Chinoiserien

Clementine Skorpil versucht sich in „Gefallene Blüten“ an einem Sittenbild des vorkommunistischen China

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende steht der enttäuschende Satz, dass jetzt ja alles aufgeklärt sei. Und tatsächlich ist das der Fall. Am Schluss dieses Versuchs eines historischen Sittenbilds Chinas der 1920er-Jahre stehen langatmige Geständnisse, in denen die Beteiligten erklären, was wie mit wem zusammenhängt, und vor allem, wer wen warum ermordet hat. Es gibt eine Menge Leichen in diesem Krimi, deren Mörder anzugeben sind, und so zieht sich die Schlusserzählung über eine ganze Reihe von Seiten plätschernd dahin.

Man kennt das bereits aus den Hercule Poirot-Krimis oder aus den alten ZDF-Serien, in denen am Ende der Böse alles gesteht, der Einfachheit halber, weil eine andere Lösung jeden Film respektive jedes Buch sprengen würde. Und weil eine solche lösungsorientierte Erzählung ein Eigenleben entwickeln würde.

Auf diese Weise sind auf einmal zwei Erzählungen vorhanden, die in einem Text verbunden werden – was immerhin ein interessanter Umstand ist. Die Haupterzählung müht sich um die Rekonstruktion einer Tat, ist aber zugleich damit beschäftigt, den oder die Täter selbst zu identifizieren und sich mit gegenstrebenden anderen Akteuren auseinanderzusetzen. Dazu gehören diejenigen, die selbst die Tat klären wollen, oder jene, die hinter der vermeintlichen Täterin (in diesem Fall) her sind, oder diejenigen, die ganz andere, eben nur zufällig kollidierende Interessen verfolgen.

Das Zentrum dieser heuristischen Haupterzählung sind aber dadurch nicht Tat und Täter. Es geht stattdessen mehr um die Profilierung der Akteure, in diesem Fall also um die alte Frau Ai Ping und um den jungen kommunistischen Studenten und Aktivisten Lou Mang.

Einen völlig anderen Charakter hat die Lösungserzählung, die lediglich ein statisches Handlungsgeflecht wiedergibt, in dem Tat und Täter einander zugeordnet werden, ergänzt um die diversen Nebentaten und Handlungsträger, die zeitlich nachgeordnet sind. Kategorial stehen sich beide Erzählungen diametral gegenüber.

So chaotisch und kontingent, dabei so flexibel und unstrukturiert die eine erscheint, so leblos und belanglos wirkt die andere. Mit anderen Worten: So sehr die Wahrheit das vorgebliche Thema der Haupterzählung zu sein vorgibt, so wenig ist sie es tatsächlich. Und so sehr die Schlusserzählung die Wahrheit vorträgt, so überflüssig ist sie. Zugleich weist diese Schlusserzählung auf ein inszenatorisches Problem der Kriminalerzählung hin, nämlich die Uneinlösbarkeit des Versprechens, dass sie das Geschehen rekonstruieren könne. Da sie dieses Versprechen jedoch nicht einlösen kann, versucht dies die Schlusserzählung, was aber höchst unbefriedigend ist.

Nun liegen mehr als 300 Seiten historischer Erzählung vor, in denen ein Mord geklärt und eine verschwundene junge Frau gefunden werden soll. Das gelingt am Ende ja auch vollständig. Und das historische Kolorit ist zugleich kräftig aufgetragen. Die Zeitumstände stimmen, soweit man das als Fachfremder sagen kann, die historischen Personen bürgen für eine große Nähe zur Zeitgeschichte und das Chaos der chinesischen Übergangsgesellschaft wird hinreichend verdeutlicht. Der Verfall überkommener Strukturen und Verhaltensweisen im Kontext der Einflüsse der ins Land drängenden westlichen Mächte ist plausibel und recht anschaulich dargestellt. Mit der alten Frau, Ai Ping, die für ein eher traditionelles Denken steht, gibt es eine Figur im Roman, die die Brüche zwischen dem alten und dem neuen China deutlich erkennbar werden lässt. Auch über den kommunistischen Aktivisten Lou Mang ließe sich Ähnliches sagen – nur steht dieser für ein Denken, das an den künftigen Machthabern orientiert ist, wenngleich noch idealistisch verbrämt.

Trotz aller Mühen um historische Korrektheit und darstellerische Genauigkeit – und trotz des Interesses, auf das Skorpil rechnen kann, weil das China der Gegenwart ein derart mächtiger internationaler Akteur geworden ist – ist Skorpils Buch aber weder als Krimi noch als Roman zufriedenstellend. Das liegt vor allem daran, dass sich Genauigkeit in Langatmigkeit übersetzt, in der noch jede noch so kleine Bewegung beschrieben wird. Dabei ist Skorpil gegen unplausible Schilderungen nicht gefeit. Dass nun jemand gerade seine Zigarre zwischen die Lippen steckt, um dann seinem Gegenüber den Rauch ins Gesicht zu blasen, erfordert immerhin einige Körperbeherrschung, wenn nicht wenigstens ein paar heftige Grimassen. Wenig plausibel ist auch, dass ein junger Mann mit einem frischen Beinbruch (ok, gegipst ist er immerhin), ausgeschlagenen Zähnen und einer Schusswunde im Arm derart ungebremst in der Gegend herumläuft, wie dies dem armen Lou Mang zugemutet wird. Dass er dies immerhin ächzend und stöhnend tut, wirkt dabei wie die aufgesetzte Manier eines Schmierenkomödianten.

Mit diesem Buch hat Skorpil nicht den Analphabetinnen einer vergangenen historischen Epoche eine Stimme gegeben, wie sie im Nachwort betont, sondern lediglich eine historische Kulisse aufgebaut, in denen sie ein paar Figuren agieren lässt. Man hüte sich davor, das für eine Rekonstruktion zu halten. Wenngleich einzuräumen ist, dass es grundsätzlich andere Möglichkeiten nicht gibt, sondern nur gelungene und misslungene Versuche.

Titelbild

Clementine Skorpil: Gefallene Blüten. Kriminalroman.
Argument Verlag, Hamburg 2013.
345 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783867542128

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