„All mein Sehnen geht dahin, noch einmal nach Island zu kommen“

Paul Herrmanns Briefe, ediert von Hans Fix

Von Jan Alexander van NahlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Alexander van Nahl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Briefcorpora namhafter Gelehrter erfreuen sich seit Langem großen Interesses. Zunehmend wohl auch deshalb, weil es sie künftig in solcher Form kaum noch geben wird; allzu schnell ist der Wust an krampfhaft kurzen Nachrichten bei Wechsel der Mail-Adresse oder ähnlichen Anlässen unwiederbringlich dahin. Zumindest den Islandkenner wird freuen, dass Paul Herrmann (1866–1930) ein Jahrhundert früher schrieb. Hans Fix hat die Arbeit auf sich genommen, Herrmanns Briefe aus den Jahren 1903 bis 1924 zusammenzutragen und mit einer Einleitung zu Leben und sozialem Umfeld Herrmanns herauszugeben; Zitate aus den nordischen Sprachen sind erfreulicherweise übersetzt.

Neben Wälzern wie der Heuslerschen Briefkorrespondenz nimmt sich der vorliegende Band zugegeben sehr schmal aus. Als Baustein einer Geschichte der Nordischen Philologie ist er willkommen. Herrmann, selbst nie in die Universität integriert, sondern als promovierter Gymnasiallehrer mehr schlecht als recht sein Auskommen sichernd, tauschte sich mit einigen und über einige der namhaftesten Gelehrten seiner Zeit aus. Besonders im Isländer Björn Magnússon Ólsen, erster Rektor der Universität Island, fand er einen bleibenden Freund, aber auch mit Finnur Jónsson oder Andreas Heusler kommunizierte er. Herrmanns unerbittliche Liebenswürdigkeit gegenüber Freunden und Bekannten sowie seine unerschütterliche Hingabe zu Island und dessen Bewohnern verschafften ihm dabei bemerkenswerte Erfolge. Dazu zählen nicht nur seine mehrbändigen Islandberichte, dazu zählt auch die wiederholte, mehr oder weniger großzügige Finanzierung von monatelangen Islandfahrten und nicht zuletzt 1921 der finanzielle Zuschuss zu Herrmanns Saxo Grammaticus-Kommentar von fast 23.000 Mark (in Inflationszeiten).

Deutlich zeigt sich dennoch in Herrmanns Briefen das krasse Auf und Ab seines (vor allem beruflichen) Lebens, das sowohl in stark schwankenden finanziellen Mitteln – „am 17. Nov. [1924] hatten wir kein Geld, um uns Brot zu kaufen, […] soweit habe ich es also in 36 Dienstjahren gebracht!“ – als auch in schwankender fachlicher Anerkennung seinen Ausdruck findet. Da findet man dann etwa von Heusler, Herrmann eigentlich wohlgesonnen, im typischen Duktus die Notiz, er habe an jenem ein wenig das Interesse verloren, „seit er [d.i. Herrmann], bei geschwächter Hirnrinde, in vermehrte Produktion hineingeraten ist“. Objektiver betrachtet, war Herrmann wohl eher durch einen Diabetes angeschlagen, den er sich (für den Nicht-Mediziner vielleicht verwunderlich) offenbar bei einem Sturz vom Pferd auf einer Islandreise zugezogen hatte. Wenn die Folgen dieses Sturzes letztlich Herrmanns frühes Ableben beförderten, so fühlt man sich an den berühmtesten Pferdesturz der altisländischen Sagaliteratur erinnert, den von Gunnar Hámundarson in der Njáls saga, Auslöser einer Reihe tragischer Ereignisse; Herrmann mag es, wer weiß, einen gewissen Trost gespendet haben. Neben wiederholt angedeuteten finanziellen Schwierigkeiten – „ich stehe pekuniär schlechter als ein Kellner oder Kutscher“, wie er Finnur Jónsson bereits 1919 klagt –, trieb vor allem der Zustand der Geisteswissenschaften Herrmann um. Im Rahmen seiner Saxo-Veröffentlichung appelliert er 1921 an Finnur, dass ja nicht das eigene Interesse im Vordergrund stünde, sondern er für die Wissenschaft bettle, „mit der es in Deutschland fürchterlich steht“.

Schließlich finden sich allerlei Anekdoten und Randbemerkungen, die man (auch mit Hilfe des Fußnotenapparats) in größere Kontexte einordnen, aber auch einfach als spontane Regungen lesen kann. Sei es die ärztliche Verordnung, täglich Cognac zu trinken, die Herrmann zur Grübelei über das isländische Alkoholverbot ab 1912 veranlasst; sei es die Notiz 1921, Gustav Neckel sei „zweifellos ein ungemein scharfsinniger Kopf, aber mir zu gesucht geistreich, so übergescheit, dass man oft 4 bis 5 mal lesen muss, um zu wissen, was eigentlich gemeint ist“; oder sei es die Stichelei gegen seinen berühmten Freund Björn Magnússon Ólsen, dem er wiederholt vorwirft, bei sprachlichen Korrekturen „ein kleinlicher Schulmeister“ zu sein. Die Liste ließe sich fortführen. Deutlich wird in der Zusammenschau, dass die hier versammelten Briefe aus zwei Jahrzehnten eine unterhaltsame mit einer lehrreichen Lektüre verknüpfen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Hans Fix (Hg.) / Paul Herrmann: Aus Torgau an die gelehrte Welt. Paul Herrmanns Briefe an Björn Magnússon Ólsen, Finnur Jónsson, Geir Tómasson Zoëga, Andreas Heusler, Eugen Mogk und Edward Schröder (1903-1924).
AQ-Verlag, Saarbrücken 2015.
186 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783942701228

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