Wein und Mosel

Die „Briefe von Ophelia und Jan“ überzeugen durch Feingefühl und sinnliche Beschreibungen

Von Jan-Arne MentkenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan-Arne Mentken

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer, durch den Titel verleitet, einen klassischen Liebesroman erwartet, wird sicherlich enttäuscht. Vielmehr beschreibt Annette Köwerich in ihrem Erstlingsroman die Annäherung zweier Menschen im geistigen Austausch über verschiedene Themen. Mit zweien dieser Themen beschäftigt sich die Autorin selbst bereits seit einiger Zeit beruflich und privat: Wein und Mosel. Köwerich war als Agraringenieurin viele Jahre lang Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim ‚Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e. V.‘ in Koblenz. Zudem ist sie seit 1996 mit einem Jungwinzer verheiratet.

Als Jan Hermann auf der Suche nach einen besonderen Wein eine E-Mail an das Weingut ‚Benz-Lay‘ sendet, trifft diese bei Ophelia ein, die ein gleichnamiges Bed & Breakfast führt. Schnell entwickelt sich aus der nunmehr gemeinsamen Suche nach der gewünschten Flasche eine etwa ein Jahr umspannende E-Mail-Korrespondenz, die mit der Zeit immer persönlicher wird. Nach einer Schreibpause wechseln beide das Medium und schreiben sich zuletzt die titelgebenden Briefe. Die Tatsache, dass ein Mann und eine Frau im Titel namentlich genannt werden und von Briefen die Rede ist, ruft unweigerlich die Assoziation mit einem (Liebes-)Briefroman hervor. Allerdings stellt man schnell fest, dass Köwerich keine Klischees bedient. Stattdessen findet zwischen den Protagonisten ein gegenseitiges Kennenlernen über den intellektuellen Austausch statt. Dabei bewegt sich die Beziehung von Anfang an auf einer Ebene, die nie ganz klar werden lässt, ob aus den beiden mehr als gute Freunde werden könnten. Von Beginn an macht Jan Ophelia immer wieder Geschenke, für die sie sich am Anfang ihrer Briefe stets artig bedankt. Zudem möchte er sie möglichst rasch treffen: „Vielleicht sollte ich einmal eine Reportage über Ihr Haus machen, den Bauern erzählen, wie Ferien im Winzerhaus ablaufen – wäre ich willkommen?“ Ophelia hingegen ist distanzierter und übergeht diese Angebote, anstatt direkt auf sie zu reagieren.

Tatsächlich bleibt das Ende des Romans völlig offen, wenngleich die Themen in seinem Verlauf immer persönlicher werden. Nachdem anfangs vielfach der Moselraum in Vergangenheit und Gegenwart Gegenstand der Korrespondenz ist, reflektieren die Protagonisten zunehmend offen über frühere Beziehungen und ihre jeweiligen Familienverhältnisse. In dieser Phase wird Jan immer neugieriger – „Vor welchen Ängsten und Sorgen sind Sie als Kind geflohen?“ – und Ophelia beginnt, sich ihm zu öffnen. Die Entwicklung ist authentisch beschrieben; Ophelia gibt nur schrittweise mehr Details ihres Lebens preis, verrät erst spät ihre intimeren Gedanken.

Köwerich lässt ihre Figuren sehr anschaulich, zum Teil auch sehr poetisch schreiben: „Es ist wahrhaft mystisch hier, wenn Raureif auf Reben und Gräsern liegt und nur manchmal der Nebel aufreißt und den Fluss frei gibt, wenn die Schiffe nur schemenhaft zu erkennen sind und der Nebel die Warnhupen der Schiffe dumpf klingen lässt.“ Gerade die Ausführungen und Assoziationen zum Genuss von Wein nehmen einen besonderen Raum ein. Es gelingt der Autorin darüber hinaus, ihre Figuren durch bestimmte, oft wiederholte Aussagen, wie „Ich fühle mich reich beschenkt!“ leitmotivisch zu charakterisieren – oder vielmehr: sie sich selbst charakterisieren zu lassen.

So alt die Gattung Briefroman ist, das Genre des E-Mail-Romans ist noch relativ jung, jedoch sehr fruchtbar. Im privaten wie beruflichen Rahmen läuft Kommunikation bei vielen Menschen heute ausschließlich über das Internet, während der ‚klassische’ Brief in seiner bekannten Form allmählich auszusterben scheint. Es ist also naheliegend, das neue zentrale Medium privater Kommunikation in der Literatur strukturbildend werden zu lassen.

Mit dem E-Mail-Roman geht zwar das (scheinbare) Paradox einher, dass das im virtuellen Raum (scheinbar) Vergängliche gleichsam stillgestellt und festgehalten wird. Da eine Mail formal aber ähnlich wie ein Brief erscheint, ist es für den Leser nicht schwer, seine Lesegewohnheiten auf das elektronische Medium zu übertragen. Dass die Autorin jedoch nicht restlos darauf zu vertrauen scheint, dass die E-Mail hinreichend poetisch nobilitiert und akzeptiert ist, zeigt die Titelgebung ihres Romans. Obwohl die E-Mails den weitaus größeren Raum der Konversation einnehmen, wurden für den Titel die Briefe ausgewählt.

Unweigerlich drängt sich ein Vergleich mit Daniel Glattauers Gut gegen Nordwind (2006) auf, dem ersten bekannteren sowie kommerziell äußerst erfolgreichen E-Mail-Roman im deutschen Raum. Beide Romane lassen ihre Figuren ähnlich zufällig per E-Mail aufeinandertreffen. In Glattauers Liebesroman bleiben sie allerdings ohne Tiefe. Er lässt seine Personen zudem teilweise sehr informell schreiben, was zwar zum neuen Medium passt, aber letztlich das sprachliche Niveau von Köwerich nicht erreicht. Dass sie Ophelia und Jan auch in der elektronischen Korrespondenz einen ‚Briefton’ schreiben lässt, war hier sicherlich die richtige, zu den profunderen Themen passende Wahl.

Köwerich spielt in ihrem ersten Roman ihre Stärken aus: Ihr Wissen über den Wein und die Landschaft zwischen Rhein und Mosel – verbunden mit einer sehr guten Recherche – lässt sie gekonnt in die E-Mails mit einfließen und schafft dadurch Themenkomplexe, über die sich die Figuren austauschen und darin zugleich schrittweise näher kennenlernen können. Und wenn man am Schluss des Romans angelangt ist und das Buch trotz des offenen Endes zufrieden zuklappt, hat man vor allem Lust auf zweierlei: Wein und Mosel.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Annette Köwerich: Briefe von Ophelia und Jan. Roman.
Books on Demand, Norderstedt 2015.
170 Seiten, 7,99 EUR.
ISBN-13: 9783734749964

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch