Ein Literaturpreis feiert seinen 20. Geburtstag

Ein von Carsten Gansel herausgegebener Band versammelt die Dankesreden und Laudationes der Gewinner des Uwe-Johnson-Preises

Von Céline LetaweRSS-Newsfeed neuer Artikel von Céline Letawe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2014 war ein bedeutsames Jubiläumsjahr für den Schriftsteller Uwe Johnson: Sein 80. Geburtstag und sein 30. Todestag fielen zusammen. Kein Wunder also, dass er in diesem Jahr durch eine Vielzahl von Veranstaltungen und Publikationen geehrt wurde. So begann im Januar das Projekt „Eine Stadt liest Uwe Johnsons Jahrestage“, eine Lesung des knapp 2.000 Seiten umfassenden Hauptwerkes, an der sich 366 Rostocker beteiligten und die ab August im Radio ausgestrahlt wurde; am 23. Februar fand im Literaturhaus Uwe Johnson in Klütz eine Matinee mit Vortrag und Lesung zum Gedenken an den Mecklenburger statt; im Mai brachte in Rostock eine internationale Tagung zum Thema „Uwe Johnson und der Kanon“ gut 100 Forscher und Interessierte aus zehn Ländern zusammen; im August wurde in Berlin eine „Uwe-Johnson-Woche“ veranstaltet, die unterschiedliche Lesungen und Gesprächsrunden bot; im Oktober organisierte die Uwe Johnson-Bibliothek in Güstrow die 6. Uwe-Johnson-Literaturtage mit deutlich ausgeweitetem Programm. Das Jahr 2014 markierte aber auch das 20-jährige Bestehen des Uwe-Johnson-Preises – eine willkommene Gelegenheit, um einen Band mit den Reden der bisherigen Preisträger und Lobredner zu veröffentlichen.

Der Uwe-Johnson-Preis wurde parallel zur Gründung der Uwe-Johnson-Tage 1994 von der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft e.V. und der regionalen Tageszeitung „Nordkurier“ gestiftet. 2014 kam ein dritter Preisstifter (die Berliner Kanzlei Gentz & Partner) hinzu, so dass der Preis, der von einer fünfköpfigen Jury aus Autoren und Literaturwissenschaftlern beziehungsweise Publizisten vergeben wird, nun mit 15.000 Euro dotiert ist. Gefördert werden „sollen deutschsprachige Autorinnen und Autoren […], in deren Schaffen sich Bezugspunkte zu Johnsons Poetik finden und die heute mit ihrem Text ebenso unbestechlich und jenseits der ‚einfachen Wahrheiten‘ deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektieren“. Schaut man sich die Liste der Preisträger an, kann man dem Juryvorsitzenden und Herausgeber des Bandes Carsten Gansel nur zustimmen: Es handelt sich um eine „Mischung aus arrivierten Autoren und Neuentdeckungen“. Da finden sich sowohl Autoren, die Johnson persönlich gekannt haben (Walter Kempowski, Christa Wolf), als auch solche, die vor dem Gewinn des Preises noch überhaupt nichts von dem Mecklenburger gelesen hatten (Gert Neumann, Joochen Laabs).

Von den Texten, die im Band „Mutmaßungen. Uwe Johnson und die Gegenwartsliteratur“ versammelt sind, verdienen nicht nur die Dankesreden, sondern auch die Laudationes Beachtung. In seiner Dankesrede von 2005 kommentiert Arno Orzessek zwar nicht ohne Humor „das ungeschriebene Gesetz, das Laudationes und Nekrologe in einem wichtigen Punkt verbindet: Beide haben den Geehrten in ein etwas zu günstiges, mehr oder weniger verklärtes Licht zu rücken. Oder anders: Leise Überhöhung ist nicht nur erlaubt, sie wird erwartet. Denn das hebt die Stimmung und rechtfertigt noch einmal (im Fall der Laudatio) die Preis-Entscheidung der Jury.“ Die Laudationes spielen hier aber eine wichtige Rolle, weil sie die Möglichkeit bieten, der zentralen Frage nach dem jeweiligen Bezug der Autoren zu Johnson und seinem Werk nachzugehen.

Mit Vergnügen lesen wird man vor allem die sehr persönlichen Dankesreden von Walter Kempowski und Christa Wolf. Kempowski, der 1995 den Preis für sein Werk „Das Echolot“ erhielt, teilt seine Erinnerungen an Uwe Johnson mit dem Publikum, auf die Gefahr hin, dass er damit „Anstoß erregen könnte“. Er erzählt nämlich von „nächtliche[n] Telefonate[n]“, die ihm den Eindruck vermittelten, dass Johnson ihn „irgendwie unter Kontrolle halten wollte“, von Johnsons harscher Kritik beim Lektorat von „Uns geht’s ja noch gold“, von einer anstrengenden Diskussion über den Unterschied zwischen den Wörtern „vorbei“ und „vorüber“, kurz: von einem Mann, dessen Freundschaft „nichts Komfortables an sich“ hatte. Wolf, die 2010 den Preis für ihren Roman „Stadt der Engel“ bekam, erzählt von „Begegnungen“– von der ersten Begegnung im Jahr 1974 bis zur letzten 1983. Dabei stellt sie bei ihrem Kollegen einen bedeutungsvollen Widerspruch heraus, „der bei jedem Schriftsteller, aber bei ihm besonders, zu den wichtigsten Schreibantrieben“ gehöre: „Unendlich verletzlich sein und zugleich unduldsam die höchsten Ansprüche auf Vollkommenheit stellen, an sich und andere.“

Auch die Dankesreden von Marcel Beyer und Uwe Tellkamp sind sehr lesenswert. Beyer, der 1997 den Preis für „Flughunde“ bekam, denkt in seiner Rede „Über eine Haltung des Hörens“ über die unauflösbare Spannung zwischen den beiden Uwe-Johnson-Sätzen „Die guten Leute sollen das Maul halten“ und „Schweigen ist unmöglich“ sowie über seine eigene Position als Nachgeborener der von ihm so genannten „Schweige-„ und „Antwortgeneration“ nach. Tellkamp, der 2008 den Preis für seinen zur Zeit der Juryentscheidung noch unveröffentlichten Roman „Der Turm“ erhielt, bietet in „Langwellen“ eine poetische Reflexion über Kunst als „Erweiterung der Grenzen, Polar- und Urwaldexpedition des Geistes, […] Weltschöpfertum und prometheische Anmaßung des Gottspielens, […] Größenwahn und Widerstand“.

Versammelt sind in dem Band auch die Laudationes und Dankesreden zum seit 2005 existierenden Uwe-Johnson-Förderpreis, der sich zum Ziel gesetzt hat, den besten deutschsprachigen Debütroman auszuzeichnen. So ist es zweifellos ein Verdienst dieses Bandes, dem (Johnson-)Leser Lust darauf zu machen, neue Autoren zu entdecken (wie zum Beispiel Emma Braslavsky, Thomas Pletzinger und Matthias Senkel). Dabei fällt Arno Orzessek mit einer überraschenden Rekonstruktion seiner „verschollenen Rede“ auf: Da weder Manuskript noch Audioaufnahme seiner 2005 gehaltenen Rede vorliegen, unternimmt er den spannenden Versuch, sich vorzustellen, was er fast zehn Jahre früher hätte sagen können. In diesem „Versuch, eine Rede zu finden“, liegt somit auch eine anregende Hommage an Johnsons literarisches Verfahren.

Man kann vielleicht das Fehlen einer echten Einleitung bedauern, die mehr konkrete Informationen über den Preis hätte vermitteln können. Stattdessen bekommt der Leser als Einführung eine kurze „Vorbemerkung“ der Herausgeber und eher anekdotisch klingelnde und in lockerer Dialogform wiedergegebene „Erinnerungen“: Der Juryvorsitzende Carsten Gansel und der langjährige Leiter des Feuilletons des „Nordkuriers“ Detlef Stapf stellen in einem etwas konstruiert wirkenden Gespräch einige Aspekte der Gründungsgeschichte des Preises impressionistisch dar und besprechen kurz die Preisträger, mit denen es der Jury gelang, „dem Preis ein Profil zu verschaffen“. Interessant wäre es sicherlich auch gewesen, die Begründungen der Jury zu den jeweiligen Preisträgern mit abzudrucken, zumal in den Reden einige Male auf diese verwiesen wird. Beides findet der Leser glücklicherweise noch auf der Webseite des Preises, zusammen mit umfassenden Informationen zu den Preisträgern und Zeitungsauszügen zu den jeweiligen Preisverleihungen.

Parallel zur Veröffentlichung des Bandes wurde der Uwe-Johnson-Preis 2014 übrigens an Lutz Seiler für seinen ersten Roman Kruso vergeben, dessen Protagonist wie Gesine Cresspahl „die aufstörenden wie tröstenden Wirkungen des Erinnerns“ erfährt. Am 18. September 2015 wird der Uwe-Johnson-Förderpreis an die 34-jährige deutsch-jüdische Schriftstellerin Mirna Funk für ihren Debütroman „Winternähe“ verliehen. Die gebürtige Ostberlinerin arbeitet als freie Journalistin und Autorin und lebt zwischen Deutschland und Israel. Die Jury lädt also wieder dazu ein, eine neue Stimme in der Gegenwartsliteratur zu entdecken.

Titelbild

Carsten Gansel (Hg.): Mutmaßungen. Uwe Johnson und die Gegenwartsliteratur. Zwanzig Jahre Uwe-Johnson-Preis.
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2014.
239 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783945256213

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