Kill the Poor

Wie der Punk begann – eine Monographie über die „Dead Kennedys“ von Alex Ogg

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die aus San Francisco, Kalifornien, stammende US-Punkband „Dead Kennedys“ wurde 1978 gegründet und bestand bis 1986. Ihr Frontmann Jello Biafra gehört zu den wichtigsten Protagonisten des US-Punk. Bekannt durch die kritische und ironische Beschreibung linker und rechter politischer Positionen gehören sie zu einer der interessantesten Bands des Punk. Alex Ogg hat sich in seiner Monographie der Gründungsphase und den Entwicklungen im Vorfeld der Bandgründung angenommen. Behandelt wird die Stellung der Band innerhalb der Punkszene in San Francisco bis hin zum Erscheinen des ersten Albums „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ (1980). Dabei trägt die englischsprachige Ausgabe diesen Albumtitel als Buchtitel, während man für die deutsche Ausgabe auf die erste Single der „Dead Kennedys“ – „California über alles“ – gesetzt hat, was sicherlich auch der ironischen Komplexität der Texte entgegenkommt und den Habitus von Jello Biafra und den „Dead Kennedys“ besser trifft.

Interessiert man sich auch nur ansatzweise für die Geschichte des Punk, dann wird man an der Lektüre dieser Monographie nicht vorbeikommen, da sich bisher – überraschenderweise – niemand dieser Thematik angenommen hat. An ihr wird auch schnell deutlich, wo eines der Probleme für dieses bisherige Desiderat verborgen liegen könnte. Ogg beschreibt detailliert die „Stationen“ der Band, ergründet Zusammenhänge und zieht dabei die Äußerungen der einzelnen Bandmitglieder zu Rate. Dies ist grundsätzlich natürlich eine gute Idee, in diesem speziellen Fall aber etwas problematisch.

Dies liegt vor allem daran, dass die Bandmitglieder bis zum heutigen Tag untereinander zerstritten sind. Anlass für diese Auseinandersetzung scheint der Streit um die Verwendung des Songs „Holiday in Cambodia“ in einem Werbespot von Levis gewesen zu sein. Jello Biafra war dagegen, der Rest der Band dafür. In dem folgenden Rechtsstreit verlor Biafras Label „Alternative Tentacles“ den Backkatalog der Band und die damit verbundenen Einnahmen aus den Plattenverkäufen. Diese Streitigkeiten halten bis in die Gegenwart hinein an. Man tritt auch noch auf, allerdings nur die Band „Dead Kennedys“ ohne Jello Biafra. Gestritten wird immer noch, etwa darüber, wer zu welchen Teilen am Verfassen eines Liedes beteiligt war et cetera. Leider überschattet diese Auseinandersetzung auch das Buch und die dargestellten Sachverhalte, die als Anlass für die verschiedenen „Sichtweisen“ herhalten müssen. Letztendlich wird damit eine generelle Frage der Geschichtsschreibung berührt: Wie war es wirklich? Oder anders: Wer ist der „Sieger der Geschichte“?

Letztendlich ist das Buch auch eine Dokumentation der Kleinlichkeit und der Eskalation eines Streites. Dass hier nicht nur Biafra die Lichtgestalt und der Rest der Band die geldgierigen ehemaligen Bandkollegen sind, wird schnell deutlich. Aber dass es noch Anlass gibt, die Geschichte der Band weiter- oder noch einmal zu schreiben, darauf verweist das Buch bereits selbst, da selbige nur bis 1980 beschrieben wird. Der Ruf nach einer kompletten Bandbiographie ist vorprogrammiert. Ansonsten lässt Alex Ogg viele Protagonisten der Punkbewegung zu Wort kommen. Sehr umfangreich wurde auch auf visuelles Material zurückgegriffen: Abbildungen von Plattencovern, Flyer, Photographien und umfangreiche Reproduktionen aus Comics und Fanzines finden sich im Band, der in der Ausstattung und im Layout wie ein alternatives Fanzine gehalten ist.

Die Lektüre ist informativ und nutzbringend, sie wird nur etwas gestört durch die „Dokumentation“ der internen Bandzwistigkeiten, ist aber alles in allem trotzdem gut lesbar. Nicht vergessen sei an dieser Stelle noch der Hinweis auf die gelungene Übersetzung von Joachim Hiller, Herausgeber des OX-Fanzine und ausgewiesener Experte in Sachen Punk. Hier scheint für die deutschen Leser der glückliche Umstand eingetreten zu sein, dass die Lektüre geschmeidiger verlaufen wird als die für den englischsprachigen Leser. Sehr nutzbringend ist die Chronologie der Ereignisse (Timeline), etwas überflüssig erscheint dagegen die Sammlung der Zitate über die „Dead Kennedys“. Aber ansonsten ist „California über alles“ eine runde Sache.

Titelbild

Alex Ogg: California über alles. Dead Kennedys – Wie alles begann.
Übersetzt aus dem Englischen von Joachim Hiller.
Ventil Verlag, Mainz 2015.
240 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783955750084

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