Gefühlvolle Analyse

Der Sammelband „SprachGefühl: Interdisziplinäre Perspektiven auf einen nur scheinbar altbekannten Begriff“ zeigt auf, dass Sprachgefühl mehr ist als nur eine Intuition

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Alltag reden wir von Sprachgefühl wie über Bananen. Eben so, als sei dieser Begriff eindeutig und offensichtlich definiert. Dabei ist Sprachgefühl ein „ausdrücklich mehrdeutig angelegtes Leitthema“, wie es die Herausgeber Miriam Langlotz, Nils Lehnert, Susanne Schul und Matthias Weßel im Vorwort des Sammelbandes „SprachGefühl. Interdisziplinäre Perspektiven auf einen nur ‚scheinbar‘ altbekannten Begriff“ beschreiben. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Kollegs (GeKKo) an der Universität Kassel im Wintersemester 2012/2013 gaben ausgewählte Wissenschaftler unterschiedlicher disziplinärer Ausrichtungen Einblicke in die Vielgestaltigkeit dieses Begriffs. Sämtliche Referenten konnten für dieses Buch als Autoren gewonnen werden. Ihre Aufsätze wurden zudem ergänzt durch Artikel von jungen Kolleginnen und Kollegen aus dem entsprechenden Fachbereich.

Ist Sprachgefühl überhaupt ein Gefühl? Woran erkennt man, ob jemand ein Gefühl für Sprache hat? Wie lassen sich Gefühle eigentlich in Worte beziehungsweise Sprache fassen? Lassen sich Gefühle lesen? Gibt es eine textspezifische Gefühlssprache? Wie werden Gefühle durch Sprache erzeugt? Der Sammelband widmet sich diesen Fragen in zwölf Aufsätzen, die zwischen sprach-, geistes-, kultur-, sozial- und gesellschaftswissenschaftlicher Schwerpunktlegung variieren. Ziel ist es nicht, eindeutige Antworten zu liefern, sondern für die Fragestellungen zu sensibilisieren.

Schon bei der linguistischen Bestimmung herrscht große Diversität, wie Reinhard Fiehler in seinem Aufsatz „Ist das Sprachgefühl ein Gefühl?“ herausarbeitet. Matthias Weißel untersucht Sprachgefühl im Kontext von Sprachwechsel. Er tut dies am Beispiel der Exil-Autoren Arthur Koestler und Robert Neumann. Der eine Ungar, der andere Österreicher, gingen sie ins Exil nach England und schrieben fortan auf Englisch. Die Beschreibung des vollzogenen Spracherwerbs und -wechsels zeigt eindrücklich, dass Sprachgefühl auch in einer anderen als in der Muttersprache ohne Unzulänglichkeiten entwickelt werden kann. Der Erforschung von Sprache bei Primaten widmet sich Martin Böhnert im Aufsatz „(K)ein Gefühl für Sprache?“. Ausgehend von John Searle und Immanuel Kant, Charles Drawin und Ernst Cassirer spannt er den Bogen zu den bekannten Kommunikations-Experimenten mit Gorillas. Böhnert listet eine Reihe von Einwänden auf, die von der Beobachtung und Aufzeichnung des Affenverhaltens über die Analyseschritte bis hin zur Beeinflussung des Tieres reichen. Der Autor verneint dabei zwar nicht die Möglichkeit eines Spracherwerbs bei Primaten, mahnt aber zu einer methodisch-sauberen Nachvollzieh- und Reproduzierbarkeit.

Nina Kalwa setzt sich in ihrem Beitrag „Von Frustrationserlebnissen gegenüber universaler Syntax“ mit Emotionen in wissenschaftlichen Texten auseinander und zeichnet nach, wie emotive Bedeutungskomponenten Ausschluss geben können über unterschiedliche wissenschaftliche Mentalitäten. Sprachgefühl wird hier als hintergründig wirkendes Element in von Emotionen weitgehend befreiten Texten begriffen. Der Aufsatz „Gefühlvoll oder voller Gefühl?“ von Nils Lehnert und Susanne Schul erörtert dagegen stichhaltig literarische Liebesentwürfe und deren Sprachgewand aus einer diachronen Perspektive.

Und so entsteht mit jedem weiteren Text in Summe ein thematisch sehr breit aufgestellter Sammelband, der viele Facetten des Sprachgefühls abdeckt. Herausgekommen ist ein gelungener Überblick über die Ergebnisse einer interessanten Veranstaltungsreihe und ein informativer Einstieg in den aktuellen Forschungsstand zum Thema.


Titelbild

Miriam Langlotz / Nils Lehnert / Susanne Schul / Matthias Weßel (Hg.): SprachGefühl. Interdisziplinäre Perspektiven auf einen nur ‚scheinbar‘ altbekannten Begriff.
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2014.
325 Seiten, 51,95 EUR.
ISBN-13: 9783631648278

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