Zwei Erzählungen vom Scheitern

Peggy Adams bisher auf Deutsch erschienene Werke „Luchadoras“ und „Gröcha“

Von Ute FriederichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Friederich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Werk der französischen Zeichnerin Peggy Adam präsentiert sich auf den ersten Blick als sehr heterogen und vielseitig, sowohl stilistisch als auch thematisch – zumindest, wenn man die beiden bisher in deutscher Übersetzung erschienenen Comics Luchadoras (2013, avant Verlag) und Gröcha (2014, avant Verlag) in Betracht zieht. Auf den zweiten Blick lassen sich jedoch durchaus einige Verbindungen zwischen den beiden Comics herstellen, die den Blick auf das jeweils andere Werk erhellen können. Denn in beiden führt Adam Protagonisten vor, die in einer scheinbar ausweglosen Situation stecken und diese hinnehmen, weil sie durch ihr Handeln mutmaßlich ohnehin nichts verändern können.

Alma, die Hauptfigur in Adams im Original 2006 erschienenen Luchadoras, lebt in einem Klima der Gewalt gegen Frauen. Die mexikanische Stadt Ciudad Juárez ist geprägt von Drogenkriegen und wird von rivalisierenden Gangs beherrscht. Auch ihr Ehemann Romel ist Mitglied in einer solchen Gang, den ‚Los Rebeldes‘, und behauptet seinen Status mit Gewalt. Auch seine Frau bleibt von seinen Schlägen nicht verschont. Alma träumt von einem besseren Leben für sich und ihre Tochter, doch es scheint nahezu unmöglich, dem brutalen Ehemann zu entkommen, denn die misogyne Gewalt wird von der Gesellschaft stillschweigend toleriert.

Diese Geschichte hat einen realen Hintergrund: Ciudad Juárez ist bekannt für seine hohe Kriminalitätsrate mit durchschnittlich sieben Morden pro Tag. Und auch die Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen hat international bereits viel Aufsehen hervorgerufen. Mehr als 400 Frauen sollen in den letzten 14 Jahren getötet worden sein, die meisten Morde wurden indes nie aufgeklärt.

Gröcha allerdings, das jüngste Werk von Peggy Adam (im Original 2012 erschienen), präsentiert ein fiktives Endzeitszenario: In Europa ist eine Epidemie ausgebrochen, welche die Bevölkerung dezimiert und sich rasend schnell ausbreitet. Jeder muss ständig ein Gesundheitszeugnis mit sich führen und auf Verlangen an Straßensperren vorzeigen. Wer keine entsprechenden Papiere vorweisen kann oder sichtbare Zeichen der Krankheit am Körper trägt, darf die Stadt nicht verlassen oder wird in eigens dafür eingerichtete Lager überführt. Ähnlich wie in Luchadoras ist die Gesellschaft auch hier von einem Klima der Angst geprägt.

Der Protagonist Marc hat Glück: Ihm gelingt es, die Stadt zu verlassen. In der Hoffnung, der Epidemie zu entkommen, versucht er, aufs Land zu fliehen, und lässt seine bereits erkrankte Freundin Emma zurück. Aber sowohl Emma als auch seine Vergangenheit holen ihn schneller ein, als ihm lieb sein kann. Dass er vermutlich die gemeinsame Tochter getötet hat – im Versuch, sie vor der Krankheit und der ungewissen Zukunft zu schützen – wird dem Leser erst am Ende des Comic klar, denn Peggy Adam arbeitet geschickt mit Vorausdeutungen und Rückblenden und erzeugt auf diese Weise Spannung.

Diese Art des nicht streng linearen Erzählens findet sich ebenso in Luchadoras – und dort beginnen auch die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Werken, die es trotz des unterschiedlichen Zeichenstils gibt. Zu Beginn der Erzählung sucht Alma einen Verein auf, der sich für misshandelte Frauen stark macht. Als sie nach dem Gespräch wieder auf die Straße tritt, lauert ihr Mann Romel ihr auf und greift sie mit einem Messer an. Zunächst bleibt unklar, ob Alma die Attacke überlebt hat. Gegen Ende des Comic zeigt sich jedoch, dass sie nur leicht verletzt wurde. Bis dahin erzählt Adam, wie die gemeinsame Tochter die Leiche einer jungen Frau entdeckt, wie Alma den Touristen Jean kennenlernt, wie sie eine Affäre mit ihm beginnt und wie sie dann herausfindet, dass ihre Schwester von Romel schwanger ist. Die Schuld an diesem Betrug sucht sie allein bei ihrer Schwester, die sie schließlich im Streit eine Treppe hinunterstößt.

Hier zeigt sich, warum es nahezu unmöglich zu sein scheint, an der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen etwas zu ändern. Noch schlimmer als einen gewalttätigen Ehemann zu haben, scheint es für die Frauen zu sein, ganz ohne Mann dazustehen. Im Zweifel wird daher eher die Schwester die Treppe hinuntergestoßen. So bringt Alma erst den Mut auf, sich gegen Romel zu wehren, als sie Jean kennenlernt und damit eine Alternative zum Alleinsein in greifbare Nähe rückt.

Ein Ausbruch aus der Ehe und damit aus der alltäglich gewordenen Gewalt scheint grundsätzlich möglich zu sein; letztlich scheitert Alma jedoch an den festgefahrenen gesellschaftlichen Mechanismen, die sie selbst nur allzu gut verinnerlicht hat. Auch Marc in Gröcha scheitert. Am Ende überwiegt jedoch der Eindruck, dass dieses Scheitern unausweichlich war, denn gegen die Übermacht einer Naturgewalt herrscht nicht einmal die Illusion vor, überhaupt etwas ausrichten zu können.

Hat man beide Comics gelesen, so ist Almas Scheitern an den gesellschaftlichen Mechanismen letztlich die interessantere Erzählung, gerade weil sie durch ihr Handeln ja zur Etablierung bzw. Verfestigung dieser Mechanismen beiträgt. Natürlich lässt sich fragen, welchen Anteil der Mensch und sein Umgang mit der Natur letztlich dann auch an der zerstörerischen Kraft von Naturgewalten hat und ob diese mithin dann nicht auch durch menschliches Handeln beeinflussbar sind. Diese Dimension bleibt in Gröcha jedoch zu sehr im Hintergrund. In dieser Hinsicht ist Luchadoras inhaltlich wohl das interessantere Werk der beiden Comics von Peggy Adam.

Stilistisch hingegen ist Gröcha weitaus spannender. Hier arbeitet die Zeichnerin mit wesentlich mehr Grauschattierungen, die den Bildern Tiefe verleihen. Es gelingt ihr, in diesen Bildern sowohl die vorherrschende Angst als auch eine eher weiche Atmosphäre zu transportieren. Im Gegensatz dazu kommt Luchadoras optisch ähnlich hart daher wie die Gesellschaft, in der Alma lebt. Hier sind alle Panels streng in schwarz-weiß gehalten, und auch die Gesichter der Figuren wirken wesentlich härter und unzugänglicher als in Gröcha. Doch in beiden Comics gelingt es dem Leser nur schwer, sich in die Figuren einzufühlen. Sowohl Alma als auch Marc sind, wie auch die übrigen Figuren, letztlich schwer greifbar – möglicherweise eine Distanz, die man als Leser benötigt, um das Scheitern der Figuren reflektieren zu können.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Peggy Adam: Luchadoras.
avant-verlag, Berlin 2013.
96 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783939080831

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Titelbild

Peggy Adam: Gröcha.
avant-verlag, Berlin 2014.
104 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783939080923

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