Luxuspsychosen

Philipp Tingler erzählt in „Schöne Seelen“ von einem Experiment

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literatur des schweizerisch-deutschen Schriftstellers Philipp Tingler ist hochamüsant und sehr unterhaltsam, wie man seit Titeln wie dem Roman Doktor Phil (2010), dem Kurzprosaband Juwelen des Schicksals (2005) und einem Reiseratgeber weiß. Der Zürcher Verlag Kein & Aber nimmt sich seit einigen Jahren Tinglers aktueller Produktion an und bringt sein Werk in hochwertig gestalteten Büchern auf den Markt. Tingler gehört zu den Autoren, die zwar einen begeisterten Leserkreis, aber unverständlicherweise niemals eine Buchpreisnominierung oder einen anderen Literaturpreis erhalten haben, von einer Auszeichnung wie dem Förderpreis zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor abgesehen. Dabei sind seine „Texte“ – ein Wort, das Philipp Tingler in seiner die Teilnahme beim Bachmann-Wettbewerb verhandelnden Teilautobiographie Ich bin ein Profi zu diskreditieren versuchte – eine Genremalerei der Upper Class, die amüsante Ausstülpung der Vanity Fair ins Erzählerische. Seine Schauplätze sind Zürcher Nobellokale, die Kronenhalle und die Villen der Schönen und Reichen; seine Figuren kleiden sich in Luxusmarken und sind belastet mit den Sorgen des Geldes, der neusten Mode und der noblen Tristesse.

Philipp Tingler selbst legt die Inszenierung seiner Autorschaft so an, dass sich der reale Autor Tingler mit einem Bild überblendet, das er von sich selbst schafft, dem Autor von Benimm- und Stilhandbüchern, dem High-Society-Experten, dem Fan amerikanischer Comics, von Serien und Populärkultur, dem muskelbepackten Intellektuellen, dem Trendsetter und Glossenschreiber für Lifestyle-Magazine, dem radikalen Streiter für einen freiheitlichen Liberalismus, dem meinungsstarken Literaturkritiker im Fernsehen, dem Thomas-Mann Experten und dem Ökonomen.

Tinglers neuer Roman Schöne Seelen schließt an seinen Vorgänger Doktor Phil an, in dem der Leser bereits vertraut gemacht wurde mit dem Schriftsteller Oliver Canow, der zugunsten seines literarischen Schaffens einen Pakt mit dem Teufel eingeht, der eines Tages in Gestalt des Modedesigners Roberto Cavalli vor seiner Tür steht. In Schöne Seelen ist Oliver Canow wiederum die Hauptfigur, immer noch erfolgreich als Autor, immer noch verheiratet mit einer schönen und reichen Amerikanerin. Seine gute Freundin, die Society-Lady Millvina Van Runkle, die „ein Leben für die Gesellschaft geführt“ hatte, ist verstorben und unter großem Aufgebot beerdigt worden. Die Gespräche drehen sich um den allen Reichen gemeinsamen Innenausstatter: „Ronaldo Riviera, der in Wahrheit Thorsten Mischwitzky hieß und in einem deutschen Städtchen namens Wuppertal als Schaufensterdekorateur angefangen hatte und nun also zu einer jener typischen Randfiguren im Orbit der höheren Sphären aufgestiegen war, die ihre Karriere der Laune der Mode verdanken und für die es gefährlich wird, wenn sie das vergessen.“

Nur Oliver Canows Freund Viktor geht es weniger gut; in seiner Ehe kriselt es, und seine Frau verlangt von ihm, eine Therapie zu machen. Für diese Maßnahme fehlt ihm allerdings, vor lauter schöngeistiger Betätigung – er ist Theaterschauspieler –, die Zeit. Da ist es doch ein guter Einfall, dass der Schriftstellerfreund an seiner statt und unter seinem Namen die Therapie beim Starpsychologen Doktor Hochstädder antritt, schon allein deshalb, weil die so erzeugte Konstellation auch zukünftigen literarischen Projekten dienlich sein könnte. Beglückt begleitet der Leser Oliver Canow durch seinen Alltag, durch die wöchentlich stattfindenden Psychotherapiesitzungen und zu seinen anschließenden Berichten, welche Canow dem Freund gegenüber erstatten muss. Alles scheint perfekt in diesem Arrangement, bis Oliver Canow sein Edelnotizbuch in der Praxis verliert und ein kleiner Fehler beinahe zu einer irreparablen Katastrophe führt. Und doch: Am Schluss ist fast alles wieder gut.

Tinglers Figuren sind meist „Charaktere, die, um keine eigene Meinung haben zu müssen, fast alle die Vorurteile und Meinungen ihres Milieus ebenso gemächlich annehmen wie sie ihr Gewissen der jeweiligen gesellschaftlichen Lage anpassen.“ Die Brüchigkeit einer High-Society-Ehe sowie der Freundschafts- und damit Teufelspakt sind die Themen des amüsanten Romans, der sich liest, als wäre er ein Zwischenstück hin zum nächsten größeren Werk. In der Tiefe von Schöne Seelen geht es um die Frage, durch welche Abgründe des wahren Lebens man Inspiration gewinnt, die zu echter Literatur führt, und wie krank man sein muss, um sich mithilfe des Schreibens zu therapieren.

Philipp Tingler jedenfalls sollte noch bekannter werden, da er eine wohltuende Abwechslung bietet zur ewigen Ernsthaftigkeit vieler bereits etablierter Autoren. Nicht umsonst schrieb Tingler nach seiner Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb über die literarische Szene als „von einem Milieu […], das sich selbst als Literaturbetrieb bezeichnet. Abgesehen von Runkelrübennasen, konventionellen Ansichten und schlechtsitzenden Anzügen geben die Stützen dieses Betriebs eigentlich nicht viel her.“ Wer möchte dem nicht beipflichten? Aber ein diabolischer Schelm wie Tingler (vielleicht selbst im Pakt mit dem Teufel) umgeht diese Mechanismen, ist plötzlich selbst Kritiker im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und findet seine Leser.

Titelbild

Philipp Tingler: Schöne Seelen. Roman.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2015.
333 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783036957234

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