Duell zwischen Caravaggio und Quevedo, oder wie ein Tennismatch Welten verbindet

Álvaro Enrigues Roman „Aufschlag Caravaggio“

Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit wann spielen die Menschen eigentlich Tennis? Und seit wann gibt es Tennisschuhe, heute das salonfähig gewordene und verbreitetste Schuhwerk weltweit? Und wie fabrizierte man die Bälle? Auf die erste Frage gibt der mexikanische Autor Álvaro Enrigue, 1969 in Guadalajara/México geboren, dank ausgiebiger Recherchen die präzise Antwort: seit 1451.

Vierzig Jahre später trennten sich Michelangelo Merisi da Caravaggio und der hinkende spanische Dichter Francisco de Quevedo in Rom nach einer durchzechten Nacht mit wüsten Beschimpfungen. Um die verlorene Ehre zurückzugewinnen – so wichtig für alle Spanier im Goldenen Zeitalter – forderte Quevedo den Maler heraus, aber nicht zu einem Duell, sondern zu einem Tennismatch. Dieses frei erfundene Spiel findet am 4.Oktober 1599 auf der Piazza Navona statt.

Historisch verbürgt ist, dass Quevedo auf der Flucht vor der spanischen Justiz eine Zeit in Rom verbrachte. Caravaggio ebenfalls, obwohl sich die beiden vermutlich nicht zur gleichen Zeit dort aufhielten. Enrigue liefert Details aus den Biographien beider Künstler, beschreibt ihre Armut, die Gönner, Alkohol , Sex oder Homosexualität, Schlägereien und sogar Mord , und das ergibt ein eindrucksvolles Bild Roms am Ende eines Jahrhunderts, in dem alte und neue Gedanken auf der Schwelle zur Renaissance aufeinanderprallten.

Im Match haben beide einen Sekundanten: Caravaggio kommt mit Galileo Galilei, Quevedo mit seinem Freund und Mäzen, Herzog von Osuna. Dieser hatte die Enkeltochter von Cortés geheiratet und von ihm ein Federamulett (mit Haaren des letzten aztekischen Kaiser) geschenkt bekommen, das er Quevedo für das Match umhängt, damit es ihm Glück bringe. Cortés hatte es bis zu seinem Tode nie abgelegt. So wird die Brücke geschlagen zur Geschichte von Hernán Cortés, der Eroberung Mexikos, der Übersetzungskünste oder Fehldeutungen von Malinche, Geliebte von Cortés und bis heute die meist gehasste Frau Mexikos. Enrique hat sich genau dokumentiert, und obwohl er nur punktuelle Begebenheiten aufgreift, wird die Grausamkeit der Eroberung, das Diktat des Christentums, die Vernichtung der mexikanischen Hochkulturen deutlich. Der Bischof und Inquisitor Juan de Zumárraga ließ zum Beispiel alle Werke der Indios verbrennen, gründete zugleich aber die erste Bibliothek Mexikos, die den Grundstein der ersten Universität des Kontinents bildete. Er las begeistert die Utopia von Thomas Morus, gab sie auch dem Bischof Vasco de Quiroga, der seinerseits die Indios schützte, ihre Heilkunde verwendete, Krankenhäuser baute, die subtile Federkunst protegierte und förderte ( wie sich später auch Bernardino de Sahagún oder Las Casas für die Kultur der Indios interessierten und sie vor der Vernichtung zu bewahren versuchten). Das von beiden Bischöfen handschriftlich kommentierte Exemplar der Utopia steht heute in der Universitätsbibliothek von Austin/Texas.

Enrigue sagt im Roman: „Wenn es eine Weltmeisterschaft toter Humanisten gäbe, stünden Erasmus von Rotterdam und Vasco de Quiroga im Endspiel. Vasco würde haushoch gewinnen“. Und er macht eine Selbstbefragung: „Jetzt, da ich dieses Buch schreibe, weiß ich eigentlich nicht, wovon es handelt. Oder was er erzählt. Es handelt nicht unbedingt von einer Partie Tennis. Und auch nicht von der langsamen Integration Amerikas in das, was wir in unserer geradezu obszönen Ahnungslosigkeit als ‚westliche Welt‘ bezeichnen – für die Amerikaner ist Europa der Osten“. Und er endet seine Überlegungen: „Ich weiß aber, dass ich beim Schreiben sehr zornig darüber wurde, dass immer die Bösen gewinnen. Vielleicht werden alle Bücher nur geschrieben, weil die Bösen stets im Vorteil sind und weil das unerträglich ist“.

Aber im Tennis gelten Regeln, und es gibt Glück, Zufall, Tricks, die ein Spiel entscheiden können. Verlierer werden manchmal zu Gewinnern und umgekehrt. Caravaggio gewinnt das Match, wird aber umgebracht, Quevedo muss ins Exil und der siegreiche Cortés stirbt vereinsamt in Spanien.

Äußerst subtil und gelungen werden die drei Handlungsstränge verwoben, wie in einem Federumhang, der im Licht aufleuchtet. Das Buch steckt voller Recherche und liest sich dennoch leicht und spannend. Vasco de Quiroga und sein Schicksal ‒ eine beeindruckende Persönlichkeit ‒ sind eine Entdeckung selbst für jene, die mit der Geschichte von Entdeckung und Eroberung Mexikos vertraut sind.

Enrigue beschreibt aber nicht nur Neu-Spanien, sondern die Verhältnisse in Rom, insbesondere das prunkvolle Leben der machthungrigen, geilen, präpotenten Päpste und ihre Intrigen. Renaissance und Gegenreformation kämpften um die Vorherrschaft. Das schmutzige Rom (oder Madrid oder Paris) im Kontrast zur Hygiene Mexikos, Hybris und brutale Gewalt versus Gastfreundschaft und kultivierter Höflichkeit: es gibt viele Gründe für einen Mexikaner, wütend zu sein. Spanische Analphabeten und verbohrte Kleriker entschieden damals über das Geschick von Millionen Indios, Tausende wurden von der Inquisition zum Tode verurteilt oder in zahllosen Eroberungsschlachten aufgerieben.

Das ist ein Roman, der nicht einzuordnen ist: ein Buch für Menschen, die sich von der Literatur nicht nur unterhalten lassen wollen, sondern mehr verlangen. Nicht chronologisch erzählt, ist Aufschlag Caravaggio mit Vor- und Rückblenden so informativ, dass der Leser sich vermutlich oft die Augen reiben wird. Die 71 meist kleinen Kapitel, unterbrochen von Eintragungen aus alten Lexika, machen die Lektüre abwechslungsreich und immer wieder überraschend. Mit beißender Ironie oder schwarzem Humor, mit bitteren oder humorvollen Seitenhieben, sprachlich innovativ und assoziationsreich, führt Enrigue den Leser durch die Geschichte dies- und jenseits des Atlantiks und überschreitet dabei souverän das Konzept des historischen Romans.

Hinweisen möchte ich auf die Leistung des Übersetzers Peter Kultzen, der viele sprachliche Register bedienen musste: er findet den jeweils passenden Ton für kunsthistorische Bildbeschreibungen, für die Tiraden der betrunkenen Künstler, für die Herstellung des mexikanischen Federschmucks, das Tennisspiel von damals und vieles mehr. Alles fließt wunderbar zusammen.

Und welche geheime Geschichte verbirgt sich im Tennisball, der in diesem Match benutzt wird? Sie sei dem Leser hier nicht verraten, nur dies: es handelt sich um ein geschichtsträchtiges Exemplar, das mit der Ermordung von Anna Boleyn, Königin von England (1533-1536) in Zusammenhang steht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Álvaro Enrigue: Aufschlag Caravaggio. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Blessing Verlag, München 2015.
304 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783896675453

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