkulation ist durchaus integer, denn auch der eigentliche Inhalt des Buches, sozusagen eine Einführung in die Geschichte der Beats und die Biografie Bukowskis im Hinblick auf eben jene sich von den Zwängen und Konventionen der Gesellschaft befreiende Beat-Bewegung in den USA der Nachkriegszeit, liest sich komfortabel und weiß einiges über einen spektakulären kulturellen Neustart zu erzählen, der weite Teile unserer Moderne nachhaltig geprägt hat. 

Während hierzulande der elitäre Kreis der Gruppe 47 sich anschickte, den Literaturbetrieb aus der intellektuellen Höhe einer selbst ernannten literarischen und literaturkritischen Avantgarde zu dominieren, läuteten in den USA Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs und Co. einen Aufbruch ein, der Literatur und Leben in enger Verbindung und radikal von unten zu erneuern anstrebte. Im Zuge der 68er-Studentenbewegung wurden die Beats auch außerhalb der USA populär und erleben seit den 1990er-Jahren eine weltweite Renaissance. Selbstverständlich handelte es sich bei den Jüngern von sexueller Befreiung, Drogen, Non-stop-Bebop-Partys, dem Rausch des Unterwegs-Seins sowie eines tendenziell pantheistischen Mystizismus um ein spontanes und mehr oder weniger inniges Gemeinschaftserleben und nicht wie bei der Gruppe 47 in Deutschland um eine zentral organisierte Veranstaltung. Daher stellt sich die Frage, wie dieser oder jener, hier speziell Bukowski, der nicht zum eigentlichen Kreis der Beats gerechnet wird, in diesen Zusammenhang einzuordnen ist. Entsprechend zeichnet der bekennende Bukowski-Fan Duval dessen Beziehung zu den Vertretern der Beat-Generation nach, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das ist zweifellos ein sinnvolles und interessantes Unterfangen. Es ist indes kein Versuch, die gesamte literarische Strömung analytisch zu untersuchen, auszudifferenzieren und diesbezüglich zu Einordnungen sowohl Bukowskis als auch anderer, beispielsweise Salingers mit seinem Fänger im Roggen,zu gelangen. Entsprechende Ansätze bleiben die Ausnahme, so, wenn der Autor bei den Beats konstatiert, dass sie sich als Barden einer neuen Realität einer „himmlischen Natur“ und „engelsgleichen Generation“ verstanden und Kerouacs Schreiben von einem „Herzklopfen, einer Freude, einer Art Gnade“ durchzogen sei, während Bukowski sich als „Maler der Hölle und des Grotesken“ sah. Gerade in diesem Punkt, im Verhältnis zur Transzendenz, sind sich beide näher, als Duval meint. Und zwar ganz unabhängig davon, dass beide – Bukowski allerdings erst in seinen letzten Jahren – mit dem Buddhismus zumindest sympathisierten.

Man darf nicht den Gegenstand von Literatur, die Fiktion des Realen, mit dem Symbolischen, ihrer erzählenden Gestalt, verwechseln. Und auch nicht das Manifeste mit dem Latenten. Irgendwie sind die Götter auch bei Bukowski immer mit im Spiel – und sei es, dass ihnen das große Kotzen kommt. Aus dieser Offenheit zur Transzendenz lässt sich vielleicht sogar ein Merkmal der Beats-Bewegung– unter anderen – ableiten: die Verachtung bürgerlich-kapitalistischer Werte wie Konsum, Materialismus und Konformität zu Gunsten einer Liebe zur Freiheit, zum Einfachen, formal, sprachlich (eingeschlossen den Slang der Straße) und inhaltlich. Während aber bei Kerouac und Co. die Sehnsucht nach dem Religiösen oder Göttlichen Teil der Suche in und nach dem immer währenden großen Rausch ist, gibt sich Bukowski abgeklärter. Bei genauerem Hinsehen erweist sich sein Skeptizismus indes als attraktive Pose. Wenn er nämlich in besagtem Interview wiederholt vom Rotwein als dem „Blut der Götter“ spricht, dann ist das auch ein Fingerzeig auf den esoterischen Aspekt des exzessiven Trinkens in seinen Geschichten, von der Musik ganz zu schweigen: Sind es dort meistens die Sinfonien Gustav Mahlers, die den Kosmos öffnen, so fällt im Interview in erster Linie der Name Johann Sebastian Bach. Auch hier stimmen Kerouac und Bukowski übrigens überein. Und aus solch einem essenzialistischen Blickwinkel – die Literaturpolizei wird ein Auge zudrücken – darf man auch das Werk Hermann Hesses zumindest in Teilen in den Zusammenhang der Beats stellen, dessen Steppenwolf jener Band den Namen gab, die mit ihrem Song Born to be Wild der nächsten Beat-Generation ihren musikalischen Stempel aufdrückte – die nun auch musikalisch, im Gegensatz zum Bebop der Alten, mit der Rockmusik konsequent den antiintellektualistischen Turn vollzog, den der Punk und schließlich dann der Hip Hop beziehungsweise der Rap noch einmal radikalisierten. 

Dass Duvals Bukowski und die Beats sowohl die Beat-Bewegung als auch den „Dissidenten“ Bukowski in einen Zusammenhang stellt, ohne mit intellektualistischen Klimmzügen zu glänzen, ist der Sache also durchaus angemessen. Weniger einleuchtend, um nicht zu sagen ärgerlich ist, dass der Maro Verlag dem Publikum die an die 90 eindrucksvollen Fotos und Illustrationen der amerikanischen Ausgabe vorenthält (ausgenommen ein Foto und drei Zeichnungen Bukowskis) und damit das deutsche Buch zu einer nüchtern-prosaischen Erscheinung verurteilt, die durch grelle farbige Seiten (gelb für das Interview, grün für das Who’s who) am Ende noch unangenehm verschlimmbessert wird. Wie man ein solches Buch gestaltet, zeigt die amerikanische Ausgabe Bukowski and the Beats bei Sun Dog Press aus dem Jahr 2002. Sie strahlt das aus, wovon sie handelt. Man sieht, wie Burroughs mit dem Messer auf Kerouac losgeht, Ken Kesey, der Autor von Einer flog über das Kuckucksnest,in seinem psychodelischen Bus, Bukowski mit Tochter, Katze und auf der Rennbahn, den ausgeflippten Ginsberg mit Grateful Dead und so weiter. Texte und eingestreute Bilder respektive Illustrationen, unter anderem von Robert Crumb, in den verschiedensten Formaten bilden eine Einheit; hier haben die Herausgeber mitgedacht und mitempfunden. Das überträgt sich auf Buch und Publikum. Bukowskis letzte, posthum veröffentlichte Sammlung von Short Storys – Den Göttern kommt das große Kotzen – wurde von Robert Crumb illustriert und ist gewissermaßen ein abschließender Kommentar zu Bukowski und die Beats. Der Maro Verlag aus Augsburg hat es nicht einmal für nötig befunden, auf die per Mail angefragte Begründung für die dem Publikum vorenthaltenen Illustrationen zu antworten. Vermutlich wollten die Schwaben sparen. Diese in Deutschlands plakatiertem Selbstverständnis zur Tugend und zum Prinzip verklärte Option präsentiert sich hier jedoch am falschen Objekt. Jean-François Duval und der deutschen Ausgabe von Bukowski und die Beats wäre eine adäquatere Herausgabe zu wünschen gewesen.

Titelbild

Jean-Francois Duval: Bukowski und die Beats. Mit exklusivem Bukowski-Interview.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Martin Stein.
Maro Verlag, Augsburg 2015.
139 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783875123203

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch