Chronist des amerikanischen Alltags

Zum 100. Geburtstag des Dramatikers Arthur Miller

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Der Dramatiker Arthur Miller (1915–2005) gehörte zu den amerikanischen Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg an die progressive Literaturtradition der 1930er-Jahre anknüpften. In seinen fesselnden Theaterstücken brachte der „Meister der Sozialtragödie“ stets zeit- und gesellschaftskritische Themen auf die Bühne. Sie offenbarten neben der beklemmenden Aktualität auch Millers humanistisches Anliegen von Aufrichtigkeit und Zivilcourage.

Arthur Miller wurde vor 100 Jahren am 17. Oktober 1915 in Harlem (New York City) geboren. Sein Vater, ein jüdisch-polnischer Emigrant aus Österreich, hatte es in den USA als Kleiderfabrikant zu Wohlstand gebracht. Im Stadtteil Harlem beschäftigte er mehr als 400 Mitarbeiter. Die amerikanische Mutter war Lehrerin gewesen. Während der Wirtschaftsdepression, Arthur war gerade 14 Jahre alt, erlebte die Familie aber mit dem Crash an der Wall Street den geschäftlichen Ruin. Da nun für ihn ein Studium außerhalb der finanziellen Möglichkeiten lag, besserte er mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten die Familienkasse auf oder bestritt damit seinen eigenen Lebensunterhalt.

Ab 1934 studierte Miller an der University of Michigan Literatur- und Theaterwissenschaft und erwarb dort 1938 einen Abschluss in Englisch. Bereits während des Studiums gewann er mit ersten Dramen zwei Literaturpreise der Universität. Danach schrieb Miller Hörspiele für verschiedene Rundfunksender. Außerdem engagierte er sich beim „Federal Theatre Project“ (eine Art Sozialhilfe für Bühnenschriftsteller), wodurch er der Sympathie mit der Kommunistischen Partei verdächtigt wurde.

Mit der Broadway-Aufführung „The man who had all the luck“ („Der Mann, der das Glück gepachtet hatte“) hatte Miller 1944 einen ersten bescheidenen Achtungserfolg am Theater, auch wenn das Stück nach sechs Vorstellungen wieder abgesetzt wurde. Miller war sich zu diesem Zeitpunkt über seinen schriftstellerischen Weg noch im Unklaren und so erschien 1945 sein Roman „Focus“ über den Antisemitismus in den USA. Trotz des Erfolges wendete sich Miller aber wieder dem Drama zu.

Den Durchbruch als Bühnenautor brachte das Drama „All my sons“ („Alle meine Söhne“), das in der Inszenierung von Elia Kazan 1947 am Broadway (Coronet Theatre) Premiere hatte. Es wurde mit dem New York Drama Critics Circle Award ausgezeichnet und ein Jahr später verfilmt. Schon hier verknüpfte Miller seine Sozialkritik mit persönlichem Engagement oder Versagen. Der erfolgreiche Geschäftsmann Joe Keller vertuscht einen Konstruktionsfehler an Flugzeugmotoren, der mehreren Piloten das Leben kostet. Verantwortung will er aber nicht übernehmen, lieber erschießt er sich, anstatt seine Schuld zu gestehen.

Sein nächstes Familiendrama „Death of a Salesman“ („Tod eines Handlungsreisenden“), uraufgeführt 1949 ebenfalls von Elia Kazan, machte Arthur Miller schließlich zum Star der amerikanischen Theaterszene. Noch im selben Jahr wurde er dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und es sollte Millers bekanntestes Werk werden. Das Stück handelt von den letzten Stunden im Leben des alternden Handelsreisenden Willy Loman, der sich bis zuletzt an die Illusion des amerikanischen Traumes klammert, dass, wer hart arbeitet, es in seinen Augen auch zu etwas bringen muss. „Death of a Salesman“ wurde mehrfach verfilmt, am bekanntesten ist die detailgetreue Version von Volker Schlöndorff (1985) mit Dustin Hoffmann in der Hauptrolle, der in der Rolle des Willy Loman schon am Broadway sehr erfolgreich war.

Millers historisches Schauspiel „The Crucible“ (1953, „Hexenjagd“), in dem es vordergründig um eine Dramatisierung der Salemer Hexenprozesse im puritanischen Amerika des Jahres 1692 ging, war in Wahrheit eine versteckte Kritik an den politischen Zuständen zu Beginn der 1950er-Jahre in den USA, als Tausende Amerikaner, hauptsächlich Intellektuelle und Künstler, sich vor den McCarthy-Untersuchungsausschüssen verantworten mussten. Auch Miller wurde zur „Aufdeckung antiamerikanischer Umtriebe“ mehrfach geladen und sollte Namen nennen. Da er sich weigerte, wurde er wegen „Missachtung des Kongresses“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Die Scheidung Arthur Millers von seiner ersten Ehefrau Mary Grace Slattery und die Hochzeit mit der Hollywood-Schauspielerin Marilyn Monroe erregten 1956 Schlagzeilen wie: Das „platinblonde Pin-up-Girl und der Ex-Kommunist und Intellektuelle“. Die scheinbar ungleiche Ehe hielt immerhin fünf Jahre. Für seine Ehefrau hatte Miller eine seiner Kurzgeschichten („The Misfits“) zu einem Drehbuch umgearbeitet und in der Verfilmung übernahm Monroe die weibliche Hauptrolle. Aber bald nach der Filmpremiere 1961 ließ sich das Paar wieder scheiden.

Bereits 1959 erschien eine erste Ausgabe von Millers „Collected Plays“ und in den folgenden Jahren wurde er mehrfach ausgezeichnet für seine Verdienste um das amerikanische Drama. 1962 heiratete er die österreichische Fotografin Inge Morath, aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

In den 1960er-Jahren folgten unter anderem die beiden Dramen: „After the Fall“ („Nach dem Sündenfall“) und „Incident of Vichy“ („Zwischenfall in Vichy“), in denen sich Miller mit der Realität in den Konzentrationslagern und der deutschen Judenvernichtung auseinandersetzte. Außerdem wurde er 1965 und 1967 zum Internationalen Präsidenten des P.E.N. gewählt. 1978 erschienen seine Theater-Essays, während er 1987 unter dem Titel „Timebends“ („Zeitkurven“) seine Autobiografie veröffentlichte, die Rolf Hochhuth als die „politisch gründlichste und menschlich bewegendste Selbstbiographie aus den Vereinigten Staaten“ lobte.

In den 1990er-Jahren meldete sich Miller wieder als Dramatiker zu Wort, unter anderem mit der Tragikomödie „The Last Yankee“ („Der letzte Yankee“), in der er noch einmal sein Lieblingsthema, das Scheitern des „american way of life“ aufgriff. Gemeinsam mit seiner Frau Inge, die 2002 verstarb, brachte er einige Bücher heraus, meist Reiseberichte, illustriert mit ihren Fotos. Eine letzte hohe Ehrung für Miller war 2003 die Auszeichnung mit dem „Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft“, der alle zwei Jahre verliehen wird.

Am 10. Februar 2005 starb Arthur Miller im Alter von 89 Jahren in Roxbory (Connecticut). Mit seinen Bühnenwerken war er einer der bedeutendsten Theaterautoren des 20. Jahrhunderts, in ihnen warf er einen kritischen Blick auf den Verfall der amerikanischen Gesellschaft. Die kleinen Leute, ihre Hoffnungen, ihre Lügen und Enttäuschungen und schließlich ihr Scheitern – das waren seine Themen.