Das Pfeifen des Windes im Fleischtunnel

Max Goldt adaptiert in „Räusper“ sein eigenes Comic-Archiv

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein erfolgreiches Comic-Duo, das am liebsten nur sein Werk für sich sprechen lassen möchte, wird von seinem Agenten zu einem Interview gedrängt („oder ich sperr euch alle Konten, vermiese euch alle Kontakte und verbuddel eure Autoschlüssel im Sand irgendeiner Nordseeinsel“). Im Fernsehstudio sitzt man dann einer fröhlich-debilen ,Medientante‘ gegenüber und es wird über Rezepte für Zwiebelrahmsuppe (oder ist es Rahmzwiebelsuppe?) debattiert. Der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen. Bekenntnishafter wird es im Werk von Max Goldt nie. Der Autor, der sich im Lauf von drei Jahrzehnten ein treues Stammpublikum erschrieben – und auf zahlreichen Leseabenden im deutschsprachigen Raum auch erlesen – hat, weiß die eigene Persönlichkeit wohltuend zurückzuhalten, und lässt lieber sein aus zahlreichen Büchern, Tonträgern und gemeinsam mit Stephan Katz (als Duo Katz und Goldt) verfassten Comics bestehendes Werk für sich sprechen. Allerdings hat Goldt seine Textproduktion in den vergangenen Jahren gedrosselt – neue Prosatexte gab es in der „TITANIC“ schon eine ganze Weile nicht mehr von ihm zu lesen, und auch für seine jüngeren Buchpublikationen hat sich der unter anderem mit dem Kleist-Preis Geehrte vornehmlich im eigenen Archiv bedient, Vergriffenes wieder aufgelegt beziehungsweise in typografisch von Martin Z. Schröder veredelten Liebhaberbänden neu herausgebracht.

Auch „Räusper“ bietet genau genommen kein neues Material, sondern ein Wiedersehen mit Texten, die Goldt-Fans schon einmal untergekommen sein dürften. Für den als „Comic-Skripts in Dramensatz“ untertitelten Band hat sich der Autor nämlich bei seinen eigenen Koproduktionen mit Stephan Katz bedient. Wer Katz und Goldt bislang in der Tagespresse, in Büchern oder in Form der seit einigen Jahren unter dem Label „Rumpfkluft“ vertriebenen T-Shirts („Nicht schubsen – ich habe einen Joghurt im Rucksack!“) verpasst hat, kann jetzt einige ihrer Koproduktionen in neuer Aufmachung nachlesen. Für „Räusper“ hat Goldt 30 der seit 2008 in der „TITANIC“ erschienen Katz-und-Goldt-Bilderstrips ihrer Zeichnungen entledigt, teils redigiert, teils substantiell erweitert und zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Der Titel versteht sich als liebevolle Hommage an die bekannte Comic-Übersetzerin Erika Fuchs. Dass Goldt in erster Linie einmal einen „Erikativ“ (eine der onomatopoetischen Fuchs’schen Wortschöpfungen, wie sie sich zuhauf in ihren Micky-Maus- und Donald-Duck-Übertragungen finden) aufs Buchcover bringen wollte, hindert ihn nicht daran, den Titel schelmisch im Vorwort damit zu rechtfertigen, dass „Dr. Erika Fuchs im Erscheinungsjahr dieses Buches, wie im Grunde genommen wir alle, mit Sicherheit irgendein rundes oder von mir aus auch unrundes Geburts- oder Todesjubiläum feiert“. Recht hat er.

Die hier zusammengestellten Texte bezeichnet der Autor selbst als Dramolette – man könnte auch von einem Beitrag zur Tradition des Lesedramas sprechen, denn dass sich tatsächlich eine Bühne der Goldt’schen Szenen annehmen dürfte, ist (leider) unwahrscheinlich. Teils spielen die Texte zwar in jenen stereotyp abrufbaren Alltagsschauplätzen, in denen auch Kellnerwitze und Loriot-Sketche angesiedelt sind, aber sowohl die für Goldt charakteristische Wende ins Groteske als auch den geschliffenen Sprachduktus seiner Figuren schluckt man als Leser dann doch weit williger denn als Zuschauer. Da gibt es homoerotische Annäherungen in mäßig frequentierten Restaurants, lauert ein per „Direktmarketing“ operierender Vertreter von Kosmetika potenziellen Kundinnen nachts im Knallbeerenbusch auf, bilanziert die Rockband „Schindmähre“ den Misserfolg ihrer „Hackbrät“-Tour, und stecken die im Wiener Schmäh palavernden Besucher einer Kindersargtischlerei (!) dem Kind des Inhabers Bonbons zu, obwohl es bereits „Zähne wie die Stadtsilhouette von Köln 1945“ hat.

Zwar sind – dies hat Goldt mit Großmeistern der Komödie gemein – einige der besten Pointen in den knappen Regieanweisungen versteckt, doch Anhänger seiner filigranen Prosa dürften in den meisten hier versammelten Konversationsstücken seine virtuose Syntax zumeist vermissen. Dass die mit reichlich Szene-Jargon und kleinen Seitenhieben gegen die Hipster-Kultur operierenden Texte in ihren tagesaktuellen Bezügen zudem glossenhafter geraten sind als viele seiner glänzend beobachteten Prosatexte, dürfte den Band zudem etwas schneller (oder sagen wir: etwas weniger gut) altern lassen als andere Goldt-Bücher. Ob in ein paar Jahren (zumindest ohne Griff zum Urban Dictionary) noch jemand darüber schmunzeln wird, dass sich die freundliche Oma im Café bei jüngeren Gästen danach erkundigt, ob der Wind nicht manchmal sehr schmerzhaft durch den Fleischtunnel pfeift, bleibt dahingestellt.

In den besten Texten beweist sich Max Goldt aber als unbestrittener Großmeister des humoristischen Fachs, dessen teils surreal anmutenden, teils brachial durchgeführten Themen- und Szenewechseln die Skriptform sogar zugutekommt – der „gelungene Antrittsbesuch“ des sympathischen Lars bei seinen künftigen Schwiegereltern, die auch über seine Mitwirkung an Fäkalpornos keine Miene verziehen („Drehen Sie auch bei Durchfall?“), zählt in seiner völlig unapologetischen Warmherzigkeit zum Sympathischsten, was der Autor je geschrieben hat. Und wer sich nicht vor Lachen darüber ausschütten kann, wie die Bundesnotarkammer zur Besserung ihres Images („Was tun wir denn schon groß?“) bundesweite Schnupperwochen initiiert (Slogan: „Zweimal im Jahr – nichts wie hin zum Notar!“), dem ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Außer vielleicht mit einem von Goldts Hörbüchern: „Max Goldt für alle, die Max Goldt noch nicht kennen“ wäre ein schöner Einstieg.

Titelbild

Max Goldt: Räusper. Comic-Skripts in Dramensatz.
Rowohlt Verlag, Berlin 2015.
172 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871348204

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