Das Drama der Ehe

Der Roman „Zu zweit“ bildet den Abschluss der Werkausgabe Irène Némirovskys

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist das Verdienst des Knaus Verlags, im Rahmen einer mehrbändigen Ausgabe die Werke von Irène Némirovsky auch dem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich gemacht zu haben. 2004, mit der Veröffentlichung des Romans „Suite française“ auf Französisch, erlebte das umfangreiche Werk Némirovskys beinahe über Nacht eine Wiederentdeckung, mehr als 60 Jahre nach ihrem Tod. In einem Koffer liegend wurde das Manuskript Anfang des 21. Jahrhunderts durch Zufall entdeckt, im französischen Original veröffentlicht und danach in zahlreiche Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien der Roman unter dem Originaltitel erstmals 2005.

Irène Némirovsky wurde 1903 als Tochter eines jüdischen Bankiers in Kiew geboren, von dort floh die Familie vor der Oktoberrevolution nach Paris. Rasch fand die Autorin Eingang in die dortige Literaturszene, wo sie schnell Bekanntheit erlangte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, ging Némirovsky mit ihrer Familie in die Provinz, wo sie jedoch 1942 verhaftet und deportiert wurde. Irène Némirovsky starb wenig später in Auschwitz. Ihr Werk geriet lange Zeit in Vergessenheit.

In ihren Romanen hat sich Némirovsky immer wieder als genaue Beobachterin der französischen Nachkriegsgesellschaft erwiesen. Sie erzählt von jenen Männern, die sehr jung in den Ersten Krieg gingen und dort alle Zukunftsperspektiven verloren. Häufig stammen sie aus guten Verhältnissen, doch haben sich die Vermögen während des Krieges vielerorts in Luft aufgelöst. Wieder zu Hause angekommen, stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Ihnen fehlt nicht nur eine Berufsausbildung, sondern auch jegliche Energie, das Leben selbstverantwortlich zu gestalten.

Darum geht es auch im Roman „Zu zweit“. Marianne und Antoine stammen aus reichen Elternhäusern, sie sind jung, der Krieg ist vorbei, ihnen stehen – so lassen sie sich täuschen – alle Möglichkeiten offen. Geld gibt es (noch) genug, sie bewegen sich im vergnügungssüchtigen Freundeskreis, wo die Männer ihre festen Geliebten und daneben zahlreiche Affären haben, während es die Frauen scheinbar genießen, bewundert und begehrt zu werden. Doch tief im Innersten sind sie unglücklich. Antoine ist wie viele Männer seiner Generation traumatisiert vom Krieg, letztlich unfähig zu einer tieferen Bindung und dazu, Verantwortung zu übernehmen. Marianne liegt die (Männer-)Welt zu Füßen, ihr Unglück ist jedoch, dass sie sich in Antoine ernsthaft verliebt. Sie lässt sich auf das demütigende Spiel von Begehrt- und Verlassen-Werden ein. Die oberflächlichen Flirts verlieren ihre Anziehung, Antoine will sie – und zwar ganz, was nichts anderes heißt, als dass er sie heiraten soll. Wider besseres Wissen sozusagen, denn tief in ihrem Inneren weiß Marianne, dass sie in einer Ehe nur verlieren wird: Als Antoines Ehefrau wird ihr Reiz für ihn schwinden, er wird sich erneut in Affären stürzen. Es wird an ihr sein, ihr Leben trotzdem einigermaßen erträglich zu gestalten.

Im Ehealltag bleiben sich Antoine und Marianne nichts schuldig: die Ehe wird zur Kampfzone, sie ist ein Ort der Verletzungen und Zerstörungen. Als sich Antoine jedoch ernsthaft in Mariannes Schwester Évelyne verliebt, gerät das krampfhaft aufrecht gehaltene Gleichgewicht definitiv in Schieflage. Éveline dringt in sein Innerstes vor und löst Gefühle aus, die er in solcher Intensität nie erlebt hat, doch es gibt keine Zukunft für die Liebenden – und Éveline zieht radikal die Konsequenzen. Antoine bleibt in tiefer Trauer zurück und wendet sich mit seinem Schmerz wieder Marianne zu. Sie empfinden keine Liebe füreinander, doch ist ein Leben nebeneinander und in Ruhe möglich. Und so endet denn der Roman durchaus versöhnlich: „Sie rührten sich nicht, saßen mit verschränkten Händen aneinandergelehnt da. Sie empfanden kein Verlangen; sie waren ruhig, ein wenig ironisch gestimmt und ohne Freude, doch nach kurzer Zeit war ihnen, als wären sie von ihrer Erschöpfung befreit.“

Némirovskys Romane zu lesen ist immer wieder ein Gewinn. Sie schildert ein Gesellschaftsporträt und eine verlorene Generation, sie analysiert die Beziehungsunfähigkeit der vom Krieg beschädigten Männer und fasst in Worte, was unter der ‚Ehe als Kriegsschauplatz‘ zu verstehen ist. Dass dies auch in der deutschen Übersetzung möglich wird, ist dem Können Susanne Röckel zu verdanken, der es gelingt, einen stilistisch eleganten Text vorzulegen, in dem die feine Ironie ebenso zu lesen ist wie all das, was zwischen Flirt und egoistischem Vergnügen bis hin zu tiefem Schmerz und Verzweiflung liegt. PS: Némirovsky-Fans können sich freuen: Im Manesse Verlagt erscheint im April der Roman „Pariser Symphonie“, ebenfalls in der Übersetzung von Susanne Röckel.

Titelbild

Irène Némirovsky: Zu zweit. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Susanne Röckel.
Knaus Verlag, München 2015.
256 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813505870

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