Männer, die in Frauen onanieren

Rachel Moran berichtet und reflektiert ihr Leben in der Prostitution

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch immer gibt es einige Menschen, die überzeugt sind, sie würden feministische Politik betreiben, wenn sie sich dafür stark machen, dass Prostitution gesellschaftlich als ein ‚Beruf, wie jeder andere‘ akzeptiert wird. Das Buch der ehemaligen Prostituierten und heutigen Journalistin Rachel Moran „Was vom Menschen übrigbleibt“ könnte auch ihnen endlich ein Licht aufsetzten. Es wäre mehr als wünschenswert. Denn wie Sabine Constabel im Vorwort bemerkt, „steht die gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution im diametralen Gegensatz zur Gleichberechtigung der Geschlechter“. Sie „zerstört“ Frauen, „die in der Prostitution arbeiten“, ebenso wie die „Freier und deren Beziehungen zu Freundinnen, Ehefrauen und Kolleginnen“. Denn „der Freier sieht alle Frauen mit Freier-Blick an“.

Doch beschädigt wird nicht nur die Psyche der Sexkäufer, die, wie Moran voller Verachtung für diese Herren formuliert, „Frauen als Masturbationsvorrichtungen“ benutzen. Auch die aller anderen Männer ist von den negativen Auswirkungen der Prostitution in ganz ähnlicher Weise betroffen. Denn „sie lässt in den Köpfen von Männern die illusorische Sichtweise entstehen, dass Frauen keine Menschen sind, wie Männer es sind, sondern nur die laufenden Trägerinnen eines Produkts, und dass sie eine prinzipielle Funktion erfüllen, ob sie dafür bezahlt werden oder nicht. Diese Funktion besteht darin, als Behältnis für die sexuelle Entladung von Männern benutzt zu werden. Sie werden mühelos und unmerklich aus den Sphären des Menschlichen verbannt. Sie sind keine Personen, die ihren männlichen Gegenübern ebenbürtig wären. Wie sollten sie auch, besteht ihre Hauptfunktion doch darin, etwas Fickbares zu sein“, so Moran, die wie man sieht, klare Worte durchaus nicht scheut. Damit sind die psychosozialen Verheerungen der Prostitution aber noch nicht erschöpfend beschrieben. Denn sie „sorgt zudem dafür, dass Frauen, indem sie die Prostitution ihrer Geschlechtsgenossinnen tolerieren, im einzelnen die Empfindlichkeit für ihr eigenes Menschsein verlieren. Wenn Frauen die Prostitution tolerieren, dann tolerieren sie in Wirklichkeit die Entmenschung ihres eigenen Geschlechts in einem weiteren und umfassenderen Sinn.“

Rahel Moran schildert in ihrem Buch nicht nur ausführlich ihr Leben vor, nach und vor allem in der Prostitution, sondern verknüpft ihre früheren Erlebnisse und Empfindungen mit heutigen Überlegungen und Reflexionen. Zudem hat die Hochschulabsolventin emprisiches „Belegmaterial“ sowie verschiedene analytische Kapitel eingefügt.

Moran, die im Alter von fünfzehn Jahren ins „Prostitutionsmillieu“ geriet und sich nach vierzehn Jahren aus ihm befreien konnte, schildert eine Unzahl für Außenstehende, denen dieses Milieu fremd ist, schier unglaubliche und für sie selbst unerträgliche Erlebnisse und Erniedrigungen, die ihr von den nicht selten gewalttägigen Sexkäufern zugefügt wurden. Pointiert spricht sie in diesem Zusammenhang vom „mentalen und emotionalen Massaker der Prostitution“. Das „unausweichliche Wechselspiel seelischer Zerrüttung“ zwischen Prostituierten und Sexkäufern bildet den „Dreh- und Angelpunkt“ der Prostitution. Beide führen sie ihr „Dasein an der Front menschlicher Verachtung“.

Wichtiger vielleicht noch als Morans Schilderungen eigener Erlebnisse in der Prostitution aber sind die analytischen und reflektierenden Abschnitte ihres Buches. Denn sie sind es, die zeigen, dass all dies der Prostitution keineswegs kontingent sondern notwendig inhärent ist. Wie Moran überzeugend darlegt, ist Prostitution nichts anderes als „die Kommerzialisierung sexuellen Missbrauchs“ und als solche „nicht von Gewalt zu trennen“.

Moran entzaubert zudem diverse Prostitutionsmythen wie etwa denjenigen von der „glücklichen Hure“ oder dem „sexuellen Vergnügen der Prostituierten“. Den „Mythos Edelprostituierte“ entlarvt sie als reine Männerphantasie. Wie die meisten anderen Prostitutionsmythen bestehe auch er nur darum fort, „weil der Glaube daran den Männern, die für Sex zahlen, gelegen kommt“. Die Aufrechterhaltung des Mythos, die Prostituierte habe „die Dinge ‚unter Kontrolle‘“, ist allerdings für die Prostituierten selbst „sehr wichtig“. Denn nur diese Selbsttäuschung befähigt sie, „weiterhin innerhalb der Lebenssphäre funktionsfähig zu sein, in der sie sich befindet“.

Moran korrigiert sie etwa mit dem Hinweis darauf, dass die Subjekte der Prostitution nicht die prostituierten Frauen sondern die fast ausschließlich männlichen Sexkäufer und Zuhälter sind, deren Zahl zudem in jedem Land der Welt die der Prostituierten weit übertrifft. Darüber hinaus ist Prostitution Auswuchs und Ausdruck des Patriarchats oder doch zumindest einer patriarchalischen Geschlechterhierarchie. Zugleich trägt sie zum Erhalt patriarchalischer und sexistischer Strukturen bei – und zwar nicht nur innerhalb des Prostitutionsmilieus sondern in der gesamten Gesellschaft. Kurz: Sie ist durch und durch männlich.

Nicht ‚nur‘ ein Mythos, sondern eine regelrechte „Lüge“ ist Moran zufolge, „dass das Dasein der Prostituierten männliche sexuelle Aggressionen von der nicht prostituierten weiblichen Bevölkerung ablenke“. Tatsächlich ist diese Behauptung immer wieder von zumeist weiblichen ApologetInnen der Prostitution zu hören, die in ihr zwar ein Übel, aber doch ein notwendiges sehen. Belege für diese Behauptung aber bleiben sie immer wieder schuldig. Das verwundert nicht, dürfte doch gerade das Gegenteil der Fall sein. Die Vermutung liegt zumindest nahe, dass der Anteil der Vergewaltiger unter den Sexkäufern weit höher ist als ihr Anteil unter allen Männern überhaupt. Einschlägige empirische Erhebungen sind dem Rezensenten allerdings nicht bekannt. Doch selbst der empirische Nachweis, dass der Anteil der Vergewaltiger unter den Sexkäufern signifikant höher ist, würde die These, Prostitution schütze (andere) Frauen vor Vergewaltigung, zwar schwächen, nicht aber definitiv widerlegen. Denn es wäre auch dann nicht völlig auszuschließen, dass Vergewaltiger, die zu Prostituierten gehen, Frauen nicht unabhängig von oder gar aufgrund ihres Freiertums vergewaltigen, sondern, obwohl sie zu Prostituierten gehen, dass also selbst der Gang zu Prostituierten diese Männer nicht davon abhalten kann, Frauen zu vergewaltigen, während andere Sexkäufer eben dadurch, dass sie Sex mit Prostituierten haben, möglicherweise tatsächlich eben darum keine (anderen) Frauen vergewaltigen. Träfe dies zu, könnte die Zahl der Vergewaltiger und der Vergewaltigungen also steigen, wenn Sexkauf erfolgreich verboten würde. Auszuschließen ist all das zwar nicht, aber es ist eben auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Davon abgesehen handelt es sich Moran zufolge bei Sexkauf selbst um eine Form des Missbrauchs. Und sollte die hier als weit plausibler vertretene Annahme zutreffen, dass Sexkauf Vergewaltigungen eher fördert denn verhindert, hätte Moran dafür eine ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung für sie zur Hand: „Prostitution dämmt die Perversität sexueller Gewalt nicht ein, weil sie es nicht kann. Sie kann sie nur nähren, bis sie auf den Rest der Welt losgeht.“

Bewegt sich Morans analytische Prostitutionskritik meist auf psychologischem, gesellschaftspolitischem und soziologischem Gebiet, so reicht es doch über diese hinaus und erstreckt sich auch auf die sprachliche Ebene, die das falsche Bewusstsein über Prostitution widerspiegelt und selbst trägt.

Dass die Autorin beispielsweise die verharmlosende Rede von der ‚Prostitution als Beruf‘ verwirft, überrascht nicht. Sie bevorzugt einen anderen Begriff und definiert Prostitution als „Lebensstil“. Erhellend ist ihre Begründung: Ein Beruf determiniert nicht das gesamte Dasein des Menschen, der ihn ausübt. Die Prostitution aber bestimmt dasjenige der Prostituierten noch bis ins letzte kleinste Detail, „weil sich ihr ganzes Dasein in der ‚Welt‘ der Prostitution abspielt“. So „sickert“ die Prostitution „in das gesamte Leben“ der Prostituierten ein.

Doch Morans Sprachkritik reicht noch weiter. „Männer, die Frauenkörper kaufen“ und „bis jetzt ein spezifisches Verhalten gelebt haben, ohne das Gewicht des Begriffs tragen zu müssen, der es beschreibt“, werden von ihr „Prostituierer“ genannt, denn anders als das verharmlosende Wort vom „Freier“ oder gar „Kunden“, legt die Benennung „Prostituierer“ das besagte Gewicht auf deren Schultern. Morans Terminologe ist genau darum zu begrüßen, weil sie deutlich macht, wer Subjekt und wer Objekt der Beziehung zwischen Prostituierer und Prostituierten ist, wer hier wen „sexuell benutzt“. Folgerichtig schreibt die Autorin auch nicht davon, dass sich die Frauen prostituieren, sondern, dass sie prostituiert werden. Ganz schlüssig setzt Moran ihre Terminologie aber leider nicht immer ein, spricht sie doch auch schon einmal von „Freiern“ oder „Kunden“, für die Frauen als Prostituierte „arbeiten“. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang noch, dass die radikale Feministin und Abolitionistin Anita Augspurg Sexkäufer schon vor rund 100 Jahren „Prostituenten“ nannte und somit schon damals ganz ähnlich dachte wie Moran heute.

Nach all dem kann es nicht erstaunen, dass Moran eine „rückhaltlose Kriminalisierung des käuflichen Erwerbs von Sex befürwortet“. Das beliebte Argument, ein Verbot der Prostitution könne die Prostitution nicht beenden, hat kein Gewicht, denn schließlich wird trotz des Verbotes von Mord, Diebstahl und Schwarzarbeit auch weiter gemordet, gestohlen und schwarz gearbeitet, doch kein Mensch stellt darum die einschlägigen Verbote infrage. Mag es auch sein, das ein Verbot des Sexkaufs die Prostitution nicht völlig zu unterbinden vermag, so hätte es doch in jedem Fall eine begrüßenswerte Wirkung. Denn die Kriminalisierung des Sexkaufs zwingt die Prostituierer, ihre „vorsätzliche Ahnungslosigkeit“ aufzugeben und der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass sie „Missbrauchstäter“ sind, wie Moran schlagkräftig argumentiert. Prostituierte hingegen sollten Morans Argumentation zufolge nicht strafrechtlich verfolgt werden. Denn man könne niemanden dafür kriminalisieren, „ausgebeutet zu werden“.

Ausführlich widmet sich Moran sich dem ‚Pro-Prostitutions-Feminismus‘ und findet, wie nicht anders zu erwarten, deutliche Worte zu seiner Kritik:

„Die Vorstellung, dass Frauen allgemein und noch dazu im Namen eines feministischen Rechts nach der ‚Freiheit‘ streben sollen, sich einem Missbrauch sexueller, körperlicher, spiritueller und psychologischer Natur durch Männer auszusetzen, existiert allein in den Köpfen jener, die die Grundprämisse des Feminismus nicht erfassen oder nicht erfassen wollen. Diese besteht in der Stärkung der weiblichen Gleichberechtigung einschließlich sexueller Selbstbestimmung.“ Moran erklärt Versuche, Prostitution feministisch zu legitimieren, denn auch schlichtweg zu einer „pseudo-feministischen Theorie“, die „nichts mit Frauen zu tun hat und ganz sicher nichts mit Feminismus“.

Die Autorin des zu besprechenden Buches wurde bereits ausführlicher zitiert, als es in einer Rezension üblich ist, da dies die Prägnanz ihrer Prostitutionskritik deutlicher werden lässt, als es einer Paraphrasierung möglich wäre. Und auch das letzte Wort dieses Textes sei Moran vorbehalten. Es bezieht sich auf ihre Zeit als Prostituierte: „Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, doch ich bin geneigt zu denken, dass die Zeit vielleicht gar nichts heilt. Vielleicht schafft sie lediglich einen Abstand zwischen einem selbst und dem, von dem man sich wünscht, er könne geheilt werden.“

Titelbild

Rachel Moran: Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution.
Mit einem Vorwort von Sabine Constabel.
Übersetzt aus dem Englischen von Maria Heydel.
Tectum Verlag, Marburg 2015.
390 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783828834583

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