Carla Dauven-van Knippenberg, Christian Moser und Rolf Parr (unter Mitarbeit von Anna Seidl) geben Band zu kulturellen Konstruktionen von Räumen heraus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Räume sind nicht nur geographische Gegebenheiten einer als empirisch und somit „real“ gedachten Wirklichkeit, sondern stets auch kulturell, das heißt in Literatur, Malerei, Architektur, Schauspiel, Film und Medien semantisch konstituierte Räume. Bereits das biblische Diktum „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ lässt sich in diesem Sinne als Akt der Etablierung zweier Räume und einer daraus resultierenden Grenze zwischen ihnen verstehen – wenn man so will als Genotyp aller Semantisierungen von Räumen und der sie unterscheidenden Grenzen, zwischen Hier und Dort, Eigenem und Fremdem, Innen und Außen, Begegnung und Konfrontation, Identität und Alterität. Die Grenze, die ausschließt und zugleich auch einschließt, ist somit einer der wichtigsten Modi menschlicher Raumerzeugung. Um solche aus Grenzziehungen resultierenden Semantisierungen von Räumen, die verbinden und Begegnungsmöglichkeiten schaffen, die aber auch ausschließen und damit auf Konfrontation hin angelegt sein können, geht es in diesem Band. Mit ihm wird der Versuch unternommen, die vielfältig abgestuften Erfahrungen von räumlichen Dimensionen kultureller Begegnungen zu konzeptualisieren, indem aus verschiedenen Zeiten sowie in je unterschiedlichen medialen Formen und Sprachen kulturelle Manifestationen von „Räumlichkeit“ analysiert werden.

Angeordnet sind die Beiträge zum einen nach Entstehungszeit der jeweils untersuchten Texturen, zum anderen nach systematischen Gesichtspunkten. Ihnen vorangestellt sind zwei Beiträge, die die Thematik des Bandes allgemeiner angehen. Der Beitrag von Rolf Parr greift die Grundlagendiskussion zur Raumfrage auf und argumentiert, dass die Systeme von Symbolen, die in einer Kultur gleichermaßen in Alltag, Medien und Literatur benutzt werden, in ihrer Gesamtheit so etwas wie „mental maps“ einer Kultur darstellen, nämlich räumlich-symbolische Vorstellungen von Gesellschaften. Auch der als „Notiz“ angelegte Aufsatz von Christoph Lindner hat aufgrund seines methodologisch fokussierten Ansatzes einführenden Charakter. Lindner stellt die Frage, inwiefern die Benutzung des Suffixes „-scape“ in theoretischen Kontexten zugleich auch eine kritische Reflexion auf verschiedene Raumtheorien darstellt.

In weiteren Beiträgen geht es um die Semiotik des Heils im Schauspiel des Mittelalters (Carla Dauven-van Knippenberg), Raumdimensionen des Markttheaters (Elke Huwiler) oder theatrale Räumlichkeit bei Diderot, Rousseau und Robespierre (Kirsten Kramer). Zwei Beiträge widmen sich dem Werke W.G. Sebalds (Johan F. Hartle und Anna Seidl) und mit „Mapping 9/11. Räume des Urbanen und Globalen in Jarret Kobeks ‚Atta‘“ (Dana Bönisch) sowie dem Aufsatz von Jürgen Raab, „Die räumliche Darstellung kultureller Konfrontationen im Bild. Das Fallbeispiel der Fotografie aus dem ‚Situation Room‘“ stehen künstlerische Arbeiten im Fokus, die politisch einschlägige Ereignisse dokumentieren: Zum einen in Form eines literarischen Werks (Kobeks „Atta“), in dem raumtheoretische Diskurse des Urbanen und Globalen den Text konstituieren, zum anderen in der Analyse der weithin bekannten Fotografie aus dem „situation room“ während der Tötung des Hauptverantwortlichen für die Anschläge vom 11. September 2001, Osama bin Laden. Abschließend rückt Markus Engelns in „Raum – Zeit – Geschichte. Konflikte simulierter und narrativer Räume im Computerspiel am Beispiel von ‚Fallout 3‘“ das Medium des Computerspiels in den Mittelpunkt: Laut Engelns werden in „Fallout 3“ unter anderem auch kulturelle Konflikte zwischen der Vergangenheit der USA und der Gegenwart thematisiert, da hier die auf Fortschrittsutopie zentrierten 1950er Jahre auf die post-apokalyptische Dystopie verstrahlten Ödlands treffen.

Die Publikationsreihe „Amsterdam German Studies. Forschungen – Berichte – Texte“ fokussiert transkulturelle und interdisziplinäre Zugänge. Sie will Raum für unterschiedliche thematische Perspektivierungen und methodische Zugriffe bieten – sowohl im Bereich der Geschichts- und Sozialwissenschaften als auch auf dem Feld der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften. Herausgegeben wird die Reihe von Nicole Colin, Carla Dauven-van Knippenberg und Ton Nijhuis.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeitern der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universitäten Marburg, Mainz oder Duisburg-Essen. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Rolf Parr / Christian Moser / Carla Dauven-van Knippenberg (Hg.): Räumliche Darstellung kultureller Begegnungen.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Krottenmühl 2015.
274 S. , 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783939381822

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