Kleines Kaleidoskop der Kulturkontakte

Eine Aufsatzsammlung zu Szenen und Modellen in deutsch-japanischen Kontexten

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Komplexität von Kulturbegegnungen widmen sich in den letzten Jahren zahlreiche  Forschungsarbeiten verschiedener  Richtungen. „Kulturkontakte. Szenen und Modelle in deutsch-japanischen Kontexten“, ein Sammelband von Thomas Pekar und Yuichi Kimura, nimmt seine Analysen vorwiegend in europäisch-asiatischer Perspektive vor. 18 Beiträge und eine Einleitung enthält die als Band 43 der Edition Kulturwissenschaft im transcript Verlag 2015 publizierte Anthologie; sie ging aus der 2013 in Tokyo veranstalteten Tagung „Grenzen der Lesbarkeit von Kulturen. Kulturkontakt-Modelle“ hervor. In der Einleitung kommentieren die beiden Germanisten von der Gakushuin Universität, wie es die wissenschaftliche Etikette gebietet, zunächst ihren Gebrauch der Wendung „Kulturkontakt“ (mit dem Klassiker des Orientalismus, Said 1979; früh innerhalb der Kolonialismusforschung, Bitterli 1986), der einerseits zwar eine gewisse Antiquiertheit aufweise und mittels forschungsgeschichtlich einzustufender Befunde (Konstruktion der Nation durch Narration, Bhabha 1994; Transkulturalität, Welsch 1994, 1999; negative Selbstbeschreibungen, Busch 2003) und auf der Basis aktuellerer Zugänge (Hyperkultur, Byung Chul Han 2005; Kulturtransferforschung, Keller 2011) hinterfragt werden solle, andererseits aber dadurch, dass er nicht unmittelbar im Rahmen einer Theorie fixiert sei, wieder Interpretationsräume öffne.

Vier weitere Gründe außer dem des „Pragmatischen“ werden für eine neue Sichtung der Kulturkontakt-Konstellation Asien-Europa genannt: „lokal, historisch, methodisch, räumlich“. Nicht jeder dieser Gründe mag ähnlich einsichtig sein. Der historischen Perspektive ist nach wie vor die größte Plausibilität eigen, ebenso trifft ohne Zweifel der „lokale“ Befund zu; er besagt der zu bestätigenden Auffassung der Herausgeber gemäß, dass in „anderen Weltgegenden“ nationale Kultur und Identität − im Unterschied zum „euphorischen“ Anti-Eurozentrismus „westeuropäischer Intellektueller“ − durchaus positiv aufgefasst werden. Während das Denken von „Kulturen als separaten Einheiten“ also weder global noch regional überwunden sein dürfte, erscheinen die Felder „methodisch“ und „räumlich“ weniger zwingend und relativ willkürlich auf Sekundärliteratur bezogen, die nicht in dem Maß richtungsweisend wie die Beiträge von Homi Bhabha, Urs Bitterli oder Wolfgang Welsch ist.

Nur reduzierte Überzeugungskraft beinhalten schließlich die Sätze zur „zusammenhaltenden Klammer“ des Buchs: Beruft man sich auf die pluralische Formulierung „Kontexte“ im Untertitel, möchte man eine „grundlegende Dichotomisierung“ vermeiden; damit gerät allerdings die „Klammer“ zu einer eher losen Schnur, die ein weites Areal der Kulturweide umspannt. Zutritt zum abgesteckten Feld haben diesem Schema nach nun germanistische Spezialisten wie Uwe Wirth und Moritz Baßler, deren Ausführungen sich nicht auf den „ostasiatischen Bereich beziehen“ und die auch „nicht an asiatischen Universitäten lehren“. Andere Texte, so die Erläuterung, stammen von Forschern und Forscherinnen, die in Japan oder Korea leben und über europäische Inhalte schreiben (etwa Kyungboon Lee, Asako Fukuoka, Satomi Nobata), was die „Leistungsfähigkeit einer kulturwissenschaftlich orientierten Auslandsgermanistik“ demonstriere sowie ihren „produktiven Abstand zur Inlandsgermanistik“ beweise. Am besten hätte man an dieser Stelle wohl auf die etwas bemühten Erklärungen zur Zusammenstellung verzichtet und dafür eine ausgewogenere, sich in den jeweiligen Disziplinen (Germanistik, Kulturwissenschaft, Musikwissenschaft, Ideengeschichte, Zeitgeschichte, Politikwissenschaft, Japanologie et cetera) − des (implizit) doch multidisziplinär angelegten Ansatzes – entwickelt habende Geschichte der Studien zum Kulturkontakt Asien-Westen / Schwerpunkt Japan dargeboten. Leider unerfüllt bleibt also ein Wunsch nach Präzisierung der Forschungskonstellation, nach einer möglichst vollständigen Erhebung des (für die Konstellation relevanten) Forschungsstands und damit ein Verweis auf die aktuelle Kartierung des Feldes: Verschiedene ältere und rezente germanistisch-komparatistische Arbeiten beziehungsweise die Ergebnisse früherer Forschungsinitiativen mit ähnlicher Thematik sind in der Einleitung ausgespart, zum Beispiel die seinerzeit vom Bayreuther Germanisten Walter Gebhard herausgegebenen Bände zur Ostasienrezeption (2000, 2003, 2007).

Die Diskussionen der „Modelle“ im ersten Teil, die vorwiegend nicht auf Asien Bezug nehmen, rekurrieren häufig auf den in der Einleitung vorgestellten, von der Studiengruppe bevorzugten Kanon, erwähnen aber zusätzlich noch Theoretiker des Kulturkontakts wie Georg Simmel und Néstor García Canclini (Wirth), Roland Barthes und Augustin Berque (Walter Ruprechter). Barthes und Berque sind freilich oft bemühte Favoriten der germanistischen Japanbetrachtung, laufen jedoch in ihren ambitionierten Denkspielen und ihrer kulturessentialistischen Phänomenologie des Indigen-Japanischen auf eine Enigmatisierung des asiatischen „Anderen“ hinaus. Die Alterität, die mit diesen frei assoziierenden Beobachtern im Stile der – durchaus reizvollen – philosophischen Exploration beschrieben wird, geht dabei nicht unbedingt mit den Fakten der insularen Kultur- und Ideengeschichte konform, sondern wiederholt – aus dem Blickwinkel der weniger phantasiebegabten, auf landessprachliche Originaltexte beschränkten Japanologen westlich-orientalisierende Projektionen – eben gerade jene Klischees, die man in der Einleitung zurecht als unzeitgemäß ablehnt.

Die Ausrichtung der Publikation auf das Germanistische führt nun dazu, dass in diesem Feld die Fortentwicklung der Forschung angemessen berücksichtigt wird – von der interkulturellen (westlichen) Germanistik à la Wierlacher bis zur differenzierten Reflexion der endogenen fachlichen Perspektive durch japanische Germanisten (Takahashi 2004, Maeda 2011). Zitierte japanologische Analysen, die sich mit dem japanischen Identitätsdiskurs und mit Kulturkontakten aus japanischer Sicht befassen, sind meist einigermaßen veraltet, das heißt sie entsprechen kaum dem gegenwärtigen Kenntnisstand. Daraus resultiert insgesamt eine leicht unausgewogene Proportion der Anthologie – die freilich nicht nur Kritik verdient.

Unter den dreizehn im inhaltlichen Teil versammelten Beschreibungen von Kulturkontakten finden sich nämlich sehr interessante Szenarien wie die von der Musikwissenschaftlerin Kyungboon Lee erörterte Rezeption der Militärmusik in Korea. Lee fragt nach der Funktion von Musik als Symbol des Staats, führt in das Wirken des von 1879 bis 1899 in Japan tätigen und in Seoul beerdigten schlesischen Militärkapellmeisters Franz Eckert (1852–1916) ein und erschließt so einen eher selten erkundeten politisch-musikhistorischen Bereich. Akane Nishioka behandelt in einem aufschlussreichen und mit einschlägigen Illustrationen versehenen Aufsatz die „proletarischen“ Manga des journalistischen Karikaturisten Yanase Masamu; dieser war Anhänger des zeichnerischen Stils von George Grosz (1893–1959) und wirkte „am Organ der Kommunistischen Partei Japans“ (KPJ), der Musansha Shinbun (Zeitung der Besitzlosen), mit. Er publizierte in den sozialistischen Zeitschriften Tanemakuhito (Der Sämann) und Bungei Sensen (Literaturfront) aus den 1920er-Jahren, wobei die „Erfahrung der großen Erdbebenkatastrophe im September 1923 ihm den Anstoß zur politischen Kunst gab“.

Mechthild Duppel-Takayama setzt sich mit Literaturpreisen im modernen Japan auseinander; sie zieht dabei, ebenso sinnvoll wie lobenswert, viele japanische Originalquellen (zum Beispiel Izumi Tsukasa) zurate; den informativen Beitrag hätte eine umfangreichere Bezugnahme auf die zeitgenössische japanische Literaturszene mit entsprechenden Sekundärliteraturangaben vervollständigt. Anregend ist ebenfalls der Aufsatz von Asako Fukuoka zur „Japan-Thematik bei Elfriede Jelinek“. Jelinek ist nach den Ereignissen vom 11. März 2011 als eine deutschsprachige „Post-Fukushima-Autorin“ hervorgetreten. Fukuoka bezieht sich auf das Stück „Kein Licht“ (2011) und betont die wirkungsvolle Polyphonie der Textzitate. Aus einem globalen Kanon stammt die Pluralität der kulturellen Verortbarkeiten des „wir“, des sprechenden Subjekts, das Jelinek auftreten lässt, um die zwingende Gemeinsamkeit der Artikulierenden zu bestätigen.

Interessant liest sich im Weiteren Ryu Itoses mit etlichen Originalzitaten in Übersetzung angereicherte Annäherung an den japanischen Sinologen Takeuchi Yoshimi. Der Verfasser kommentiert Takeuchis Studienfachwahl unter dem Aspekt „Sympathie für die Schwachen“, seine Abhandlungen unter der Themensetzung „Moderne in Asien“; dieses große Feld im Allgemeinen sowie die Denkfigur „Überwindung der (westlich konnotierten) Moderne“ im Besonderen wurde selbstverständlich schon vielfach bearbeitet, so dass sich an dieser Stelle wiederum ein komprimierter Überblick zur Forschungslage und eine kurze Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse angeboten hätten.

Zeitlich in der Moderne um 1900 angesiedelt ist ebenfalls Thomas Pekars routiniert verfasste, belesene Analyse des Bushidô-Konzepts von Lafcadio Hearn und Inazô Nitobe, in der er präzisiert, wie sehr Hearns Japanbild der westlichen Orientalismusmode folgt, während sich die individuelle Haltung des Autors gegenüber seinem Gastland als ambivalent einschätzen lässt: „Hearns exotisches, traum- und märchenhaftes Japan – diese ‚world of strangeness‘ […] par excellence – war keine Beschreibung (bzw. kein Beschreibungsversuch) Japans, sondern Produkt einer bewusst gewählten journalistischen und auf Wirkung bezogenen Schreibstrategie. Neben diesem Märchen-Japan (an das Hearn allerdings zuweilen selbst zu glauben schien) gab es aber das banale Alltags-Japan, welches in seinen nach seinem Tod veröffentlichten Briefen sichtbar wird, wo er beispielsweise schreibt: ‚It is a bitter life [in Japan]. I am ashamed to say, I feel worn out‘ – oder gar von seinem ‚Hass‘ auf Japan (besonders auf Tokyo) spricht“.

Trotz mancher Vorbehalte, vor allem im Hinblick auf das Kompilierungsprinzip des Bandes, stellt er mit den erwähnten Beiträgen doch eine willkommene Ergänzung der Kulturkontaktforschung dar. In Zeiten, in denen beispielsweise die japanische Regierung in Gestalt des Ministers für Bildung und Erziehung die staatlichen Universitäten mit einem Anschreiben vom 8. Juni 2015 anweist, ihre Fakultäten für Geistes- und Sozialwissenschaften abzuschaffen oder die Lehrpläne auf Inhalte mit größerem Nutzwert umzustellen, kann man sich glücklich schätzen, Bücher, die aus einer Forschungskooperation von Germanisten und Komparatisten aus Japan, Korea und aus deutschsprachigen Ländern entstanden sind, in den Händen zu halten. Für eine künftige ertragreiche multikulturelle Interaktion ist es unerlässlich, Gesprächspartner vorzufinden – sogar in akademischen Einrichtungen und nicht allein in den Ausschüssen von Sportfunktionären. Nichts wäre einem zivilisiert zu nennenden Leben in der Ära der Globalisierung abträglicher, als wenn die höheren Bildungsanstalten reicher Länder sich nur noch der ökonomischen Nutzbarkeitsmachung von staatlich ausgewählten Wissensbereichen widmen dürften und man unter „Kultur“, billigem Verpackungspapier gleich, eine vernachlässigbare Komponente beim Austausch von Waren verstünde.

Titelbild

Yuichi Kimura / Thomas Pekar (Hg.): Kulturkontakte. Szenen und Modelle in japanisch-deutschen Kontexten.
Transcript Verlag, Bielefeld 2015.
368 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783837627398

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