Schlußstrichmentalität

Erinnerungsliteratur zwischen Aufklärungsanspruch und Weißwäscherei

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit ungefähr Mitte der neunziger Jahre boomt die Erinnerungsliteratur zusehends. Handelte es sich anfangs vor allem um Erinnerungen Überlebender des Holocaust, fühlen sich jetzt auch zunehmend die Täter und deren Kinder bemüßigt, "Zeugnis" abzulegen. Zu den neueren Erscheinungen dieses Genres gehört das Buch von Ingeburg Schäfer und Susanne Klockmann mit dem seltsam anmutenden Titel "Mutter mochte Himmler nie".

Ingeburg Schäfer (Jahrgang 1933) fährt nach der Wende zusammen mit ihrer Schwester in den Geburtsort ihrer Mutter - Eschefeld in Sachsen. Durch Zufall erfahren sie von einer Truhe mit Dokumenten ihrer Eltern. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um Briefe ihrer Eltern an den Großvater und um den Briefwechsel der Eltern während des Zweiten Weltkriegs. Zwar wissen die Schwestern, daß ihre Eltern überzeugte Nationalsozialisten waren, doch dem Vorwort zufolge äußern die Eltern ihre Meinung über den Nationalsozialismus in den gefundenen Briefen sehr viel unverblümter als nach 1945.

Die in den siebziger Jahren einsetzende literarische Auseinandersetzung der Kinder mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Eltern ist in der Literatur unter dem Schlagwort "Väterliteratur" bekannt geworden. Die in der Regel kritische Auseinandersetzung mit der familiären Vergangenheit führt dabei zwangsläufig zu der Aufdeckung eines Generationenkonfliktes. Es geht in diesen Büchern demnach nicht um verklärte Kindheitserinnerungen, sondern um den Umgang der Kinder mit dem nationalsozialistischen Erbe der Eltern.

Eines dieser Bücher schrieb auch Christoph Meckel (Jahrgang 1935). Es erschien 1980 unter dem Titel "Suchbild. Über meinen Vater". Meckel hatte nach dem Tod seines Vaters dessen Tagebücher aus der NS-Zeit gefunden. In diesen Tagebüchern entdeckte er einen Menschen, der ihm bis dahin unbekannt war. Für Meckel standen den gereinigten Nachkriesgsdarstellungen des Vaters dessen grauenhafte Tagebucheintragungen gegenüber. Das Bild des Vaters zerfiel. Meckel mußte es für sich neu, vor dem Hintergrund der Tagebucheintragungen, aufbauen.

Die Ausgangslage von Christoph Meckel und Ingeburg Schäfer ist vergleichbar: Beide sind Anfang der dreißiger Jahre geboren, beide haben als Kinder den Krieg erlebt, beide kennen die "Nachkriegsversionen" der Eltern über den Nationalsozialismus und beide werden nach dem Tod der Eltern mit Schriftstücken konfrontiert, die ein anderes Bild der Eltern erkennen lassen. Doch für Meckel sind die Tagebücher Anlaß zur Dekonstruktion des bekannten Vaters. Meckel muß den Schilderungen des Vaters, seinem bisherigen Vater-Bild mißtrauen. Er ist mit zwei völlig verschiedenen Vater-Bildern konfrontiert und ihm fehlt eine "Tagesordnung", zu der er übergehen könnte.

Ganz anders Ingeburg Schäfer. Sie weiß, daß ihr Vater ein hoher Führer bei der SS war und daß die Familien väterlicher- und mütterlicherseits überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus waren. Doch man erwartet vergeblich, daß die Eltern und vor allem der Vater in einem, wie im Vorwort angekündigt, neuen Licht erscheinen. Findet sich bei Meckel eine kritische, sachlich gehaltene Auseinandersetzung mit dem Vater, fügt sich bei Ingeburg Schäfer das neu gefundene Material problemlos in das bestehende Bild ihrer Eltern ein. Es dient nicht mehr, wie sich schon im Titel des Buches ankündigt, der kritischen Hinterfragung der gereinigten Nachkriegsstory ihres Vaters, sondern der weiteren Entlastung ihrer Eltern. Am Ende des Buches stehen die Eltern als "gute" Nationalsozialisten dar, die trotz aller Unmenschlichkeit des Systems moralisch integer geblieben sind. Dieser Eindruck wird vor allem durch die Erzählweise hervorgerufen. Durch das ganze Buch ziehen sich lange Passagen aus dem Lebensbericht des Vaters.

Anstatt auf den Leser und dessen kritisches Textverständnis zu vertrauen, mischt sich vor und nach diesen Passagen immer wieder ein allwissender Erzähler ein, der die geschichtlichen Zusammenhänge grob zusammenfaßt. Fatal daran ist, daß sich diese allgemeinen Zusammenhänge mit den persönlichen Erinnerungen Ingeburg Schäfers vermischen und ineinander übergehen. Auf diese Weise ergibt sich ein an manchen Stellen scheinbar objektives Bild, welches aber in höchstem Maße subjektiv geprägt ist. Besonders bestürzend wirkt diese Vorgehensweise, wenn Ingeburg Schäfer auf die Zeit ihres Vaters als Polizeipräsident von Lodz zu sprechen kommt. Ihr Vater schreibt, daß er sich während seiner Zeit in Lodz (1939 - 1940) nicht persönlich an Juden bereichert habe und von einer völligen Vernichtung der Juden nicht die Rede sein könne. Anstatt aufgrund ihres geschichtlichen Wissens dem Lebensbericht des Vaters zu mißtrauen, stellt Ingeburg Schäfer dieser Passage ein Glaubensbekenntnis an die Unschuld ihres Vaters voran. Dabei kann man leicht nachschlagen, daß es in einem Erlaß des Regierungspräsidenten zu Kalisch, Friedrich Uebelhoer, heißt, die Stadt Lodz solle von Juden "gesäubert" werden, "so daß diese Pestbeule restlos ausgebrannt wird". Aufgrund dieses Erlasses verfügt der Polizeipräsident von Lodz, Johannes Schäfer, am 8. Februar 1940 die Einrichtung eines Ghettobezirks.

Anders als Meckel mißtraut Ingeburg Schäfer dem Lebensbericht ihres Vaters also erschreckend wenig. Hier spätestens beginnt der Leser, die Motive der Autorinnen zu hinterfragen. Gegenüber der Väterliteratur der siebziger Jahre und ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe der Eltern kündigt sich in dem Buch von Schäfer/Klockmann wie auch in anderen Büchern der neunziger Jahre eine Wende an. Die Eltern sind jetzt nicht mehr Anlaß der Kritik und des Entsetzens, sondern sie werden zunehmend auch von den Kindern auf die Seite der 'Opfer' herübergezogen. Herausgestellt wird das Leiden der Familie im Krieg, die schönen Seiten der Kindheit (ja Ingeburg Schäfer scheut sich nicht einmal, in verklärtem Ton vom nationalsozialistischen Weihnachtsfest zu schreiben) und vor allem die im Grunde moralisch aufrechte Haltung der Eltern trotz deren nationalsozialistischer Überzeugung. Ingeburg Schäfer und Susanne Klockmann machen vor, wie ein noch vor kurzem undenkbarer Spagat möglich wird: Man kann bei der SS Karriere gemacht haben, an Hitlers Rassenlehre geglaubt haben, sich der Justiz nach 1945 entzogen haben und trotzdem, weil man sich ja die 'Finger nicht schmutzig' gemacht hat, moralisch unbescholten daraus hervorgehen.

Eine solche Trendwende innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus ist erschreckend. Allerdings paßt sich ein solcher Umschwung dem allgemeinen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der jüngsten Zeit problemlos an. Das wiedererstarkte Gefühl nationaler Souveränität und die Ausweitung der deutschen Machtposition in der Welt leisten dem Bedürfnis Vorschub, endlich einen 'Schlußstrich' unter die nationalsozialistische Vergangenheit zu ziehen. Bücher, wie das von Ingeburg Schäfer und Susanne Klockmann vorgelegte, sind demnach nur noch Indikator einer solchen 'Normalisierungstendenz'.

Titelbild

Ingeburg Schäfer / Susanne Klockmann: Mutter mochte Himmler nie. Die Geschichte einer SS-Familie.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
221 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3498006002

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