Zerbrochene Pläne, vernichtete Träume

Mit „In Stücke gerissen“ liegt nun auch der dritte Teil von Miklós Bánffys Siebenbürger Trilogie auf Deutsch vor

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Gezählt, gewogen und zerteilt“: Unerbittlich folgt Miklós Bánffys (1873–1950) große „Siebenbürger Geschichte“ dem alttestamentarischen Menetekel. Der dritte Teil der erst seit wenigen Jahren wiederentdeckten Romantrilogie trägt folgerichtig den Titel „In Stücke gerissen“. Dieses Schicksal musste das Königreich allerdings streng genommen erst mit dem Frieden von Trianon 1918 erleiden, als Bánffys Heimat Siebenbürgen an Rumänien fiel; in seinem Monumentalroman über die untergehende, hier noch einmal opulent heraufbeschworene Belle Époque in Ungarn bleibt es dagegen ausgespart.

Denn der mit bitterer Melancholie, von Andreas Oplatka wieder in ein geschmeidiges Deutsch übertragene Abschlussband entlässt den Protagonisten Bálint Abády bereits an eben der Stelle, an der auch Joseph Roth und Robert Musil ihre Helden ihrem absehbaren Schicksal überließen beziehungsweise überlassen wollten: bei der Mobilisierungseuphorie im August 1914. Statt das Angebot auf einen sicheren Posten in Wien anzunehmen, schließt sich Bánffys Alter Ego lieber den Vilmos-Husaren an, lauern für ihn doch zu diesem Zeitpunkt an jeder Ecke „zerbrochene Pläne, vernichtete Träume und Erinnerungen“. Einmal mehr sind es private Angelegenheiten, die den Grafen und Großgrundbesitzer in den Wochen zuvor so in Atem halten, dass er am Ende vom Kriegsausbruch doch noch überrascht wird.

Letzteres ist für die Vertreter seiner Generation von „Schlafwandlern“ (Christopher Clark) bekanntermaßen symptomatisch, mit Blick auf Bánffys Figur aber auch ausgesprochen ironisch. Immerhin war dieser liberale Idealist, Grübler und nicht zuletzt (wie sein Autor) Abgeordnete des ungarischen Parlaments erst im Band zuvor (dt. „Verschwundene Schätze“, Zsolnay 2013) aus seinem außenpolitischen Schlummer geweckt worden; die wachsende Kriegsgefahr in Europa ist ihm seither quälend bewusst. Im dritten Teil bemüht er sich daher lange Zeit redlich, sich ein eigenes Bild von den immer undurchsichtigeren Entwicklungen zu machen. Und zwar trotz der pünktlich zu Romanbeginn wieder frisch aufgeflammten Beziehung zu seiner On-/Off-Geliebten Adrienne und im Unterschied zu seinen – von Bánffy liebevoll porträtierten – skurrilen Standesgenossen, für die „alles, was außerhalb des eigenen Landes geschah, nicht in Europa, sondern irgendwo auf dem Mond vor sich ging“.

Dem tragikomischen Treiben von Abádys adeligen Freunden widmet Bánffy wieder großartig erzählte Kapitel wie jenes, in dem der einmal mehr unglücklich verliebte Pityu Kendy bei einem fröhlichen Volksfest den verfluchten Branntwein höchstselbst „zum Tode verurteilt“. Oder jenes, in dem ein französischer Prinz auf seiner Tour durch Europa auch in Klausenburg eine flammende Rede für eine „Anti-Duell-Liga“ hält – während seine eifrig Beifall klatschenden siebenbürgischen Zuhörer bereits heimlich voller Vorfreude das nächste Duell vorbereiten.

Dagegen klopft Abády immer beunruhigter offiziöse Presseberichte über die Bosnienkrise oder die Balkankriege auf ihren Wahrheitsgehalt ab oder spricht mit Eingeweihten wie Ungarns Ministerpräsidenten Tisza oder dem dämonischen Slawata, einem Berater von Thronfolger Franz Ferdinand – und gibt so dem Autor Gelegenheit für ausführliche politische Exkurse. Diese gipfeln einmal mehr in einer schonungslosen Abrechnung mit der eigenen Klasse, den ungarischen Eliten, für die „einzig Fiktionen, Selbstbetrug und Großtuerei an die Stelle der Realität getreten“ waren.

Eindrucksvoll die Szenen im Budapester Parlament, in dem unliebsame Redner mit Trillerpfeifen oder auf sie geworfenen Papiermessern mundtot gemacht werden und die Obstruktionspolitik, für den Autor das „Krebsübel“ der ungarischen Politik, wichtige Reformen blockiert. Dass unter diese Versäumnisse nicht zuletzt „die Vergrößerung und die Aufrüstung“ des kakanischen Militärs fiel, daraus macht Bánffys nicht gerade pazifistisch anmutender Erzähler keinen Hehl – auch deshalb verwundert es nicht, dass der aristokratische Autor, dessen Romantrilogie zuerst in Budapest zwischen 1935 und 1940 erschienen war, im kommunistischen Ungarn in Ungnade fiel. 

Bevor sich aber Bánffys Held endgültig desillusioniert in den Krieg verabschiedet, folgt sein Privatleben getreulich dem Muster der Vorgängerbände, bewegt sich vom neu aufflammenden Liebesglück zur tragischen Entsagung – einschließlich neuer profaner Epiphanien mit der Geliebten im transilvanischen Hochgebirgswald, Bánffys bevorzugtem locus amoenus, bei denen eine nackte Adrienne als „Nymphe oder Artemis“ zwischen Silberdisteln und Zirbelkiefern langsam in den rauschenden Bergbach steigt.

„Vielleicht war dies gar kein Wald, unten gab es keine Felsen und kein dahineilendes Wasser, Raum und Abstand verschmolzen. Alles lag auf einer einzigen Ebene: dünne Sonnenstreifen, golden stäubend vor dem dunklen Hintergrund, hier und dort aufleuchtender Glanz, sonst keine Helle; schwebender Dunst, der die Zwischenräume der kulissenhaft aufgestellten, ins Violette spielenden Baumstämme verschleierte, entrückte und machte alles unwirklich.“ Von dieser Unwirklichkeit geprägt ist freilich auch das Ende, als für Bánffys inzwischen uniformierten Helden vor einem „karmesinroten Himmel“  die langen Bergkämme nun wie „riesige Särge“ anmuten, „die Särge von Völkern.“

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Miklós Bánffy: In Stücke gerissen. Roman.
Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015.
397 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783552056336

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