Sichtbar im Licht des Späteren

Ein von Sandra Markewitz herausgegebener Sammelband widmet sich der „Philosophie der Sprache im Vormärz“

Von Sebastian SchreullRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Schreull

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der von Sandra Markeiwtz herausgegebene Sammelband „Philosophie der Sprache im Vormärz“ ist in der Reihe der Vormärz-Studien des Bielefelder Aisthesis Verlages erschienen. Die Reihe hat sich um diese vielstimmige und deutungsschwangere Epoche der deutschen Geschichte verdient gemacht. Auch dieser 34. Band liefert viele Argumente dafür, weshalb es sich lohnt, das in dieser Zeit Geschriebene nicht dem Vergessen zu überlassen. Aber nicht allein um das Vergessene geht es hier. Schließlich könnte das Gegenwärtige, das Neue selbst älter wirken, wenn man betrachtet, was schon im Vormärz getan und gedacht wurde.

Insgesamt zeichnen sich alle Beiträge des Sammelbandes durch ihren einführenden und Übersicht gebenden Charakter aus, was auch den Gegenständen selbst geschuldet ist: Wer verbindet schon allzu viel mit den Namen Karl Leonhard Reinhold, Conrad Hermann, O.F. Gruppe, Gustav Gerber oder Georg Runze?

Der linguistic turn ist längst kanonisch geworden, so dass man diese Wende allzu selbstverständlich im 20. Jahrhundert ansiedelt. Es ist nicht einfach der Verdrängung durch die hegemonialen Schulen der Philosophie geschuldet, dass man die Anfänge oder die verborgenen Kontinuitäten bis dato nicht erkannte. Vielmehr ist es ja unsere Gegenwart, die stets wieder die Vergangenheit betrachtet und das in ihr entdeckt, was sie verändert gegenwärtig werden lässt; oder schärfer ausgedrückt: dass diese Vergangenheit für uns erst „sichtbar im Licht des Späteren“ ist.

Dieser Gedanke leitet die von Sandra Markewitz verfasste Einleitung, die die Komplexität der Thematik aufzuzeigen weiß, ohne sich in dieser Dichte zu verlieren und so eine anregende Kontextualisierung stiftet. Dabei ist es durch den Gegenstand bedingt nicht die Absicht, eine rein sprachphilosophische Genealogie oder Historiographie zu entfalten. Die Autorin macht deutlich, inwiefern ein angemessenes Denken der „Sprache als Tätigkeit“ auch stets das Politische impliziert. Der sich im Vormärz entwickelnde Gedanke, dass die Sprache „Emanzipationsmittel“ sei, „ermöglicht es, Sprache als Erfüllungsinstrument einer gegebenen Wertstruktur zu denken, die in ihrer raumzeitlichen Individuierung veränderbar ist“. Mag ein solcher Gedanke ein Verbindendes zwischen diesen unterschiedlichen Denkern sein, so bildeten sie keineswegs eine Schule oder einen Diskussionszusammenhang. Vielmehr wiederholte sich durch sie die damalige „Partikularstruktur Deutschlands […] auf der Ebene des Denkens“. Sie stellten aber „den Beginn einer Umdeutung [dar], die Sprache endlich auf die Sprechenden bezieht.“

Markewitz ist mit drei Beiträgen in diesem Band vertreten. Ebenso wie die Einleitung zeichnen sich die Beiträge „O. F. Gruppes Antäus im Kontext“ und „Antizipationen des Practice Turn der Philosophie der Gegenwart im 19. Jahrhundert. Conrad Hermanns Philosophische Grammatik“ dadurch aus, dass sie auf gegenwärtige philosophische Problemlagen bezogen werden. Die Herausgeberin beleuchtet diese Versuche nicht nur aus einer geschichtsphilosophischen oder gesellschaftstheoretischen Perspektive, sondern verfolgt unterschiedliche Begriffe hin zu ihrer Präzisierung. Fast könnte man sagen, dass dies beinahe die Arbeit an den eigentlichen Gegenständen überlagert, andererseits gewinnt man so auch einen Eindruck von der Vielfältigkeit dessen, was bereits zum Vormärz erarbeitet wurde.

Mit Otto Friedrich Gruppe ist hierbei ein Denker erwählt, der bereits durch sein Pseudonym, Absolutus von Hegelingen, verdeutlicht, wer hier als Gegner bestimmt wird. Markewitz analysiert jene Gruppe’sche Kritik, die zwischen „Ermächtigung und Verkennung“ oszilliere und in seiner Rhetorik an die Spitzen und Volten des Junghegelianismus nicht bloß erinnert. Gegner ist also dieses vermeintlich omnipotente Systemdenken Hegels, die „Bewahrerin von Dichotomien und [des] substantivische[n] Glanz[es] von Begriffen“.

Zwar kritisiert Markewitz die „allzu große Durchsichtigkeit der Freund-Feind-Anordnung“, doch von der Tendenz her müsste Markewitz dem zustimmen. Man kann es als ein Einendes verschiedener Beiträge dieses Bandes verstehen, dass man der sprachanalytischen Philosophie in der Nachfolge des späten Ludwig Wittgenstein das dialektische Philosophieren Georg Wilhelm Friedrich Hegels gegenüberstellt. Neuere Hegellektüren hätten sich hier als produktives Korrektiv auszeichnen können, da sie statt Gegensätzen Familienähnlichkeiten argumentieren. Die Zielsetzung Hegels wird in solchen Lektüren als „die angemessene Platzierung gerade auch unserer eigenen Praxis der kausalen Erklärung, Geschichtsschreibung und Wissenschaft überhaupt in einen Gesamtrahmen der unser Leben prägenden Praxisformen“ (Pirmin Stekeler-Weithofer) bestimmt.

Wenn Markewitz in Auslegungen Gruppes darauf insistiert, dass die abstrakten Begriffe der Hegel’schen Spekulation „von der Konkretheit ihres ersten Auftretens in der Sprache, unter den Menschen und in ihren Handlungspraxen“ zehrten,  dann könnte man dies nicht nur als ein Moment des Hegel’schen Philosophierens ausweisen. Man könnte vielmehr mit Hegel darauf insistieren, dass die allgemeine Form unserer Praxis zu reflektieren ist, gerade weil sie das Verhältnis unterschiedlicher Praxen darstellt. Und dies liegt Markewitz keineswegs fern, die abschließend in ihrem Beitrag zu Conrad Hermann feststellt: In „der philosophischen Betrachtung lebt das Wissen um die Pluralität der Lebensformen, die eine philosophische Grammatik als jene exquisite Landkarte geteilter Urteile ausweist, die wir ererben, ohne sie zu wählen.“

Die Schwierigkeiten höherstufiger Reflexionen der Sprache demonstriert eindrucksvoll Silvan Imhof in seinem Aufsatz „Karl Leonhard Reinholds Kritik der philosophischen Sprache“. Gegen das Handgemenge der unterschiedlichen philosophischen Parteien setze Reinhold eine „Critik der Sprache“, die damit anhebt, dass „das Denken im menschlichen Bewußtseyn ein Vorstellen durch eigenthümliche Gedankenzeichen, ein Benennen, Sprechen, Reden“ sei. Den durch diese Synonymik zu gewährleistenden „allgemeinen Gebrauch“ kritisiert Imhof als Dogmatismus: „Der einzig gültige und verbindliche Sprachgebrauch ist nur insofern gültig und verbindlich, als er die metaphysische Ordnung des Seins repräsentiert und sich durch Bezug auf ebendiese Ordnung festlegen lässt.“ Diese Ordnung solle aber selbst erst durch diese Sprachkritik begründet werden.

Zum Schluss ist noch der Beitrag Siegfried J. Schmidts, „Ein fast vergessenes Zwischenglied. Deutsche Sprachphilosophen des 19. Jahrhunderts“, hervorzuheben. Er argumentiert, dass die von ihm untersuchten Gustav Gerber, Friedrich Max Müller und Georg Runze „eine argumentativ bedeutsame Mittelstellung zwischen Locke, Herder und Humboldt einerseits, der sprachanalytischen Philosophie und Wittgenstein“ andererseits einnähmen. Der Autor hatte bereits 1971 gemeinsam mit Hermann-Josef Cloeren eine zweibändige Textauswahl mit dem Titel „Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert” herausgegeben, die Schriftstücke der im Sammelband Besprochenen präsentiert. Als Vertiefung sei diese unbedingt empfohlen.

Gerade wenn es darum geht, näher zu entfalten, wie Sprache als Medium unserer Praxis zu begreifen ist, so wird man nun auch im Vormärz die Gegenstände oder Gegner finden. Bedenkt man die umfangreichen gegenwärtigen Bemühungen, eine sprachphilosophisch reflektierte Relektüre des deutschen Idealismus anzustreben, so müssten sich unsere Versuche in diesen ersten Versuchen, dieses Erbe durchzuarbeiten oder mit ihm zu brechen, widerspiegeln: So radikal kann kein Bruch sein, dass man von diesem Erbe loskommt, so affirmativ kann kein Philosophieren sein, als dass man dies einfach tradiert. Dieser Sammelband lädt dazu ein, dies fortzuführen.

Titelbild

Sandra Markewitz (Hg.): Philosophie der Sprache im Vormärz.
Vormärz-Studien 34.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2015.
171 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783849810849

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch