Begeistert von Shakespeare

Zum 80. Geburtstag des Booker-Preisträgers Ismail Kadare

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

„Ich bin der Meinung, dass ich nicht ein politischer Schriftsteller bin, und überdies, dass, was wahre Literatur betrifft, es eigentlich auch keine politischen Schriftsteller gibt. Ich denke, dass es in meinem Schreiben nicht politischer zugeht als im antiken griechischen Theater“, erklärte der albanische Schriftsteller Ismail Kadare, der über Jahrzehnte hinweg vor allem als politischer Chronist seines Heimatlandes wahrgenommen wurde.

Albaniens politischer Sonderstatus nach dem Bruch mit der Sowjetunion Anfang der 1960er-Jahre und Kadares glühender Patriotismus („Albanien ist die rebellischste aller Nationen.“) weckten eine gehörige Portion Neugierde auf seine Romane, die seit den 1980er-Jahren in deutscher Sprache vorliegen und mittlerweile in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Kadare, der am 28. Januar 1936 in der südalbanischen Stadt Gjirokastra als Sohn eines Gerichtsboten geboren wurde und Literaturwissenschaften in Tirana und später am Moskauer Gorki-Institut für Weltliteratur studierte, hat 2005 einen vorläufigen Höhepunkt seines internationalen Ruhms erfahren, als ihm in London der mit rund 85.000 Euro dotierte International Booker Prize für sein Lebenswerk zugesprochen wurde.

Kadare, der als Lyriker debütierte und die französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts schätzt, erregte 1964 erstmals (über seine Landesgrenzen hinaus) mit seinem Roman „Der General der toten Armee“ Aufsehen. Darin hat ein hoher italienischer Offizier 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Auftrag, die sterblichen Überreste seiner in Albanien gefallenen Landsleute heimzubringen. Dieser Roman, der in Frankreich unter anderem mit Michel Piccoli und Marcello Mastroiani verfilmt wurde, changiert zwischen dämonischem Schauermärchen und historischen Überlieferungen.

Nie hat sich Kadare (auch nicht in seinem patriotisch-hymnischen Roman „Der große Winter“) einer Form des sozialistischen Realismusʼ verpflichtet gefühlt. Das formale, beinahe spielerische Experiment mit Mythen und Wahrheit dominiert das Gros seiner Erzählwerke, die über viele Jahre vom Zürcher Ammann Verlag betreut wurden und in einer Werkausgabe Neuauflagen erlebten, so „Der zerrissene April“, „Die Brücke mit den drei Bögen“, „Der Palast der Träume“, „Chronik in Stein“ und zuletzt „Das verflixte Jahr“.

„Ich habe im Alter von zehn Jahren Macbeth gelesen. Ich war so begeistert, dass ich das ganze Stück von Hand abgeschrieben habe“, erinnert sich Kadare, der 1990 mit seiner Familie von Tirana nach Paris übersiedelte, an sein literarisches Schlüsselerlebnis. Je mehr sich Albanien in den 1990er-Jahren dem Westen öffnete und die Demokratie etablierte, umso stärker wurden die kritischen Stimmen über Kadares Wirken.

Und vielleicht hat der Autor, der 2009 mit dem Prinz-von-Asturien-Preis ausgezeichnet wurde, in der ambivalenten Figur des Doktor Gurameto in seinem Roman „Ein folgenschwerer Abend“ (2010) die eigene politische Zerrissenheit (leicht verfremdet) einfließen lassen. Die Handlung ist in Kadares Geburtsort Gjirokastra angesiedelt und spielt im Herbst 1943. Italien hat sich aus Albanien zurückgezogen, die deutschen Truppen rücken ein, und der angesehene Chirurg Gurameto trifft sich mit dem

Kommandanten von Schwabe zu einem opulenten Abendessen – mit anschließendem, emotional aufgeladenem politischen Rededuell. Macht sich Gurameto der Kollaboration schuldig? Und ist er später Teil einer internationalen zionistischen Ärzteverschwörung gegen die kommunistischen Machthaber? Ein Chirurg, der zwischen die Mühlsteine der Weltpolitik gerät: eine künstlerisch reizvolle Konstellation.

Ungeachtet der zahlreichen Widersprüche, in die sich Kadare im Laufe der Jahre verfangen hat („Meine besten Romane sind auf dem Höhepunkt der kommunistischen Diktatur entstanden“ und andererseits „Authentisches Schreiben und Diktatur sind nicht vereinbar“), ist er ein großer Erzähler, ein fabulierender Grenzgänger zwischen fantasievollen Märchen und knallharter Politik, in die er sich immer wieder eingemischt hat. Beeindruckend ist seine nach wie vor ungebrochene Produktivität. Vor zwei Jahren erschien der allegorische Roman „Die Pyramide“, in dem er eine (zugegeben: gewagte) künstlerische Brücke zwischen der Cheops-Pyramide und der albanischen Diktatur unter Enver Hoxha geschlagen hat. Im letzten Jahr wurde unter dem Titel „Die Schleierkarawane“ überdies noch ein lesenswerter Band mit Erzählungen veröffentlicht. „Ich war Albaner, ich bin Albaner, und ich werde es bis zu meinem Tod sein“, erklärte Kadare, der heute abwechselnd in Paris (unweit des Jardin du Luxembourg) und in der albanischen Hauptstadt Tirana lebt.

Lesetipp:

Ismail Kadare: Die Schleierkarawane. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Albanischen von Joachim Röhm
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
208 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN 9783100384195