Grün, grün, grün sind alle meine Wörter

Tanja Dückers und Katja Gehrmann ermutigen zur Lust am kreativen Sprachspiel

Von Bernd SchneidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Schneid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die erfolgreiche Autorin und Journalistin Tanja Dückers liefert unter dem erst einmal schwer zu merkenden Titel „Katzenaugen-grüne-Trauben-Blitzer-Glitzer-Geistergrün“ bereits ihr zweites Kinderbuch, das von der Illustratorin Katja Gehrmann thematisch passend bebildert wurde. Erzählt wird hier von der kleinen großen Lara und ihrem starken Willen, von nun an nur noch grüne Kleider anzuziehen. Lara ist ein selbstbewusstes Mädchen und erinnert mit ihren roten Locken und ihrem Piratentuch an eine zeitgenössische Überarbeitung der Pippi Langstrumpf, die keine unerreichbaren Superkräfte mehr braucht, sondern auch ohne diese superstark ist. Außerdem ist Lara schon sieben Jahre alt und geht in die Schule. Immerhin. Für ihre jüngere Freundin Finja, die noch nicht in der Schule ist, und ihren Bruder Simon, ein Baby, ist Lara also bereits eine akademische Autorität, die ihre eigenen Ideen kreativ realisiert und selbstbewusst präsentiert.

Als Initialzündung der Geschichte muss Laras Wissen aus einem Buch herhalten, in dem sie gelesen hat, dass die Inuit 20 verschiedene Worte für Schnee hätten. Da angelesenes Wissen ja auch mitgeteilt werden muss, erklärt Lara dann auch Finja die Welt, die Lust an der Sprache und im Speziellen, wie viele Arten von Grün es eigentlich gibt. Denn Lara hat vollkommen Recht, wenn sie sagt: „Es gibt doch nicht einfach nur Blau, Rot oder Grün. Es gibt echt viele Rots und Blaus und Grüns!“ Und wenn das ‚normale Grün‘ der Strickjacke von Lara als „Wackelpuddinggrün“ mit einer Nuance „Smartiesgrün“ beschrieben wird, eröffnet sich das Spektrum der emotional besetzten und sinnlichen Verbindung des Kindes zu seiner Lebenswelt und vor allem zum Erzählen, das im Folgenden aus Lara hervorbricht und die beiden Mädchen zu einer abenteuerlichen Sprachreise um die Welt führt. In der kindlichen Vorstellung der Heldinnen wimmelt es bald nur noch von tausenden Ideen zu den verschiedensten Schattierungen von Grün – mit Katzen, Hexen, Piraten und Meerjungfrauen.

Obwohl das Buch schon ab einem Alter von drei Jahren empfohlen wird, würde man sich manchmal doch etwas mehr Spannung wünschen. Gerade die Angst des Grundschülers vor dem Lesen und Schreiben hätte eingehender thematisiert werden können. Denn das Krokodil im Kleiderschrank der Eltern bleibt leider eine etwas blasse Fantasie und schöpft nicht das ganze Konfliktpotential der Bedrohung durch Sprache aus, wie sie in der Schule tatsächlich vorhanden ist. Das „Geistergrün“ im Titel bleibt so leider nur ein vages Gespenst, von dem man sich etwas mehr an Schrecken gewünscht hätte. Abseits dessen bietet „Katzenaugen-grüne-Trauben-Blitzer-Glitzer-Geistergrün“ aber eine spannende und vor allem sprachlich und bildlich überbordende Schlacht zweier Mädchen, die mit der Plünderung des elterlichen Kleiderschranks beschäftigt sind. Zentral erscheint Lara als ältere Freundin Finjas, die ihre Wahrnehmung der Welt erheblich verändert und für sie zu einem positiven Vorbild wird.

Der in Wirklichkeit etwas komplexere Mythos der scheinbar 20 verschiedenen Ausdrücke für Schnee der Inuit, der ja auf den Ethnologen und Sprachwissenschaftler Franz Boas zurückgeht, müsste für Erwachsene zwar etwas relativiert werden, bleibt so aber doch für die Sprachspiele als Initialzündung von Kreativität bedeutsam. Gerade weil es sich um ein Kinderbuch handelt, sollte mit einem pädagogischen Seitenblick immer mitbedacht werden, dass Sprache sich im Sinne Ferdinand de Saussures nicht nur synchron verhält, sondern diachron verläuft und sich zeitübergreifend verändert. In dieser Weise wichtig ist, dass Dückers den Kindern das Recht auf ihre Sprache und das Spiel mit dieser lässt. Denn titelgebende Bindestrich-Monster wie „Katzenaugen-grüne-Trauben-Blitzer-Glitzer-Geistergrün“ finden sich zum Glück (noch!) nicht im Duden. Die Herangehensweise der Autorin ist dahingehend sehr inspirierend, die wunderschönen Bilder Katja Gehrmanns unterstreichen die ursprüngliche Verbindung zwischen Schrift und Bild grundsätzlich.

Zusammengefasst sind Inhalt, Qualität und Haptik des Buches ansprechend für Kinder- und Elternhände und stehen in einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Buch ist Eltern und Pädagogen auch für Vorlesestunden und den Unterricht als wertvoll zu empfehlen, um Kindern die Angst vor der Sprache zu nehmen und sie für die notwendige Didaktik vorzubereiten.

Titelbild

Tanja Dückers / Katja Gehrmann: Katzenaugen-grüne-Trauben-Blitzer-Glitzer-Geistergrün.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
32 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247543

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