Unterwegs im Traumkorridor

Über Kerstin Giers gewohnt unterhaltsamen Abschluss der „Silber“-Trilogie

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die eine Tür ist elegant, schilfgrün und mit schicken Initialen in Silber verziert, die andere erscheint in schlichtem Grau. Es gibt natürlich auch Hello-Kitty-Versionen oder Gotik-Portale – ganz dem eigentlichen Wesen des Träumers entsprechend, zu dem die Tür gehört:

Vielen Türen war der Besitzer schon von außen anzusehen, so wie […] bei Mums Tür, bei der praktischerweise sogar der Name dabeistand: ,Matthew’s Mondscheinantiquariat – Öffnungszeiten von Mitternacht bis Morgengrauen‘. Andere Türen waren nicht so eindeutig zuzuordnen, aber ich war mittlerweile sicher, dass die schlichte, in einem edlen Grau gestrichene Tür neben Mum’s Mondscheinantiquariat zu Ernest gehörte. Egal, wo Mum’s Tür auch hinwanderte, die graue Tür blieb immer an ihrer Seite. Und die glänzend rot lackierte Tür mit dem protzigen goldenen Türklopfer passte perfekt zu Persephones Charakter […].

Der Zusammenhang von Traum und Unbewusstem ist seit Sigmund Freud hinreichend bekannt. Die Fiktion und Funktion von individuellen Eingangstüren zu menschlichen Träumen hat Bestseller-Autorin Kerstin Gier in ihrer erfolgreichen Silber-Trilogie nun fantasievoll ausgeschmückt. Auch im jüngst erschienenen dritten Band der Reihe, „Das dritte Buch der Träume“, wandelt eine kleine Gruppe Jugendlicher um Protagonistin Liv Silber nachts im Schlaf regelmäßig durch einen Traumkorridor. Sofern sie einen persönlichen Gegenstand der Betroffenen besitzen, können sie dort bekannte und fremde Traumtüren öffnen, und andere Menschen in ihren Träumen besuchen. Ausgelöst wurde der ganze „Traumspuk“ im ersten Band durch einen rituellen Pakt der Jugendlichen mit einem „Dämon“, von dem sie in einem alten Buch gelesen haben. Doch wurde auch sehr schnell und geschickt von der Autorin infrage gestellt, wo denn nun die eigentliche Grenze zwischen Traum, Realität und sogar Wahn liege. Weil nur ein Teil der Cliquenmitglieder felsenfest an den „Dämon“ glaubte und den geleisteten tödlichen Blutschwur auch umsetzen wollte, zerbrachen alte Freundschaften – und neue Feindschaften entstanden. Im Mittelpunkt des Geschehens stand immer die „Neue“ an der Schule und in der Clique: Liv Silber.

In „Silber. Das dritte Buch der Träume“ gehen die Träume und Albträume der Clique nun in eine weitere, letzte Runde. Die alten „Bösewichte“ sind dabei hinreichend bekannt, die Unsicherheiten, mit denen die Autorin in ihrer Geschichte spielt, auch: Ist die frühere Schülerin Anabel, im dritten Band frisch aus der Psychiatrie entlassen, nun die eigentliche Gefahr, oder doch das Ex-Cliquenmitglied Arthur in seinem Zorn auf seine ehemaligen Kumpel Henry und Grayson? Und welche (Rache-)Pläne schmieden Anabel und Arthur konkret? Das alles wird, wie von der Autorin der Edelstein-Trilogie gewohnt, nicht nur souverän und spannend erzählt, sondern auch immer mit einer gehörigen Portion Humor. Das unterscheidet Giers Bücher wohltuend von anderen aktuellen Fantasy-Romanen.

Mit Liv hat Gier wieder eine Protagonistin geschaffen, die – zusammen mit den Leserinnen – trefflich über sich selber lachen kann. Ein ironischer Blick auf die Welt, Sinn für witzige Details und Anekdoten und ein Familien-Figurenpersonal mit charmanten Macken kennzeichnen auch den dritten Band und machen ihn zu einer mehr als unterhaltsamen Lektüre. Und so bildet am Ende die ganze Konstruktion um Traumkorridore, Rachepläne und Dämonen nur den angenehmen Rahmen für die „eigentlich“ wichtigen Fragen: Wie um Himmels Willen soll Liv ihrem Freund Henry gestehen, dass sie einen Ex-Freund in Südafrika nur erfunden hat, weil ein handfester Minderwertigkeitskomplex zusammen mit gekränktem Stolz eine sehr schlechte Verbindung abgeben? Warum werden kleinere Schwestern wie Mia grundsätzlich unterschätzt? Wie entgeht man ohne Familieneklat einer fast militärisch durchexerzierten Hochzeitsplanung des „Bocker“ (wie Liv die spießige Mutter ihres künftigen Stiefvaters nennt)? Und: Ist ein Familienleben bei den Silbers ohne Kindermädchen Lottie und ihre Trost-Vanillekipferl wirklich vorstellbar?

Zumindest auf diese Antworten, so viel sei verraten, finden sich zum Abschluss der Trilogie zufriedenstellende Antworten. Das Rätsel der Traumkorridore wird hingegen nicht gänzlich gelöst. Aber alles andere wäre auch langweilig gewesen.

Titelbild

Kerstin Gier: Silber – Das dritte Buch der Träume. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2015.
464 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783841421685

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