Intertextualität und Plagiarismus

Ein Lesebändchen mit Auszügen aus Werken Clara Viebigs macht Appetit auf mehr

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Clara Viebig war eine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viel gelesene Schriftstellerin. Über einige Jahrzehnte hinweg schrieb und publizierte sie Romane und Erzählungen, von denen etliche zu regelrechten Bestsellern wurden. Und noch heute sind einige Longseller darunter. Die Auflagehöhen mögen inzwischen zwar recht bescheiden sein, doch ihre Werke sind noch immer unterhaltend. Manche sind amüsant, andere spannend und dritte wegen ihrer nie plakativ daherkommenden Sozial- und Kriegskritik lesenswert. Nun mag es zwar bei der Lektüre einiger ihrer Novellen ganz hilfreich sein, den Eifeldialekt der vorletzten Jahrhundertwende einigermaßen flüssig lesen zu können. Eine bloße Heimatschriftstellerin, wie gelegentlich anheim gestellt wurde, ist sie darum aber keineswegs, spielen ihre Romane doch nicht eben selten in deutschen Großstädten wie Düsseldorf oder Berlin, andere wiederum im damaligen Posen, das zur Handlungszeit ihres Romans „Das schlafende Heer“ (1904) noch eine preußische Provinz war, in der deutsche und polnische Volksgruppen um die Vormachtstellung rangen.

Einen gelungenen Einblick in Viebigs ebenso umfangreiches wie vielfältiges Werk, zu dem auch einige Dramen und Schauspiele zählen, bietet nun ein Lesebändchen, das die Kölner Nyland-Stiftung nun für kleines Geld auf den Markt gebracht hat. Hier lässt sich in einige ihrer Romane hineinschnuppern. So etwa in „Das Weiberdorf“ (1897), den Roman also, mit dem sie nicht nur berühmt – und zu ihrer Zeit zumindest in der Eifel auch berüchtigt – wurde, sondern der noch immer ihr bekanntestes Werk ist. Auch der ebenfalls in der Eifel spielende Roman „Das Kreuz im Venn“ (1908) ist mit einigen Auszügen vertreten, der Antikriegsroman „Töchter der Hekuba“ (1917), der historische Roman „Charlotte von Weiß“ (1929) sowie sieben weitere ihrer Romane. Leider fehlt ihr großes und großartiges Zeit- und Sittengemälde „Rheinlandstöchter“ (1897), das zugleich als Eheroman und Emanzipationsgeschichte der Eheverweigerin und Identifikationsfigur Nelda Dallmer gelesen werden kann. Ebenso fehlt ihr Syphilisroman „Passion“. (1925). Dafür aber ist die Kurzgeschichte „Das Miseräbelchen“ (1897) ungekürzt enthalten. Und allen Werken Viebigs gerecht zu werden, ist einem solchen Lesebüchlein so und so schlicht unmöglich. Dafür ist ihr Œuvre einfach zu umfangreich. Dennoch hat der Platz gereicht, Auszüge wenigstens eines ihrer Dramen, „Die Bäuerin“ (1905), aufzunehmen.

Ergänzt werden die literarischen Werke durch zwei autobiografische Texte Viebigs, drei ihrer Briefe sowie ihren an die „Frauen und Mütter“ gerichteten Aufruf aus der Nachkriegszeit. Die Dokumente bieten einen zwar knappen, aber durchaus aufschlussreichen Einblick in Viebigs Leben und ihre Persönlichkeit. So mochte sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Bitte, einmal von sich selbst zu erzählen, nur in abgewandelter Form, nämlich mit einer Vorstellung ihrer „Drei Bräute“ (1900/1901), nachkommen. Denn von ihrem „einfachen Frauenleben, das am liebsten zwischen den Wänden des eigenen engumhegten Heimes dahinfließt“, mochte sie nicht erzählen, „wohl aber von dem, was meinem Herzen teuer ist, von meiner Heimat“. Es sind dieser Heimaten gar drei. Viebig metaphorisiert sie in dem kleinen Text als ihre drei „Bräute“: die Eifel, der Niederrhein und Posen. „Verheiratet“ aber sei sie mit – Berlin. Der in dem vorliegenden Bändchen kaum mehr als fünf Druckseiten umfassende Text vermittelt nicht nur einen Eindruck vom Wesen Viebigs, sondern auch von ihrem Schaffen, wobei ihre rhetorische Frage, „welcher Autor spänne nicht eigenen Faden auf seinem Webstuhl und knüpfe diesen an fremde Fäden an und schlänge ineinander, und durcheinander, bis daß er selbst nicht mehr weiß, wo Eigenes aufhört und Fremdes anfängt“, angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Intertextualität und Plagiarismus auch heute noch aktuell wirkt. Die drei aufgenommenen Briefe wiederum richten sich an den Rezensenten ihres „Weiberdorfes“ Adolf Bartels, den Lemberger Literaturprofessor Richard Maria Werner und ihren Schriftstellerkollegen Herbert Eulenberg.

Bernd Kortländer, der Herausgeber des vorliegenden Bandes, hat dem Lesebuch nicht nur „die jeweils frühesten erreichbaren Drucke zugrunde gelegt“, sondern bietet im Anhang zu allen Texten knappe informative Anmerkungen.

In seinem Nachwort nimmt Kortländer erfreut zur Kenntnis, dass Viebigs Texte seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Germanistik erregen, was „vor allem im Rahmen der Genderforschung“ zu einer „Reihe von interessanten Studien“ geführt habe. Doch beklagt er zugleich, dass sie vom allgemeinen Publikum kaum noch wahrgenommen werden. Möge das vorliegende Bändchen dazu beitragen, dass auch wieder Menschen, die um der reinen Freude der Lektüre Willen zu Büchern greifen, Viebigs Werke vermehrt zur Hand nehmen und die Auflagen der Neuausgaben ihrer Romane und Novellen so in die Höhe treiben. Denn etliche von ihnen sind nach wie vor im Buchhandel erhältlich. Zu erstaunlich günstigen Preisen übrigens.

Titelbild

Clara Viebig: Lesebuch.
Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Bernd Kortländer.
Edition Virgines, Düsseldorf 2015.
154 Seiten, 8,80 EUR.
ISBN-13: 9783944011356

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