Drei Fragen zum Traumfinale

Mit dem 21. Band versucht Angela Sommer-Bodenburg einen endgültigen Abschluss der Reihe „Der kleine Vampir“

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

20 Bände lang zeichnete sich Angela Sommer-Bodenburgs Reihe Der kleine Vampir vor allem durch eines aus: Verlässlichkeit. Weder gab es große Veränderungen im Personal noch alterte dieses merklich oder fanden die gesellschaftlichen, technischen und medialen Veränderungen zwischen 1979 und 2008 einen spürbaren Wiederhall in den Romanen. Ein Großteil des Erfolges beim mitgewachsenen Publikum mehrerer Kindheitsgenerationen dürfte darin begründet liegen: In der konservierten heilen Mietwohnungsweltordnung der 1980er-Jahre, deren sonstige literarische wie filmische Repräsentationen inzwischen längst das Zeitliche gesegnet haben und allenfalls in nostalgischen Rückblicken für einen Moment wiederkehren. Auch die nahezu unveränderte Erzählweise Sommer-Bodenburgs, die im Unterschied zu J.K. Rowling und Harry Potter bislang weder an Umfang noch an Drastik je zugelegt hatte, trug zur verlässlichen Wiederkehr des 20-mal Ähnlichen bei.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es eine äußerst mutige Entscheidung, aus dem selbstangelegten Korsett auszubrechen, was bereits der fast doppelte Umfang von 232 Druckseiten andeutet. Und auch die Brüche, die den neuen Band leitmotivisch durchziehen, hätten kaum radikaler inszeniert werden können. Bereits die erste Szene eröffnet mit gleich mehreren Überraschungen: Antons Eltern, deren Abneigung gegen Vampire stets die Grundspannung der Romane ausgemacht hatte, haben sich getrennt – und die vormalige Kleinfamilien-Idylle, deren Enge Anton immer wieder mit Büchern und nächtlichen Abenteuern zu entfliehen suchte, ist zerbrochen. Während die Mutter bereits ausgezogen ist und mit ihrem neuen Freund Urlaub macht, verbringt Anton seine Ferien beim in der gemeinsamen Wohnung zurückgebliebenen Vater, der lange arbeitet und daheim einen trostlosen Jogginghosen-Lifestyle zwischen Sofa, Fernseher und Mikrowellenessen pflegt. Anton, ansonsten besonders oft zu Romanbeginn als eifriger Leser gezeigt, starrt zum 21. Auftakt lediglich traumatisiert vom Bett aus an die Decke – und wartet.

Dieser statischen Exposition sind noch weitere gravierende Veränderungen eingeschrieben. Denn seit dem Biss durch Olga im 20. Band, der an Anton zwar nicht die im Titel attribuierte ‚letzte Verwandlung‘ vollzogen hat, ist er dennoch Vampir-ähnlicher geworden, was sich gerade in alltäglichen Situationen für Anton nachteilig äußert. Sein Handy  fasst er aufgrund einer Unverträglichkeit nur wiederwillig an und im Gegensatz zum Rest seiner Schulklasse benutzt er im Unterricht kein Tablet. – Was sich als trivialer Befund leicht überlesen ließe, ist nichts anderes als eine Revolution der erzählten Welt vom ‚kleinen Vampir‘, in der es mit Buch, Fernseher und Kassettenrecorder des Ausgangsjahres 1979 keine medialen Anpassungen gegeben hatte. Somit ist bereits hierin die große Veränderung beschrieben, die Anton seiner alten Welt halb entrückt und einem neuen Zwischenzustand zugeführt hat, den zu meistern ihm anfangs nicht gelingt. Dies zu lesen, ist nach den Jahrzehnten der Fortschrittsresistenz irritierend. Aber überaus folgerichtig, wenn es Sommer-Bodenburg ernst meint mit dem Ende der Reihe.

Nach 343 einsamen Nächten erhält Anton neuerliche Besuche der Vampire Anna und Rüdiger. Er entflieht seinem Elternhaus indem er vorgibt, mit Annas Familie in den Urlaub zu fahren, stattdessen aber mit Anna in der Villa eines befreundeten Professors und dessen Tochter wohnt. Hier ist es dem erhöhten Umfang des Bandes zu verdanken, dass mehr Raum für Beschreibungen, Namen und Details ist. Auch wenn sich die Reihe seit jeher durch vielzählige Verweise und Anspielungen auf Klassiker der phantastischen Literatur auszeichnete, findet dieses Motiv in der Bibliothek des Professors, die eine eigene vampyrologische Sammlung beinhaltet, seine Vollendung. Auch, weil diese Antons altes Interesse an Literatur wiedererweckt.

Ohne Spoiler ist der weitere Verlauf kaum zu besprechen, denn alles läuft auf die entscheidende Frage zu – ob Anton zum gemeinsamen ewigen Leben mit seinen Vampirfreunden übergehen oder Mensch bleiben wird. Die Antizipation der möglichen Enden – Anton willigt ein und wird ebenfalls zum Vampir, oder er verneint und verprellt Anna und Rüdiger dadurch – stehen im Mittelpunkt von Antons Denken. In der Reflexion seiner Möglichkeiten, die sich bereits in früheren Büchern findet, ist Anton jedoch zunehmend konservativer und, paradoxerweise, daher für die letzte Verwandlung stetig empfänglicher geworden. Ins alte Leben zurückzumüssen, erscheint nunmehr als Horrorvision, weil er die durch die neuen Beziehungspartner seiner Eltern und Geschwister angedeuteten Veränderungen seines gewohnten Alltags fürchtet. Demgegenüber gewinnt die Ewigkeit einer garantierten Veränderungslosigkeit in guter Gesellschaft seiner Vampirfreunde an Attraktivität.

Den alles verändernden, revolutionierenden Schritt zu wählen, um den ewigen Gleichlauf der Fortexistenz dadurch zu sichern, der erst durch die gravierende Erfahrung der Trennung seiner Eltern eingeleitet wurde, ist gleichbedeutend für den Zusammenbruch einer alten, heilen Welt – aus deren traurigen Resten sich Anton zu erretten sucht.   

Das Leben mit den Vampiren hatte immer etwas Traumhaftes. Ohne das Wissen(-wollen) seiner Eltern führte Anton von Anfang an ein eigenes, der Alltagswelt abgewandtes zweites Leben, dessen Dunkelheit wiederholt als große Verheißung eines Erwachens angeklungen war. Die dazu notwendige Frage aller Fragen, ein zentrales Motiv zwischen Anton und den Vampiren, wird auf dem Weg zum „Finale“ noch dreimal gestellt. Antons Antwort indessen lässt ein endgültiges Ende der Reihe ebenso plausibel scheinen wie einen ganz neuen Anfang.

Titelbild

Angela Sommer-Bodenburg: Der kleine Vampir und die Frage aller Fragen.
Mit Illustrationen von Amelie Glienke.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015.
240 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783499217258

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