Jenseits von Schwarz und Weiß

Der Theatermacher George Tabori lässt sich auch als Romancier entdecken

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seine Theaterstücke machten ihn berühmt: Absurd und komisch, beklemmend und provozierend, arbeitete sich George Tabori in ihnen am Schrecken des Nationalsozialismus ab. Der 2007 verstorbene Autor gehörte zu den größten Theatermachern Deutschlands. Gut also, dass der Steidl-Verlag die Stücke Taboris in zwei schlicht „Theater“ betitelten Bänden zu dessen 100. Geburtstag vor zwei Jahren wiederaufgelegt hat. Noch besser aber, dass die Göttinger zugleich auch die Roman-Box, die 2004 schon einmal auf dem Markt war und längst vergriffen ist, gleich noch einmal hinterhergeschoben haben.

Um Frühwerke handelt es sich bei den vier Romanen, die diese Box vereint: „Das Opfer“, „Gefährten zur linken Hand“, „Ein guter Mord“ und „Tod in Port Aarif“ entstanden in den 1940er-Jahren, lange vor „Die Kannibalen“, „Mein Kampf“ und „Mutters Courage“, erst in den 1990er-Jahren erstmals im Deutschen erschienen, aus dem Englischen übersetzt von Taboris zweiter Ehefrau Ursula Grützmacher-Tabori.

Bereits in diesen frühen Romanen werden die Themen des späteren Dramatikers sichtbar: Es ist das Verwischen der Grenze zwischen Opfer und Täter, eine Umkehr einer stets nur anfänglich klaren Zuschreibung, die die vier Romane dominiert. Eng verbunden damit ist der immer wieder auftretende Themenkomplex Schuld und Gleichgültigkeit. Tabori lotet die menschliche Moral aus. In seinem Erstling „Das Opfer“ etwa entlässt ein (durchaus unsympathischer) deutscher Offizier einen britischen Gefangenen letztlich in die Freiheit. Schwarz und Weiß scheinen bei Tabori auf den ersten Blick erkennbar, ehe er nach und nach diese Stereotypien gezielt unterläuft. Das gilt sogar im Umgang mit dem Feind, den Deutschen – ein Umstand, der bei Erscheinen des Buches 1944 für einen kleinen Skandal sorgte. „Jedes Leben ist ein Kriminalroman, voller nebliger Nächte, falscher Bärte und Spuren, und die Jagd geht im Kreis, denn der Täter ist immer auch das Opfer.“

Ähnlich verhält es sich in „Ein guter Mord“ und „Tod in Port Aarif“. Nach und nach lösen sich auch hier die klaren moralischen Zuschreibungen auf, allerlei Grautöne entstehen. „Mein erster Roman hatte einen Deutschen zum Helden. Einige amerikanische Kritiker schelten mich dafür der taktlosen Objektivität“, blickte Tabori später auf seinen Erstling zurück. „Die war es nicht, vielmehr eine bittere Wut über die kriegerischen Zeiten, die den Menschen mit der Dummheit aller Dämonologien zum Stereotyp abstrahieren.“

„Gefährten zur linken Hand“ schildert den Einbruch des Krieges in ein Boheme-Leben. Der Schriftsteller Stefan Farkas, der mitten im Krieg doch eigentlich nur Urlaub in Benito Mussolinis Italien machen wollte, findet sich plötzlich mitten in der Revolution wieder. Und gerät als nur vermeintlich Unbeteiligter immer wieder zwischen die Fronten, da ihn der Anarchist Giacobbe di Bocca in allerlei Debatten um existenzielle Fragen verwickelt. Wie schuldig macht sich Farkas durch sein passives Erdulden des Faschismus, in dem er es sich leidlich eingerichtet hat?

Es ist dieses Vorgehen, das die vier Romane prägt. Zwei männliche Kontrahenten begegnen sich in existenziellen Situationen: der deutsche Offizier Helmut von Borst und der britische Captain Fowler („Das Opfer“), Farkas und di Bocca („Gefährten zur linken Hand“), Tristan Manasse und sein plötzlich auftauchender Jugendfreund Papagos („Ein guter Mord“) sowie der Arzt Francis Varga und sein Patient, der Provinzgouverneur El Bekkaa („Tod in Port Aarif“). Die Romane sind Thriller und Moralstücke in einem. Was in ihnen weitestgehend aber noch fehlt, ist der abgründig-böse Witz, der das spätere „Holocaust-Theater“ und Tabori selbst ebenso berühmt wie berüchtigt gemacht hat.

Zudem blitzen in den Romanen immer wieder die Lebensstationen Taboris auf, sie sind ein verfremdetes Protokoll seiner Wanderjahre, Desiderat eines abenteuerlichen Lebens. „Das Opfer“ etwa spielt in Sofia und Istanbul, wo Tabori selbst Anfang der 1940er-Jahre lebte und dort das strandende Auswandererschiff, von dem er im Laufe des Buches erzählt, selbst in Augenschein nehmen konnte. Auch Ägypten, Schauplatz von „Ein guter Mord“ und „Tod in Port Aarif“, bereiste Tabori während seiner Zeit als Offizier des britischen Nachrichtendienstes.

In vielerlei Hinsicht lesenswert sind diese frühen Romane George Taboris also. Sie sind Zeugnis eines bewegten Lebens in noch bewegteren Zeiten, sie sind Wegmarken in der Entwicklung eines großen Bühnenautors, und sie sind vor allem vier hervorragend gemachte, an Albert Camus geschulte, ebenso spannende wie durchaus tiefsinnige Bücher.

Titelbild

George Tabori: Die Romane.
Herausgegeben von Wend Kässens.
Übersetzt aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori.
Steidl Verlag, Göttingen 2014.
1182 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783869307541

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