Alles wie es nicht scheint

Thomas Breuers Inselkrimi „Leander und der Lummensprung“

Von Andrea KreuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Kreuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Breuers neuer Inselkrimi beginnt erwartungsgetreu mit dem ersten Teil des Nominalkompositums. Der Roman eröffnet mit einer stadtplangetreuen Repräsentation von Helgoland und der nächtlichen Runde des pensionierten Wasserschutzpolizisten Tamme Boysen. Darauf folgt ein Blick nach Wyck auf Föhr und den Kriminalhauptkommissar im Ruhestand Henning Leander, der sich auch mit Beschäftigungen wie der Fotografie nicht über die drohende Langeweile und Einsamkeit hinwegtrösten kann.

Damit sind die Hauptschauplätze des Romans bereits umrissen, wobei sich die Ermittlungen hauptsächlich auf Helgoland und schließlich auch in Hamburg abspielen werden. Demgegenüber wird Kiel nur kurz gestreift und bleibt Föhr dem Privatleben Leanders vorbehalten.

Nach dieser Übererfüllung des Nomens Insel gilt es sich bis zum Krimi zu gedulden – bis zum Auffinden der Leiche werden knapp 100 Buchseiten gefüllt sein. Die Zeit wird zu einer ausgiebigen Darstellung des Privatlebens Leanders und einiger anderer Charaktere genutzt. Dieser reist als mittlerweile frisch gebackener Single nach Helgoland, um mit verschiedenen Hobbyfotografen an den dortigen Lummertagen teilzunehmen. Unterdessen stellt Tamme Boysen als ehemaliger Leiter der Wasserschutzpolizei auf Helgoland bereits Ermittlungen an; denn: „Es machte ihn rasend, wenn er nicht genau über alles informiert war, was auf seiner Insel passierte. Tamme Boysen beschloss, nicht eher zu ruhen, als bis er es herausgefunden hatte“ bzw. „auch im Umfeld des Hoteliers passierte etwas, von dessen Hintergrund er nichts wusste. Und so etwas konnte er nicht ab!“. Nach dem Fund der Leiche kommt zu diesen beiden Erzählsträngen noch der des Kriminalhauptkommissars Diederich Frantzen aus Itzehoe hinzu. Bis die beiden privaten Ermittler sich über Mittelsmänner entschließen zusammenzuarbeiten, vergehen nochmal knapp 100 Seiten und bis zur ersten Begegnung sind insgesamt gute 200 auserzählt. Wie der Beginn der Kriminalhandlung an sich, kommen so auch die Ermittlungen eher mäßig in Schwung und werden durch die Perspektivwechsel und vielfältigen Milieubeschreibungen überdies entschleunigt. Bilden bis zum Auffinden des Toten bereits die Fotografie, eine mögliche Inselerweiterung und die Helgoländer Vogelwelt den Fokus, werden diese danach unter anderem durch neue Informationen zur Inselerweiterung und alternativer Energiegewinnung, der Unterwasserwelt und den Forschungen des Alfred-Wegener-Instituts, den ökonomischen Bedingungen sowie Informationen zu Fracking und CCS sowie der illegalen Entsorgung von Hafenschlamm und der Elbvertiefung ergänzt.

Während die polizeilichen Ermittlungen zunächst von Stagnation und falschen Schlüssen gekennzeichnet sind, kommen die beiden Rentner schließlich auf die richtige Spur des gut konstruierten und durchaus spannenden Falls, bei dem letztlich nicht alles so ist, wie es zu sein scheint. Eine Möglichkeit zum Miträtseln besteht hingegen kaum. Zwar ist der Handlung ein Personenverzeichnis vorangestellt, die Beziehungen zwischen den Figuren werden allerdings erst nach und nach enthüllt und durch die plötzliche Wendung ist kein fair play gegeben.

Wie im derzeit so beliebten Regionalkriminalroman und den verschiedenen Ausprägungsformen wie dem Provinz- oder Inselkrimi üblich, ist der Handlungsort von hervorgehobener Bedeutung und nicht lediglich Handlungsschauplatz. Ebenso werden hier verschiedene Informationen über das Inselleben, die besondere Geschichte sowie die Fauna bereitgestellt und der Ermittlungserfolg ist zu einem großen Teil auf die Gruppenzugehörigkeit der Privatermittler zurückzuführen – im Unterschied zum erfolglosen Kommissar vom Festland. Die Schilderungen sind wie bereits erwähnt sehr detailgetreu und können auf dem Stadtplan nachverfolgt werden. Ein Informationsgewinn bleibt jedoch aus und es wirkt eher wie ein intensives Name-Dropping zum Zwecke der Authentizitätsgenerierung. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch eine typographische Eigenart des Romans, nämlich seine Vorliebe zum Kursivdruck. Kaum zwei Seiten kommen ohne Straßen- oder Eigennamen, eine besondere Betonung, einen Liedtitel, einen Seriennamen oder eine andersgeartete Kursivierung aus, was unter anderem die Straßennamen besonders und teilweise störend hervorhebt. Wem nach der Lektüre die Hauptgeschäftsstraße von Helgoland nicht mehr präsent sein sollte, kann sich einerseits glücklich schätzen, sollte sich allerdings andererseits bzgl. der eigenen Gedächtnisleistung Gedanken machen.

Weitere Motive des Regionalkriminalromans wie regionale Küche und typische Sprachvarietät lassen sich in unterschiedlicher Ausprägung finden. Die Speisekarte der aufgesuchten Restaurants ist von Fischgerichten geprägt und auch regionale Delikatessen wie Kieper oder Algen werden nicht außen vor gelassen. Getrunken wird viel Bier, bspw. Jever, Wein oder auch Köm. In Hamburg bildet dann die italienische Küche einen Gegenpol. Die regionaltypische Sprache, das Halund, das Friesische im Allgemeinen oder auch typisch norddeutsche Ausdrücke werden dagegen eher spärlich verwendet.

Abgerundet wird der Inselkrimi hingegen durch die starke Betrachtung des Privatlebens des Ermittlers Henning Leander. Eingeführt wird er in seinem Garten und dort endet der Roman nach einigen ereignisreichen Tagen auch wieder. Viel Raum nehmen wie schon zu Beginn erwähnt seine Beziehungs- und später auch Familienbande ein.

Insgesamt folgen die Charaktere einer klaren Dichotomie von Gut und Böse. Dem aalglatten Kapitalisten, der bereits im Studium über Leichen ging, stehen zwei bodenständige Privatermittler gegenüber, die für die gute Sache kämpfen. Bei der Figur des Tamme Boysen, dem ehrlichen und pflichtbewussten ehemaligen Wasserschutzpolizisten, der auch in seiner Dienstzeit oft Gnade vor Recht ergehen ließ, und durch seine Kontrollgänge die diensthabenden Kollegen entlastet, entsteht zum einen eine Nähe zum Kitsch. Zum anderen ein gesteigertes Bedürfnis zum Schutz der Privatsphäre, wenn, wie oben angeführt, ein Informationsdefizit als unerträglich empfunden wird. Gegenüber den von Reichtum und Macht geprägten skrupellosen Kreisen verfügen die Inselbewohner jedoch sicherlich über ein attraktiveres Identifikationspotenzial. Zwar kann die letzten Endes doch in die Ermittlungen mit einbezogene Polizei die heile Welt nicht vollkommen wiederherstellen, doch der Einsatz des Protagonisten wird zu einer entsprechenden Sühnung der Schandtaten beitragen.

Insgesamt eine durchaus spannende und gut konstruierte Kriminalgeschichte, die am Ende mit einem Überraschungsmoment aufwartet. Allerdings verpackt in eine dreisträngige Erzählung mit einer Menge an Hintergrund- und Milieuinformationen sowie einem sehr langen Vorlauf. Das Buch sei Leserinnen und Lesern ans Herz gelegt, die einem Roman viel Zeit lassen sich zu entfalten und eine klar strukturierte fiktionale Welt erwarten. Die anvisierte Zielgruppe sollte über ein ausgeprägtes Interesse an den norddeutschen Inseln und ihrer verschiedenen Milieus verfügen. Es wird entsprechend viel Information geboten und in die Helgoländer Gesellschaft eingeführt. Durch die Detailtreue können die Schauplätze im nächsten Urlaub zudem leicht aufgesucht werden. Genauso idyllisch und gemütlich wie der Roman beginnt, endet er auch im Garten Leanders auf Föhr. Doch eines ist gewiss, noch weitere Abenteuer erwarten den Ermittler auf den norddeutschen Inseln.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Thomas Breuer: Leander und der Lummensprung. Inselkrimi.
Henning Leanders vierter Fall.
Leda Verlag, Leer 2015.
480 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783864120848

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