„My Dubrovnik-Fiction“ – Die Regisseurin Andrea Štaka im Interview

„CURE – Das Leben einer Anderen“ gehörte zu den anspruchsvollsten Beiträgen des 11. Festival des Deutschen Films

Von Emily JeuckensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emily Jeuckens

Red. Gegenwartskulturen: Nach Präsentation von „Cure“ im Rahmen des Festivals des Deutschen Films begann eine längere Publikums-Debatte, ob die Identitätskrise der Protagonistin die Handlung prägte – oder die Frage nach ihrer Schuld am Tod der Freundin.  

Štaka: In meinen Filmen habe ich primäre Hauptthemen und Identität zieht sich als Motiv hindurch, in wesentlichen Fragen für uns alle: Wer bin ich und wohin gehöre ich? Dazu gehört auch das Thema der Parallelwelt: Linda ist zwischen der Schweiz und Dubrovnik, zwischen Kind und Erwachsener immer in einer Zwischenwelt. Die Frage nach Schuld hat mich eher tief emotional interessiert, nicht im ethischen Sinn. Linda stürzt nach Etas Tod in ein tiefes Dilemma, nicht nur wegen ihrer Schuld am Sturz der Freundin, sondern auch, weil sie Glück gehabt hat, das Glück, dem Wald zu entkommen, wie sie auch zuvor dem Krieg entkommen ist.

Als nach Kroatien zurückkehrender Flüchtling ist die Protagonistin in beiden Welten gleichermaßen fremd – auf welche Art und Weise haben Sie dieses komplexe Gefühl filmisch umgesetzt?

Štaka: Das berührt eine Frage, die mich sehr interessiert: Dass man ursprünglich und emotional zu einem Land gehören kann, in dem man aber nicht sozialisiert wird. In der Realität ist das ein Dilemma vieler Menschen, nie ‚ganz’ in einem Land anzukommen und zu denken, dass man sich entscheiden müsse. Gesellschaftlich herrscht noch immer der Anspruch, bis in die Großelterngeneration hinein an einem Ort verwurzelt zu sein. Aber ich erlebe auch, dass sich dieser Zugehörigkeitsbegriff ändert und glaube, dass unsere Kinder ganz anders mit dieser Frage umgehen werden. Im Film kommt das Thema immer wieder vor, dramaturgisch umgesetzt habe ich es vor allem durch die Dualitäten: Die zwei Mädchen und die zwei Städte sind zentrale Motive, außerdem verlaufen viele Szenen parallel oder gespiegelt.

Könnten Linda und Eta tatsächlich ein und dieselbe Person sein?

Štaka: Grundsätzlich sind es in der äußeren Handlung zwei Mädchen aus zwei Familien, die im Film auch eine Gegenbewegung darstellen: Linda, die nach Kroatien zurückkehrt, und Eta, die schnellstens weg will. Doch Filme müssen auch eine Seele haben, die der Zuschauer spüren muss, ohne sie rational erklären zu können. Und in dieser inneren, psychologischen Handlung ist es ein Mädchen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass Linda diesen Teil von sich selbst, Eta, über die Klippe stoßen muss, um zu sich selbst zu finden.

Wie verbinden Sie die vom Krieg erschütterte Stadt mit dem mystisch interpretierten Wald?

Štaka: Zum einen gehört dieser Wald für mich untrennbar zu Dubrovnik: Genau diese Bäume habe ich als Kind vom Fenster meiner Großeltern aus gesehen. Ganz persönlich ist es für mich aber auch eine Mutprobe allein im Wald zu sein. Es ist vielleicht das Schicksal der Stadtmenschen, sich zum Wald hingezogen zu fühlen, der ja etwas sehr Archaisches hat. Gleichzeitig mag ich das Märchenhafte der Wälder und wollte auch gerade diesen Aspekt im Film verhandeln: Zwei Mädchen laufen alleine in den Wald – dann passiert etwas Schreckliches und die Stadt schweigt dazu. Das ist für mich ein sehr düsteres Märchen.

Dem Publikum ist vor allem die extrem detailgetreue Ausstattung aufgefallen – lag hier ein besonderer Fokus der Produktion?

Štaka: Man muss wissen, dass es sehr wenige Filme gibt, die in Dubrovnik spielen und ich einen Film über die Stadt drehen wollte, die ich aus Kindertagen so gut kenne. Doch dazu gehört auch das Zitat von Jonas Mekas, dem litauischen Avantgarde-Regisseur, der viele Filme in New York drehte und häufig gefragt wurde, warum ‚sein’ New York so anders aussähe, als das ‚echte’. Er sagte: „Ich filme mein New York-Fiction“. In diesem Sinne mache ich Dubrovnik-Fiction, indem ich so genau wie möglich in die Zeit eintauche, an die ich mich so stark erinnere, diese Jahre zwischen Krieg und Frieden.

Im Programm des Festivals nahm Ihr Film wegen seiner dunklen und außergewöhnlichen Bilder eine Außenseiterposition ein – warum werden die vielfältigen Möglichkeiten, die moderne Kameras bieten, nicht häufiger genutzt?

Štaka: Mein Anspruch an Filme ist, in Bildern zu erzählen und nicht die Realität darzustellen. Der unbewusste Teil muss gepackt werden, Gefühlszustände müssen gezeigt werden, auch durch winzige Details, durch Farben, Licht und Gegenstände. So rückt beispielsweise Lindas Bett im Film immer weiter von der Wand in den Raum hinein, um ein beklemmenderes Raumgefühl zu schaffen, auch wenn der Zuschauer es vielleicht gar nicht sieht. Das kostet allerdings auch viel Vorbereitung und viel Zeit – Zeit, die bei vielen Produktionen fehlt. Oft herrscht auch die Vorstellung, ein Film müsse ein Thema nur illustrieren, aber das ist nicht mein Ansatz.

Welche Chancen, aber auch Probleme bietet die ‚Dreierrolle’, die Sie als Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin zugleich innehaben?

Štaka: Für mich ist es letztlich der einzige Weg, wie ich arbeiten kann. Mich Themen zu nähern und dann Partner für meine Projekte zu suchen ist ein echter Glücksfall. Gleichzeitig habe ich sehr viel Verantwortung, die ich nicht abgeben kann und unendliche Entscheidungsmöglichkeiten, so dass die Balance zwischen Produktionsabläufen und Momenten der Muße für kreative Entwicklungen manchmal schwerfällt. Aber ich kann es mir auch nicht anders vorstellen und nur so gehören die Filme am Ende ganz mir.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen