Angeraute Niedlichkeit

Mawils gesammelte Comic-Kolumnen

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1976 geborene Markus Witzel alias Mawil ist einer der meistbeachteten Comiczeichner des Landes. Neben Alben wie Wir können ja Freunde bleiben (2002) und Kinderland (2014) erreicht er sein Publikum vor allem mit den monatlichen Comic-Kolumnen, die er seit nun auch schon zehn Jahren im Tagesspiegel zeichnet. Und was ist das Gegenstück zum Album? Richtig, die Single. The Singles Collection, im Sommer 2015 erschienen, versammelt Mawils Kolumnen nun zum ersten Mal. Im Zeitalter des Vinyl-Revivals fällt natürlich als erstes auf, dass der Musikliebhaber und ehemalige (?) Bassist Mawil mit dem Format der Best-of-Compilation spielt. Nicht nur, weil sein Band genau das Format einer LP hat, sondern auch, weil vor allem in den 1960er-Jahren und dann noch einmal im New Wave um 1980 viele Hits einer Band gar nicht auf ihren Alben enthalten waren, sondern nur separat veröffentlicht wurden – von „Waterloo Sunset“ bis „Hey Jude“ erschienen sie erst später auf LP. Trotzdem ist eine Konsistenz zwischen Single und Album vorhanden, der Stil der Musik ändert sich ja nicht durch den bloßen Wechsel des Formats. Bei Mawil ist das Autobiografische das verbindende Element.

Nun sind autobiografische Comics spätestens seit Art Spiegelmans Maus (1986/1991) nichts Ungewöhnliches mehr. Meist verbindet man aber ernste, spektakuläre Stoffe damit, wie in Marjane Satrapis Persepolis über das Aufwachsen im Iran der „Islamischen Revolution“, Alison Bechdels Fun Home über den Selbstmord ihres schwulen Vaters, oder Joe Saccos gezeichnete Reportagen aus den Kriegsregionen dieser Welt. Auch Mawils Comics haben diesen autobiografischen Fond, aber sie handeln von – für deutsche Leser – weit alltäglicheren Dingen. Was Mawils gezeichneter Stellvertreter mit den braunen Haaren und der Kassenbrille erlebt, sind Fahrradtouren, Campingurlaube, Krankenhausaufenthalte oder schlicht das eintönige bis aufregende Lebens eines Comiczeichners; diese Alltagsgeschichten machen den größten Teil der Singles Collection aus. Viele der Comics enthalten Liebeserklärungen an Mawils Idole, an Tocotronic, die schönsten Kinderlieder der DDR oder den großen Hannes Hegen, 20 Jahre lang der Kopf hinter Mosaik, der mit Abstand besten Comicreihe des alten Ostens (wenn auch meist andere zeichneten). Überhaupt ist Mawils ostdeutsche Sozialisation ein Grundthema seiner Comics, etwa, wenn er eine Reise mit dem ebenfalls dort aufgewachsenen Jochen Schmidt protokolliert (dem Schriftsteller, nicht dem Freiburger Philologen).

Aber nicht alle Comics sind ungebrochen autobiografisch. Alternativ schickt Mawil den gezeichneten Vierbeiner Supa Hasi ins Rennen, ein bebrilltes weißes Kaninchen mit übergroßem Kopf. Das geschieht vorzugsweise dann, wenn Dinge dargestellt werden, die sich auch für ein gezeichnetes Alter Ego nicht ziemen. Trinken, Kotzen, plumpe Anmache – diese Dinge kann man gleichzeitig darstellen und in Klammern setzen, indem sie von einem hoppelnden Nager begangen werden. Mawils Zeichnungen sind niedlich, aber es ist eine angeraute, gebrochene Niedlichkeit. Wenn ein verstorbener Mann seiner Frau auf dem Friedhof erscheint und sie eine Zeitlang beieinandersitzen, wäre es, mit Menschen dargestellt, der Stoff einer Horrorgeschichte, mit Mawils Hasen ist es eine Erzählung von großer Melancholie. Und nur mit Hasen als Protagonisten kann man die Geschichte der Beatles, Verzeihung, der „Roten Gitarren“, als osteuropäische Band glaubwürdig erzählen.

Über die Jahre hinweg experimentiert Mawil zunehmend mit dem Format seiner Kolumne. Er montiert Playmobil-Figuren in seine Geschichten, erzählt eine an BRAVO-Fotoromane erinnernde Liebesgeschichte aus zusammengekauften Stockfotos oder gestaltet die Liebesgeschichte von Hubert, dem schwulen Hubschrauber, in 80er-Jahre-Kinderbuch-Optik. Auch dies sind Comics übers Comicmachen, denn in ihnen testet Mawil die Grenzen seines Mediums aus. Am gelungensten sind jedoch die rein gezeichneten Experimente, etwa ein Reisebericht aus Georgien, der das Design der georgischen Flagge als Raster für seine 16 Panels nutzt – aber nicht einfach von links oben nach rechts unten erzählt, sondern in der Symmetrie die strikte Reihenfolge der Panels auflöst.

Man lese dieses Buch sehr langsam, mit derselben Sorgfalt, mit der man eine Vinylsingle nach der anderen aus der Hülle nimmt und auflegt. Ein liebenswerter Zeichner, ein liebenswertes Buch.

Titelbild

Mawil: The singles collection. Comic-Kolumnen 2006-2015.
Reprodukt Verlag, Berlin 2015.
130 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783956400643

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