Robotron oder Apple?

Wiedervereinigung ausgefallen: Harald Martenstein und Tom Peuckert erzählen in „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ eine etwas andere Geschichte der DDR

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Romane über eine fortbestehende DDR über 1990 hinaus sind in der deutschen Gegenwartsliteratur gerade en vogue. Den Auftakt bildete 2011 Simon Urban mit „Plan D“; Anfang dieses Jahres folgte Thomas Brussigs Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“, in dem der ostdeutsche Staat, inzwischen führend auf dem Gebiet der alternativen Energien, auch 2014 noch existierte – die Wiedervereinigung war einfach ausgefallen, ja kaum einer der Figuren nimmt das Wort überhaupt noch in den Mund: „Es war direkt ulkig, im Jahr 2006 noch den Begriff ‚Wiedervereinigung‘ zu benutzen, so ulkig wie die Benutzung von Worten wie ‚Beatmusik‘, ‚Farbfernseher‘, ‚hurtig‘ oder ‚Telegramm‘“, berichtet der Ich-Erzähler bei Brussig.

Jetzt, ein halbes Jahr später, legen Harald Martenstein und Tom Peuckert mit „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ nach. In ihrem „Roman“, der hauptsächlich aus lose miteinander verbundenen Reportagen zusammengesetzt ist, ändern sich die Geschicke der DDR mit der Rede Günter Schabowskis am 9. November 1989. Jedoch geht es in ihr nicht wie in der historisch verbürgten Rede um eine neue Reiseregelung für DDR-Bürger, sondern um umfangreiche Erdölvorkommen, die an der Ostseeküste entdeckt worden seien. Die DDR ist ab sofort einer der reichsten Staaten der Erde, was sämtliche innenpolitischen Unruhen im Keim erstickt, denn „Geld ändert alles“, wie der Ich-Erzähler namens Harald Martenstein etwas wehmütig feststellt.

Am Tag der Maueröffnung zu Sylvester 1989/90 schmeißt das Zentralkomitee der SED eine riesige Party, die Bürger der DDR dürfen jetzt ungehindert in den Westen reisen. Die Geschichte verkehrt sich: Jetzt sind es nicht die „Ossis“, die neidisch zum Nachbarland hinüberblicken, sondern die „Wessis“. Die sich auf dem absteigenden Ast befindende Wirtschaft der BRD wird großzügig von der DDR subventioniert, was zahlreiche Arbeiter  vom Westen in den Osten lockt. Dort übernehmen sie Tätigkeiten, für die sich die eigentlichen ‚Werktätigen‘ zu fein sind. Arbeiten braucht man im Osten sowieso nicht mehr, gibt es doch seit dem Erdölfund mit dem so genannten „Bürgergeld“ ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden DDR-Bürger.

Im Zuge der „Wende“, „die in Wahrheit eher die Verlängerung einer Geraden gewesen ist“, gehen auch zahlreiche Politiker und Topmanager aus dem westlichen Nachbarstaat in die DDR: Karl-Theodor Guttenberg, seinen Adelstitel hat er in der neuen Heimat abgelegt, wird nach dem Skandal um seine Promotion Wirtschaftsminister im „Erdölsozialismus“, Uli Hoeneß Manager von Dynamo Dresden und Hartmut Mehdorn Chef beim VEB Kombinat Robotron, der „Hightech-Schmiede der DDR“. Eine Undercover-Reportage von Tom Peuckert, der im Buch neben Martenstein als freier Journalist in seinen Artikeln die Schattenseiten des „Erdölsozialismus“ aufzeigen will, kostet Mehdorn jedoch seinen Posten. Peuckert deckt auf, dass im Robotron-Werk in Dresden zwar jede Menge Arbeiter zu sehen, diese aber in Wirklichkeit beschäftigungslos sind. Sie täuschen Produktivität lediglich vor – vollautomatische Maschinen aus der Schweiz erledigen längst die eigentliche Arbeit. Diese entnehmen den Geräten von Apple, Sony und Samsung die besten Teile und setzen daraus neue Computer zusammen, die als Eigenentwicklungen von Robotron verkauft werden. Mehdorn kommt zu der bitteren Selbsterkenntnis, dass Potjomkin gegen ihn „ein grundehrlicher Mensch“ gewesen sei und sehnt sich nach seiner westdeutschen Heimat, wo er hätte Bahnchef werden können.

Das alles liest man mit einem Schmunzeln; an Ideen mangelt es Peuckerts und Martensteins Buch nicht: So moderiert etwa Kati Witt gemeinsam mit Kai Pflaume die Sendung „Straße der Besten“, eine DDR-Version des Dschungelcamps, und betont in einem Interview die „gesellschaftlich-emanzipatorische“ Aufgabe, die das Format erfülle. Oder Sahra Wagenknecht, die als Yogalehrerin arbeitet, und nach dem Unterricht manchmal „eine Viertelstunde lang auswendig aus den Schriften von Hegel, von Lenin, von Schopenhauer oder Feuerbach“ zitiert. In seiner Gesamtanlage vermag der „Roman“ jedoch nicht zu überzeugen. Zu disparat sind die einzelnen Teile, die sich nicht zu einem Ganzen zusammenfügen. Die Einschübe des Ich-Erzählers Martenstein unternehmen zwar den Versuch, die Reportagen miteinander zu verbinden, doch das misslingt ihnen gründlich. So entsteht kein großes Ganzes, sondern ein Flickenteppich bestehend aus einzelnen Erzählungen. Von einem „Roman“ ist hier kaum zu sprechen, eher von einer Sammlung von Erzählungen beziehungsweisen Reportagen.

Daneben vermag auch das sprachliche Niveau nicht zu überzeugen. Dafür sind, von der Rahmenhandlung einmal ganz abgesehen, viele Passagen zu flach und uninspiriert erzählt. Die Texte erwecken zuweilen den Eindruck, als seien sie innerhalb kürzester Zeit zu Papier gebracht worden, um noch pünktlich zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung erscheinen zu können. Etwas mehr Sorgfalt hätte den Texten sicher gut getan. Wesentlich besser, wenn auch nicht frei von einigen Schwächen, ist der Versuch, die DDR literarisch über 1990 hinaus fortbestehen zu lassen, Thomas Brussig gelungen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag ist seit dem 5.10.2015 auch bei Literatur Radio Bayern zu hören.

Titelbild

Harald Martenstein / Tom Peuckert: Schwarzes Gold aus Warnemünde. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015.
256 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351036072

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