Suche nach der Postmoderne

Wie Klaus Modick Dichter wurde, ohne Dichter werden zu wollen

Von Laura KonertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Konert

Polizist wollte er werden, Seemann, Pilot oder Maurer, später Rockstar oder Theaterregisseur, erinnert sich Klaus Modick anlässlich seiner Poetik-Vorlesung im November 2015. Nur Dichter werden, das wollte er nicht. Und so trat Modick nicht in die Fußstapfen seines Idols Leonard Cohen, sondern absolvierte das notwendige Studium, um später einem „vernünftigen“ Beruf – wie ihn seine Eltern vorsahen – nachgehen zu können und als Lehrer zu reüssieren. Nach seinem Staatsexamen wurde dieses Zukunftskonstrukt jedoch kurzerhand über Bord geworfen, ihm war „klar geworden, daß [s]eine Zukunft der Germanistik gehörte, genauer: der Neueren deutschen Literaturwissenschaft […].“ Doch auch dieser Kurs entpuppt sich mehr und mehr als der Falsche, und so macht Modick sich auf in größeres Fahrwasser und kommt beinahe en passant zum Schreiben.

Von Moos, Ladenhütern und dem „lauten, alten Mann“ – ein „textuelles Selfie“

Während Modicks literarisches Debüt, die Novelle Moos (1984), unmittelbar Verlag und Kritiker-Anklang findet, dient sein erster Roman Ins Blaue (1985) zunächst vor allem einem Zweck: Der Ablenkung vom Wesentlichen, nämlich dem Schreiben seiner Doktorarbeit über Lion Feuchtwanger. Dennoch vollzieht sich in diesen Jahren die Metamorphose Modicks vom Germanisten, der ja kein Dichter werden wollte, zum Dichter, der der Germanistik durchaus kritisch, wenn auch nicht abgeneigt gegenübersteht.

Und dann war da noch Das Grau der Karolinen (1986), jenes mysteriöse Werk, bei dem sich die Literaturkritiker bei aller Uneinigkeit in einem Wertungskriterium „bemerkenswert einig waren. Diese Besonderheit hieß: Postmoderne.“ Ein Attribut, das Modick – wie er in seiner Lesung betont – bis dato kein Begriff war, und das er zwei Jahre später in seinem Romanverschnitt Weg war weg  (1988) zum Sujet machen wird. Er „handelt davon, wie einem ehrgeizigen Schriftsteller das Manuskript seines überaus ambitionierten, entschieden bis peinlich postmodernen Romans abhanden kommt.“ Die folgenden Werke bezeichnet der Dichter selbst als „Trilogie der Unverkäuflichkeit“: Die Romane Die Schrift vom Speicher (1991) und Das Licht in den Steinen (1992) sowie die Sonette Der Schatten den die Hand wirft (1991) erweisen sich als sture Ladenhüter. 1994 erscheint sein Roman Der Flügel, der zwar „den bitter notwendigen Erfolg“ bringt, vom „lauten, alten Mann“ des Literarischen Quartetts jedoch wütend verrissen wird.

In den Romanen Der Mann im Mast (1997), Vierundzwanzig Türen (2000) und September Song (2002) sowie dem Journal Vatertagebuch (2004) verortet Modick die Themen Familie und Kinder als ein „zentrales Motiv“ seines literarischen Schaffens. Konzert ohne Dichter (2015), sein zuletzt erschienener Roman, lässt diese Thematik jedoch wieder in den Hintergrund rücken und beschreibt die „Chronique scandaleuse“ der Künstlerkolonie Worpswede zu Beginn des letzten Jahrhunderts aus der Sicht des künstlerischen Multi-Talents Heinrich Vogeler.

Kampf der Disziplinen

Es ist selten, dass ein Autor so offen und kritisch über die einzelnen Spieler des Literaturbetriebs spricht. Und so schreckt Modick weder davor zurück, den GermanistInnen den Kampf anzusagen, noch den VerlegerInnen und AgentInnen den Rücken zu kehren. Erstere werden scharfzüngig als „Literaturverderber“ betitelt, für die Methodik und Theorie als einzige Paradigmen der Literatur gelten und denen überdies ohnehin jeglicher „Selbstzweifel“ fremd sei. „War also Literaturwissenschaft am Ende nur die systematische Vertreibung des Literarischen aus der Literatur?“ Zweifelsohne eine harte – wenngleich polemische – an die Wissenschaft adressierte Schelte. Nur folgerichtig evoziert Modick in seiner Poetik-Lesung zudem das Bild eines Germanistikprofessors „vom Schlage ‚Sachbearbeiter Literatur‘“.

Neben die Germanisten als Literaturverderber reiht Modick den Verleger als gierigen Haifisch des großen Literaturbeckens in die Galerie der düsteren Literaturpraxis ein: Denn „Agenten wollen von den Autoren immer nur das Beste – nämlich 15% Agentenanteil an den Honoraren und Tantiemen.“ Insbesondere zur Literaturkritik scheint Modicks Verhältnis zwiegespalten, denn er selbst schrieb und schreibt noch Literaturkritiken. Betont werden muss, dass Modick sich in diesem Geflecht ausschließlich als Autor verortet. Zum Verhältnis zwischen Autor und Kritiker betont er an diesem Poet in residence-Abend witzelnd, dass sie zwar alle in einem Boot säßen, die Autoren jedoch diejenigen seien, die ruderten. Während die Kritiker also in Modicks Augen gerudert werden, können sie sich aktiv einer anderen Leidenschaft widmen, namentlich der Unruhestiftung. Hierzu zitiert er Charles Simmons, der in der Kritik „eine Methode [sieht], alte Freundschaften zu ruinieren oder sich neue Feinde zu schaffen.“ Mit welchem zugrundeliegenden Verständnis sich Modick nun als Literaturkritiker sieht, liest sich daran ab, dass ihm zuweilen als Literaturkritiker ein größeres Publikum vergönnt war denn als Autor. Hierzu resümiert er: „Aber daß sich der Dichter nun zum Kritiker verpuppen sollte, erschien mir als peinlicher Triumph des Sekundären. Der Mister Hyde, den ich als Kritiker spielte, war drauf und dran, den Dr. Jekyll zu vertilgen, der ich als Schriftsteller war.“

Der Literaturübersetzung steht Modick in Anbetracht des bisherigen Urteils erstaunlich positiv gegenüber, denn hierin ließe sich für ihn als Autor ein größerer Mehrwert ausmachen: „Machart und Feinstruktur eines fremden Textes lernt man als Übersetzer besser kennen als durch bloße Lektüre, und da läßt sich dann gelegentlich auch so mancher Honigtropfen fürs eigene Werk saugen.“

Zur Begrifflichkeit der Literaturverderber

Aber die ZuhörerInnen sind immer noch auf der Suche… auf der Suche nach der Postmoderne und der Popliteratur und der Ü-Literatur. Während Modick das Postmoderne in seiner Prosa erst post scriptum zu suchen vermag, versucht sich so mancher Unwissender an der „literaturfremde[n] Kategorisierung“ von Literatur in U- und E-Literatur. Wo also lässt sich Klaus Modicks Prosa verorten? Sind seine Werke belletristisch? Unterhaltsam? Oder möglicherweise doch ernsthaft? Erkenntnisreich? Modicks knappe Antwort lautet in diesem Fall: „Weder – noch. […] Ich mache Ü!“ Nun sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, was wir darunter zu verstehen haben. Überraschungsliteratur? Überhaupt-keine-Kategorie-Literatur? Oder speist sich der Buchstabe Ü aus der Zusammenführung von U und E? Und um abschließend eine weitere terminologische Unschärfe anzuführen, wird insbesondere Modicks Roman Bestseller (2006) nicht selten in einem Atemzug mit der sogenannten Pop-Literatur genannt. „Man kann bei diesen Autoren [Modick und Stuckrad-Barre] immer wieder beobachten, dass sie systematisch versuchen, die Grenze zwischen Fiktion und Realität und insbesondere zwischen Erzähler und Autor zu verwischen“, heißt es beispielsweise bei Michael Buchmann (Texturen). Aber wo bleibt die deutliche Kritik und wo die klare Gegenposition? Die Begrifflichkeiten der „Literaturverderber“ müssten zunächst genauer definiert – in Modicks Augen womöglich systematisch entfremdet und kategorisiert – werden, um sie als Parameter an Modicks Werk anlegen zu können.

Modicks bio-bibliografischer Vortrag zeigt jedenfalls, dass Interdisziplinarität nicht ausschließlich positiv bewertet werden kann. Um im Bilde zu bleiben: Die Besatzung des großen Literaturbetrieb-Kahns leidet zuweilen unter einem großen Kompetenzgerangel, anmaßenden Hierarchiebestrebungen und zu guter Letzt nicht selten unter manieristischen Eitelkeiten. Daher ist Modicks Lesung weitaus mehr als bloß beweihräuchernde Aufzählung der literarischen Etappen. Spitz – mitunter beinahe zynisch – formuliert, gewährt Modick Einblicke in die Welt des aktuellen Literaturbetriebs. Die als spontan empfundene Spitzzüngigkeit des Autors erweist sich allerdings als eine schon länger eingeübte Haltung und dadurch etwas wohlfeile Ironie: Sie findet sich so bereits in der 2010 publizierten Version des Vortrags.

Klaus Modick: Dichter wollte ich nicht werden. Eine bio-bibliografische Langnotiz. In: Andrea Hübener – Jörg Paulus – Renate Stauf (Hrsg.): Umstrittene Postmoderne. Lektüren. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2010. S. 229–241.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen