Auf der Jagd

Zwei Bücher von Beate und Serge Klarsfeld dokumentieren ihren Kampf für Gerechtigkeit und gegen das Vergessen

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Namen Beate Klarsfeld mögen junge Leser vor allem ihre Kandidatur für das Bundespräsidentenamt verbinden, die sie 2012 gegen Joachim Gauck verlor. Ins Licht der Öffentlichkeit trat sie jedoch bereits im November 1968 mit einem handfesten Skandal, als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt Kiesinger auf einem Parteitag der CDU ohrfeigte und dabei laut „Nazi! Nazi!“ skandierte. Mit der spektakulären Aktion wollte Klarsfeld die bundesdeutsche Gesellschaft auf die NS-Vergangenheit Kiesingers aufmerksam machen. Dieser war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte ab 1943 als stellvertretender Leiter der rundfunkpolitischen Abteilung einen hohen Posten im Propagandaapparat der Partei inne. „Man sollte einen Kanzler nicht respektieren, weil er Kanzler ist“, schreibt Beate Klarsfeld dazu, „sondern weil er ein respektabler Mensch ist.“ Der Verfolgung einer Reihe nicht respektabler Menschen, und zwar Nazi-Verbrecher, haben die Eheleute Beate und Serge Klarsfeld einen Großteil ihres Lebens gewidmet. Ihre gemeinsam verfassten autobiografischen „Erinnerungen“ sind 2015 im Piper Verlag erschienen.

Wer sich von der Lektüre des gut 600 Seiten umfassenden Buchs tiefere Einblicke in das private Leben der Klarfelds erhofft, dürfte enttäuscht werden. Die Erinnerungen sind weniger eine klassische Lebensbeschreibung, sondern vielmehr Zeugnis ihres politischen Wirkens. Nur kurz werden die biografischen Hintergründe angerissen: Beate, die Tochter eines Wehrmachtssoldaten, flüchtet 1960 aus dem miefigen Nachkriegsdeutschland nach Paris und lernt dort Serge kennen, dessen jüdische Familie aus Rumänien stammt und der sich mit der jüngeren deutschen Geschichte viel besser auskennt als Beate. Als achtjähriger Junge hat Serge in einem Schrankversteck in Nizza eine Razzia der Gestapo überlebt, bei der sein Vater festgenommen und später in Auschwitz ermordet wurde. Die Schilderung der dramatischen Festnahme ist durchaus spannend, allerdings neigt Serge Klarsfeld zu einem sehr sprunghaften, assoziativen Stil, sodass bei all den Daten, unterschiedlichen Zeiten und Schauplätzen der Überblick leider manchmal verloren geht. Zu den interessantesten Passagen des Buchs zählen jene, in denen das gesellschaftspolitische Klima in der Bundesrepublik der späten 1960er-, frühen 1970er-Jahre thematisiert wird, das von den Unruhen der studentischen Protestbewegung und den Spannungen des Kalten Kriegs geprägt ist, sowie einer weit verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen des Dritten Reichs. Durch die Kiesinger-Affäre wird Beate Klarsfeld zu einer öffentlichen Figur, die zwangsläufig Gefahr läuft, von poltischen Strömungen und Ideologien vereinnahmt zu werden, so etwa seitens der SED, die sie 1969 zur Feier des 20. Jahrestags der Staatsgründung der DDR nach Ost-Berlin einlädt. Die Schilderung der Feierlichkeiten, bei der sie sich zum Small Talk mit Walter Ulbricht und Erich Honecker trifft („Ich trug ein zugleich pariserisch chices und sittsames weißes Cocktailkleid, das die Blicke der kommunistischen Politiker auf sich zog“), wirkt einigermaßen befremdlich. Als sie wenige Monate später in Warschau und Prag öffentlich gegen den Antisemitismus in den sozialistischen Bruderstaaten protestiert, führt dies allerdings rasch zum Bruch mit der DDR.

Den inhaltlichen Schwerpunkt der Erinnerungen bilden die aufsehenerregenden Aktionen gegen ranghohe Naziverbecher. Die Klarsfelds verfolgten deren Spuren bis nach Syrien, das Alois Brunner, einem der Mitorganisatoren Adolf  Eichmanns bei der Judenvernichtung, Unterschupf gewährte, oder nach Südamerika, wohin viele Nazi-Schergen wie Josef Mengele oder Klaus Barbie geflüchtet waren. Andere von ihnen konnten in der Bundesrepublik – von juristischen Nachstellungen verschont – ein bürgerliches Leben führen und Karriere machen. Es beeindruckt, wie hartnäckig die Klarsfelds ihre Kampagnen oft über viele Jahre verfolgten (die sie im Buch bezeichnenderweise in aggressiver Terminologie als „Jagd“ bezeichnen), wie sie immer wieder Aktionen planten, lautstark protestierten und unermüdlich aus den Archiven das nötige Beweismaterial zusammentrugen, bis endlich Anklage erhoben wurde. In der Bundesrepublik konnten selbst in Frankreich verurteilte Drahtzieher der Deportationen wie Herbert Hagen, der als SS-Mann beim Sicherheitsdienst Vorgesetzter von Eichmann war, oder Kurt Lischka, der während der deutschen Besatzung die Sicherheitspolizei in Paris befehligte, bis in die 1970er-Jahre völlig unbehelligt leben. Lischka machten die Klarsfeld frappierend simpel über das Telefonbuch ausfindig – er hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich einen Decknamen zuzulegen: „Nur in Kriminalromanen leben die Naziverbrecher gehetzt und bei jedem Knarren der Tür zusammenzuckend irgendwo in Patagonien.“ Die Klarsfelds folgten bei ihren Kampagnen einer festen Strategie: Sie mobilisierten zunächst die Presse mit einer spektakulären Aktion, um öffentlichen Druck auf Politik und Staatsanwaltschaft auszuüben. Absichtliche Verhaftungen waren Teil dieser Strategie. Im Falle Lischkas bestand die Aktion aus einer fingierten Entführung vor seinem Wohnhaus in Köln, eine skurrile Szene, die einer gewissen Komik nicht entbehrte. Andere Passagen sind hingegen etwas ermüdend zu lesen, was an der Detailversessenheit liegt, mit der die Klarfelds ihre Kampagnen protokollieren. Es entsteht der Eindruck einer atemlosen Umtriebigkeit, mit der von Akte zu Akte, von Aktion zu Aktion gehetzt wird. Ganz am Ende, als Beate Klarsfeld doch noch zu einem seltenen Exkurs ins Private ansetzt und einige skizzenhafte Ausführungen zum Alltagsleben der Familie in Paris niederschreibt, wirkt das eher wie ein Zugeständnis an die antizipierte Lesererwartung.

Ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer jahrelangen Recherchearbeit ist der Band „Endstation Auschwitz“, der 2008 im Böhlau Verlag erschienen ist und den deportierten jüdischen Kindern aus dem besetzten Frankreich gedenkt. Zusammengetragen haben die Klarsfelds biografische Daten und Fotografien von etwa 200 der insgesamt über 11.000 jüdischen Kinder, die zwischen 1942 und 1944 aus Frankreich deportiert wurden. Eine Gemeinsamkeit der porträtierten Kinder ist ihre Herkunft, denn ihre Familien stammten aus Deutschland und Österreich und waren nach der Machtübernahme der Nazis nach Frankreich geflüchtet. Neben den kurzen Lebensbeschreibungen und Daten zur Verhaftung und zur Deportation sind auch persönliche Dokumente wie Notizen und Briefe abgedruckt, die die Kinder zum Teil aus der Gefangenschaft in den französischen Sammellagern, in einem Fall gar aus dem Transportzug in Richtung Auschwitz geschrieben haben und die dem Band eine sehr emotionale und persönliche Note verleihen. Unter einem Foto, das die aus dem Schwarzwald stammende Familie Nussbaum 1942 vor ihrer Verhaftung in Zentralfrankreich zeigt, ist eine Notiz angefügt, die die neunjährige Edith während ihrer Inhaftierung an eine Schulfreundin verfasst hat: „Du siehst, ich nahm meine Ohrringe ab und Mutter den Ehering, damit die Deutschen die nicht bekommen. Dir gebe ich meinen Farbkasten. Wenn Du malst, wirst Du an mich denken.“  Die gesammelten Fotografien zeigen die Kinder zumeist in unbeschwerten, glücklichen Momenten, wie etwa den kleinen Jean-Pierre, dessen Familie aus Frankfurt stammte und der seinen Vater lachend mit dem Rasierpinsel einschäumt, oder auch der 1935 in Wien geborene Georg Halpern, der vom Kinderhilfswerk OSE im Kinderheim von Izieu untergebracht worden war und auf einigen Fotos beim Spielen im Freien und auf einem Gruppenfoto mit den anderen Kindern des Heims zu sehen ist. Als es am 6. April 1944 in Izieu zu einer Razzia unter der Leitung von Klaus Barbie kam, wurden sieben Erzieher und 44 Kinder, unter ihnen Georg, festgenommen und kurze Zeit später deportiert.

Die gesammelten Dokumente des Bands sind von besonderer historischer Bedeutung, da sie den jungen Opfern des NS-Rassenwahns Namen und Gesichter geben und überhaupt erst die Möglichkeit schaffen, ihrer zu gedenken. An zahlreichen französischen Schulen sind infolge der Veröffentlichung dieser biografischen Daten Gedenktafeln angebracht worden, die an die deportierten Kinder erinnern.

Titelbild

Beate Klarsfeld / Serge Klarsfeld: Endstation Auschwitz. Die Deportation deutsch-jüdischer Kinder aus Frankreich. Ein Erinnerungsbuch.
Böhlau Verlag, Köln 2008.
187 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783412201562

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Titelbild

Beate Klarsfeld / Serge Klarsfeld: Erinnerungen.
Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Arno Klarsfeld.
Übersetzt aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer, Andrea Stephani und Helmut Reuter.
Piper Verlag, München 2015.
624 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057073

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