Angefaulter Apfel

Alex Gibneys Dokumentation über den Apple-Mitgründer Steve Jobs zeigt die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Von Markus JochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Joch

Steve Jobs war ein genialer Erfinder, treusorgender Daddy und guter Kumpel, für seine Mitarbeiter die menschgewordene Weihnachtsfeier. Habituell ein kalifornischer Späthippie, immer locker und easy. Das dürfte, spätestens seit der kurz nach Jobs’ Tod 2011 veröffentlichten Biografie von Walter Isaacson, keiner mehr annehmen, außer zwölfjährige Fans und Al Gore vielleicht. Mehr, „Steve Jobs“, das im November angelaufene Biopic von Danny Boyle und Aaron Sorkin, hat das Image eines veritablen Kotzbrockens popularisiert. Was also sollte „The Man in the Machine“, Alex Gibneys zeitgleich auf DVD erschienener Dokumentarfilm, noch entzaubern können?

Weder Demontage noch Denkmalspflege habe er im Sinn gehabt, betont der Oscar-Preisträger von 2008; Dokumentaristen gehe es darum, echte Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen. Das aber scheint nur auf die achselzuckende Botschaft hinauszulaufen: Wie so mancher kompromisslose Neuerer war eben auch Computer-Guru Jobs nicht ohne Egomanie zu haben, die wir Genies wohl nachsehen sollten. Unterschwellig ist das die Moral selbst in Sorkins Drehbuch, wenn es einen hunderte Millionen schweren Unternehmer, der Frau und Kind von der Sozialhilfe leben ließ, erst vorführt, um ihm dann doch einen bemüht-versöhnlichen Schluss mit der lange verleugneten Tochter Lisa zu bescheren.

Gibneys Arbeit kennt kein Happy End und steht überhaupt zu Unrecht im Schatten des Spielfilms, auch wenn sie sich zwei Verklärungen leistet: Ständig heißt es aus dem Off, Jobs habe Produkte erfunden („made“), die jeder liebte. Abgesehen davon, dass Menschen, die ihr iPhone „streicheln“, besser den Paartherapeuten aufsuchen, hatte der Apple-Mitgründer bekanntlich Konzepte. Erfunden oder hergestellt hat er nichts, er hat entwerfen, bauen, programmieren, designen lassen. Zur Verzerrung kommt es auch, weil dem Regisseur ausgerechnet Steve Wozniak, der Erfinder von Apple I und II, als Gesprächspartner fehlte.

Die tatsächliche Verdienstverteilung mag Gibney für geläufig gehalten haben. Setzt man sie in Beziehung zu seinem auch in Japan recherchierten Material, ergeben sich jedenfalls schöne Pointen. Als der ganz junge Jobs sich für erleuchtet hielt und sein Zen-Meister einen Beweis dafür sehen wollte, präsentierte er nach Kōbun Chinos Erinnerung einen Chip: „Ich habe ihn entworfen, mein Freund Woz hat mir dabei geholfen.“ Woz ihm? Der Erleuchtete war der Assistent. Und als Initiator des Macintosh gilt heute Jef Raskin, Jobs als derjenige, der das Projekt nur zu Ende führte. Gleichwohl lässt sich Letzterer 1984 bei der legendären Präsentation des Mac von dessen Elektrostimme als der Mann feiern, „der wie ein Vater zu mir war“. So hartnäckig Jobs buchstäbliche Vaterschaft abstritt, für metaphorisch-technische war er zu haben.

Den einen Freund aus Gründertagen, Wozniak, gleich beim ersten Deal mit Atari übers Ohr gehauen, den anderen, Daniel Kottke, mit genau null Aktien bedacht, Angestellte bei abweichenden Meinungsäußerungen platt gemacht ‒ kein Eintrag im Sündenregister fehlt, allerdings waren diese schon dem gefloppten „Jobs“-Indiepic von 2013 zu entnehmen. Differenzqualität gewinnt Gibney jenseits der Aha-Effekte. Beispielsweise, wenn er Jobs’ Vorzüge erklärt: seinen ausgeprägten Sinn für schlicht-schöne und schön einfache Geräte mit der Inspiration durch Zen-Gärten (beeindruckend stimmige Aufnahmen vom Ryōan-ji), die extreme Konzentrationsfähigkeit mit der Wahlverwandtschaft zu buddhistischen Mönchen. Und die wenig mönchische Profilneurose? Zeugte nicht nur von einem überkompensierenden Adoptivkind, sondern wurde noch durch den medialen Resonanzraum verstärkt.

Die Schlüsselszene ist das erste Fernsehinterview anno 1978. Zum Apple II bemerkt der ABC-Moderator wie selbstverständlich: „Steve Jobs, das ist Ihr Baby“. Schwer, da „nein“ oder auch nur „na ja“ zu sagen. Zumal ein mit seinen 23 Jahren stupend souveräner Redner die Fähigkeiten eines Personal Computer so flockig zu erklären und mit Kreativitätsversprechen anzureichern weiß wie kein Zweiter. Eigentlich steht Apple damals nur für gelungene Arbeitsteilung. Das Start-up bringt vordem noch getrennt und nacheinander auftretende Akteurstypen zusammen: die Tüftler, Bastler, Ingenieure mit demjenigen, der die Bedeutung einer Erfindung für die Benutzer begreift und also das Verkaufspotenzial. Eine Schieflage entsteht erst, als TV- und Printjournalisten das Marketinggenie Jobs wie einen Erfinder handeln, so dass allein er die Aufmerksamkeit einstreicht. Ein Problem, das sich später mit den i-Produkten zuspitzt. Gerade sie verdanken sich kollektiver Kreativität, wie mit jedem der von Gibney befragten Beteiligten deutlicher wird ‒ auf die Titelseiten aber schafft es nur Jobs.

Was der Film zeigt, ohne es ausdrücklich zu thematisieren, ist ein digitaler Kapitalismus, der die Ideologie des bahnbrechenden Einzelunternehmers fortschreibt. Explizit auseinandergenommen wird dagegen Jobs’ Anspruch, mit Apple die Welt zum Besseren verändert zu haben. Denn der will sich nicht vertragen mit beendeten Philanthropie-Programmen, Verhinderung freier Arbeitsplatzwahl im Silicon Valley, Einschüchterung unliebsamer Journalisten, schamlos rückdatierten Aktienoptionen und ausgepressten Arbeitskräften in den chinesischen Fertigungsstätten. Da die Faktenerzählung neben den Widersprüchen auch herausmeißelt, wie allergisch die globale Apple-Gemeinde auf sei’s noch so sachliche Kritik reagiert (zu spüren bekommt das der New Yorker Autor Joe Nocera), weitet sich das Psychogramm zum Porträt einer digitalen Religionsgemeinschaft.

Ganz anders als dem Spielfilm und trotz des reißerischen Untertitels „Berechnend. Brillant. Brutal“ geht es der Doku weniger um individuelle Charakterschwächen. Das zentrale Thema ist der Kult um Jobs und seine Produkte. Gibney stellt die Mythologie eindringlich in Frage, gerade weil er sich nicht einfach über sie erhebt. Als Ich-Erzähler unterstreicht er die eigene Faszination fürs iPhone, und sein Archivmaterial würdigt Jobs als unermüdlichen Motivator hochkarätiger Entwickler wie als begnadeten Präsentator. Doch erinnert er auch an die Penetranz eines „Geschichtenerzählers“, der den Leuten weismachte, mit dem Kauf guter Produkte beteilige man sich an etwas irgendwie Rebellischem, in der Tradition von Bob Dylan, John Lennon und so.

Indem Gibney die Selbstüberhöhung von Apple nachdenklich aufs Korn nimmt, ermuntert er Cupertino-Gläubige, sich für Zweifel zu entsperren. Was ist vom Verantwortlichen einer Werbekampagne zu halten, die 1997 stinknormalem Profitstreben einen gegenkulturellen Anstrich verlieh? Wäre die Vorstellung vom menschheitsbeglückenden iGod nicht zu überdenken? Jobs’ Weltverbesserungs-Rhetorik könnte man einmal anders sehen, als Karikatur der Gegenkultur. Think different.

Steve Jobs. The Man in the Machine
Regie: Alex Gibney
USA 2015
Länge: 123 Minuten (DVD)

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