Vom Luxus, Ausgesuchte zu treffen

Mit „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ ist Ursula März der Liebesanbahnung auf der Spur

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich eine „bessere Hälfte“ anzulachen, kann ganz schön anstrengend sein. Warum sich also nicht helfen lassen? Dafür gibt es Agenturen oder Partnerbörsen im Internet. Wenn bei Verabredungen die Chemie stimmt, heißt das jedoch noch lange nicht, dass der ersehnte Funke überspringt beziehungsweise sich eine Verbindung „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ anbahnt. Von fünf Dates unter dieser Spannung erzählt Ursula März in ihrem Buch mit diesem Titel.

Da ist zum Beispiel Manfred Hügel, der mit Ursula März auf dem Karlsruher Flughafen für einige Stunden unfreiwillig festsitzt. Das Ambiente passt zu seiner Erzählweise. Anheimelnd ist anders. März findet treffende Worte dafür. Sie nimmt den Leser an die Hand, der sich ihrer Führung durch Erlebnisse, Stimmungen, Analysen anvertrauen darf. Die Autorin ist immer präsent, was sie auch erfragt oder ungefragt erfährt. Darauf ist Verlass. Sie nutzt überdies eigene Erfahrungen, Ansichten und Reflexionen, um den Dates Tiefenschärfe zu verleihen.

Ingenieur Hügel genießt ihre Neugier und gehört wie Ursula März zu jenen „umtrainierten Schüchternen, bei denen niemand auf die Idee kommt, sie für schüchtern zu halten […] außer den Schicksalsgefährten“. Bis er Olivia trifft, ist er fest davon überzeugt, dass Frauen über 60 Kilo für ihn nicht zuträglich sind. Für vier Jahre „Darf’s ein bisschen mehr sein“, wie die Kapitelüberschrift verrät. Eine Seitensprung-Affäre, deren unkonventionelle Note überrascht.

Ganz anders die weiteren vier Dates – eine pensionierte Post-Angestellte „mit Anspruch“ lässt sich auf einen jüngeren Mann ein; ein Internist Ende 30, dessen Vorliebe dem „Manövrieren gegen die Eindeutigkeit“ gehört; eine beeindruckende Liebe zu einem Kubaner, nicht ohne Hindernisse, aber offenbar mit günstiger Prognose; Impressionen einer Single-Party, bei der ein Lulatsch die Autorin als „Gesprächsstatistin“ benutzt, um „von der Insel der stummen, verlorenen Partyzaungäste […] zum Festland konformer Geselligkeit“ zu gelangen.

Die Literaturkritikerin Ursula März tritt als sechste Person in ihrem Buch auf. Sie wollte zunächst ein Sachbuch schreiben, wozu sie sich selbst probeweise in mehrere Single-Börsen eingeloggt hat, wie sie am 17.9.2015 in einem Interview im Bayerischen Fernsehen berichtete. Hier gesteht sie auch, dass sie die „Wahrhaftigste“ in ihrem Buch ist, während die anderen Figuren nicht unbedingt in der Wirklichkeit existieren: „Es ist nicht gesagt, dass es nicht ‚Fiktion‘ ist.“

Als authentische Erzählerin flicht sie ihren Blickwinkel mehrfach in jede Episode so ein, dass es kontrastierend, unterstreichend oder erklärend wirkt. Es gelingt ihr, Prägungen zu vergegenwärtigen, für Barrieren in der eigenen Vorstellungswelt zu sensibilisieren, viele Schattierungen ihrer Flüchtigkeit zu entreißen. Sie entblättert die Figuren auf kritische, aber diskrete Weise. Gerade das Irritierende interessiert sie – und der Prozess zwischen Zweifel und Stimmigkeit. Neugier und Anteilnahme prägen das journalistische Unterfangen, mit fiktiven Elementen, essayistischen Reflexionen und Selbstauskünften die Balance zwischen Freiheit, Ratlosigkeit und Klarheit bei der Liebessuche auszuloten.

Titelbild

Ursula März: Für eine Nacht oder fürs ganze Leben. Fünf Dates.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
228 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446249073

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