Larger than life

Das von Paul Duncan herausgegebene „The James Bond Archives“ ist ein Meisterwerk

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man mag zum „neuen“ Bonddarsteller Daniel Craig stehen wie man möchte, die Verletzbarkeit und den Zweifel, den er wie kein anderer Akteur in seine Figur einfließen lässt, gut oder schlecht finden – sie ist aber mit Sicherheit nicht die Quintessenz, die diese Film- (und Roman-)Figur ausmacht, sie zu etwas besonderem macht, die Generation um Generation neu fasziniert und begeistert.

Was Bond ausmacht, worin seine eigentliche Anziehungskraft besteht, davon kündet eindrucksvoll der Band, der schlicht „The James Bond Archives“ betitelt ist und zum 50. Jubiläum der Filmreihe im Taschen Verlag erschien. Zu diesem Anlass öffnete die Produktionsfirma EON ihre Archive und ermöglichte es Paul Duncan, bis dato unveröffentlichtes Material zu sichten und für dieses Buch zusammenzustellen. Wie sein Gegenstand ist auch das Buch überdimensioniert, verschwenderisch und wuchtig im Auftritt – dies aber im besten Sinne. Es zelebriert geradezu das inoffizielle Bond-Motto, die Figur habe „larger than life“ zu sein. Für ein gemütliches Blättern ist das Buch zu groß, zu schwer, zu unhandlich. Man muss sich bewusst einen Platz für das sechseinhalb Kilo schwere und mit 50×32 cm raumgreifende Buch suchen, auch das bewirkt eine ganz eigene Art von Inszenierung. Die großformatigen Bilder darin sind hochglänzend und brillant reproduziert, von einer Qualität, die jedem Kunst-Bildband gut zu Gesicht stehen würde. Mehr als 1100 Abbildungen, die Duncan aus hunderttausenden Archivbildern aussuchte, illustrieren den Band. Der Taschen Verlag setzt Bond gekonnt in Szene – besser hätte das auch einer der Bond’schen Superschurken nicht inszenieren können.

Doch es ist nicht nur der Auftritt, der einen an „The James Bond Archives“ beindruckt, denn der Inhalt tritt nicht hinter dem schönen Äußeren zurück. Die Bilder illustrieren die Geschichte jedes einzelnen der bis dahin 23 bei EON entstandenen Filme von „James Bond jagt Dr. No“ (1962) bis „Skyfall“ (2012) lediglich effektvoll. Aufschlussreich und auch für Bond-Kenner überraschend und informativ machen das Buch nämlich vor allem die Interviews mit Crewmitgliedern und Schauspielern, die ebenfalls einen gewichtigen Platz in den „Archives“ einnehmen. Hinzu kommen Ablaufpläne zu den Dreharbeiten, Verträge, Drehbuchskizzen sowie Skizzen von Bauten. Aber auch verworfene Entwürfe, alternative Drehbuchfassungen und vieles mehr, die eine Art Produktions- und Entstehungsgeschichte erzählen, Hintergründe beleuchten und eine Ahnung davon geben, warum Bond ebenso zeitlos wie faszinierend ist. Bond ist Moden unterworfen, das macht der Band auch deutlich: Die eigentlich dahinter stehende Figur steht allerdings über den Dingen, Bond ist ein archetypischer Held, zeitlos, perfekt, unverwundbar. Der Agent im Geheimdienst Ihrer Majestät ist ein Macho, Snob durch und durch, übertrieben und überheblich, aggressiv selbstbewusst, manchmal vielleicht auch unsympathisch – aber er ist so, wie viele gerne sein würden. Und an diesem Ur-Bond rührt es auch nicht, dass sich mittlerweile sechs verschiedene Darsteller an der Figur abgearbeitet haben: Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und zuletzt Daniel Craig. Sie alle haben – auch das macht das Buch klar – der Figur jeweils ganz eigenen Facetten gegeben.

Der Anspruch Duncans ist es, die Bond-Filme und ihre Entstehung möglichst vollständig darzustellen, und diesen Anspruch erfüllt er in erstaunlicher Weise. Denn es werden nicht nur die „offiziellen“ Bond-Filme aufgenommen, sondern auch die amerikanische Komödie „Casino Royale“ (1967) und Sean Connerys letzter Bond-Film „Sag niemals Nie“ (1983).  Das ist umso verwunderlicher, als dass diese Filme gerade von jenen, die Duncan großzügigen Zugang zu den Archiven verschafft haben, gerne verschwiegen werden. Und die prominente Hereinnahme auch dieser Filme in das „Archive“ zeigt, dass Duncan seinen Anspruch auch hier einlösen kann.

Für den Bond-Kenner und -Freund gleichermaßen bietet das Buch einen unerschöpflichen, erhellenden Blick in die Entstehung der Filme und die Entwicklung der Figur. Es feiert den Mythos Bond hemmungslos, aber gerade in seiner Hemmungslosigkeit, seiner überbordenden Fülle ist es nicht nur eine Fundgrube für Entdeckungen, sondern ebenso eine gekonnte Inszenierung des Bond’schen Selbstbildes. Das Buch selbst ist in englischer Sprache gehalten, ein extra beigelegtes Heft mit 128 Seiten liefert aber eine deutsche Übersetzung der Texte und Interviews.

Kein Bild

Paul Duncan (Hg.): The James Bond Archives.
Taschen Verlag, Köln 2012.
592 Seiten, 150,00 EUR.
ISBN-13: 9783836521048

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch