Verführer mit der Angel

Über „Die Forelle“ von Schubert und Schubart

Von Luise F. PuschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luise F. Pusch

Am 4. März hatte ich eine Lesung in Aalen, Baden-Württemberg. Frau hatte mich gebeten, auch ein paar Sätze zu dem berühmten Sohn der Stadt, Christian Friedrich Daniel Schubart, beizusteuern. Meine Lesung war nämlich Teil der Veranstaltungsreihe „wortgewaltig“ zu Ehren Schubarts und zwecks Promotion des wohldotierten Schubart-Literatur-Preises, den Aalen alle zwei Jahre vergibt.

Ich recherchierte also ein wenig zur Geschichte des Preises, zur Jury und den PreisträgerInnen, und natürlich zu Schubart selber. Schnell fand ich zu meiner Freude heraus, dass die derzeitige Jury paritätisch mit 3 Frauen und 3 Männern besetzt ist und dass der letzte Preis wie auch der Förderpreis an zwei Frauen ging: Katja Petrowskaja und Karen Köhler. Früher war dieser Literaturpreis genau so männerlastig wie alle anderen Literaturpreise.

Ich lud mir Schubarts Autobiografie und etliche Gedichte auf mein Kindle-Lesegerät (für Interessierte: ist alles kostenlos!) und las bei Wikipedia und einigen Bloggern dies und das über den Musiker und „empfindsamen Hitzkopf“, der seinen mutigen Kampf gegen Fürstenwillkür mit zehn Jahren Haft auf dem Hohenasperg büßen musste. Sein hartes Los veranlasste Schiller nach Abfassung seiner „Räuber“ beizeiten aus dem Machtbereich seines tyrannischen Dienstherrn, des Herzogs Carl Eugen, nach Mannheim zu entweichen, damit ihn nicht dasselbe Schicksal ereile.

Alles eindrucksvolle, aber ziemlich olle Kamellen – das haben wir doch alle schon in der Schule gelernt. Was ich aber noch nicht wusste und hiermit verbreiten möchte, war diese seltsame Geschichte mit der vierten Strophe des Liedes „Die Forelle“. Schubart schrieb „Die Forelle“ zwischen 1777 und 1783 in der Haft, und rund 30 Jahre später vertonte es der junge Franz Schubert und nutzte das schöne Forellen-Thema dann später noch für den Variationssatz seines „Forellenquintetts“. Lied und Quintett gehören zu seinen bekanntesten Kompositionen. Weniger bekannt ist, dass Schubarts Lied 4 Strophen hatte, deren letzte Schubert aber nicht vertonte:

In einem Bächlein helle, /
Da schoß in froher Eil /
Die launische Forelle /
Vorüber, wie ein Pfeil:
/ Ich stand an dem Gestade
/ Und sah in süßer Ruh
/ Des muntern Fischleins Bade /
Im klaren Bächlein zu.

Ein Fischer mit der Ruthe /
Wol an dem Ufer stand,
/ Und sah’s mit kaltem Blute, /
Wie sich das Fischlein wand.
/ So lang dem Wasser Helle,
/ So dacht’ ich, nicht gebricht,
/ So fängt er die Forelle /
Mit seiner Angel nicht.

Doch endlich ward dem Diebe /
Die Zeit zu lang; er macht /
Das Bächlein tückisch trübe:
/ Und eh’ ich es gedacht, /
So zuckte seine Ruthe; /
Das Fischlein zappelt dran; /
Und ich, mit regem Blute,
/ Sah die Betrogne an.

von Schubert nicht vertont:

Ihr, die ihr noch am Quelle /
Der sichern Jugend weilt, /
Denkt doch an die Forelle; /
Seht ihr Gefahr, so eilt!
/ Meist fehlt ihr nur aus Mangel /
Der Klugheit; Mädchen, seht
/ Verführer mit der Angel –
/ Sonst blutet ihr zu spät.

Auf diese letzte Strophe nun konzentrierte ich mich in meinen Schubart-Anmerkungen in Aalen. Genau wie ich hatten die Aalenerinnen, obwohl in Sachen Schubart doch sicher besser bewandert als die Referentin aus dem fernen Hannover, von dieser verworfenen Strophe bis dahin nie gehört. Schubart liefert darin die „Moral von der Geschicht“ ganz wie bei einer Moritat. Und er nimmt nicht nur kein Blatt vor den Mund, sondern ist – oh Wunder – auch noch feministisch. Er sieht deutliche Parallelen zwischen einem „munteren Fischlein“ und einem jungen Mädchen: Beiden lauert Gefahr in Form von „Fischern mit der Ruthe“ beziehungsweise „Verführern mit der Angel“ (frau beachte die platte Sexualsymbolik der „Ruthe“ und der „Angel“). Dieser Gefahr sollen sie, so rät ihnen Schubart, davoneilen: „Sonst blutet ihr zu spät“.

Und was soll das bitte heißen, so fragen sich einige ratlos im Internet. Hier finde ich eine Diskussion, deren Teilnehmer das „Bluten“ einseitig auf die „Entjungferung“ beziehen. Einer, der sich Aurin nennt, kommt gar zu folgendem absurden Schluss:

Schubert [sic] vergleicht Angler und Fisch mit Verführer und Mädchen. Wenn der Angler ‚Erfolg‘ gehabt hat, blutet der Fisch. Wenn die Mädchen nicht klug genug sind, könnte es passieren, dass sie nicht ‚verführt‘ werden, also zu spät bluten. […] Ob er eventuell gemeint haben könnte, dass die Mädels ‚keinen mehr abbekommen‘, wenn sie nicht rechtzeitig reagieren?

Eine diametral entgegengesetzte Deutung stammt von dem Deutschlehrer Hartmut Riedel.

Plötzlich richtet sich das lyrische Ich direkt an den Leser – oder vielmehr die Leserinnen. Denn die nachfolgende Deutung des Geschehens ist nur zu leicht verständlich: Wer jung ist (vgl. V. 25/26), soll an die Forelle denken und bei „Gefahr“ (V. 28) forteilen, denn Fehler mache man meist „nur aus Mangel / Der Klugheit“ (V. 29/30). Und es ist nicht jede beliebige Gefahr gemeint, sondern diejenige, die jungen „Mädchen“ (V. 30) von „Verführern“ (V. 31) droht: Dass sie nämlich schwanger werden: „Sonst blutet ihr zu spät“ (V. 32). In diesem Zusammenhang gewinnen auch die wiederholten Wörter „Ruthe“ und „Blute“ eine sexuelle Bedeutung. Diese „Moral von dem Gedicht“ der letzten Strophe ist überdeutlich und problemlos.

Ich denke, insgesamt ergibt seine Interpretation mehr Sinn als die von Aurin. Aber so „überdeutlich und problemlos“ wie er behauptet, ist die „Moral von dem Gedicht“ natürlich nicht, denn dann hätte die Warnung lauten müssen: „sonst bleibt die Blutung aus“ oder ähnlich.

Und somit hier mein Fazit aus weiblicher Sicht, nach dem Motto: „Übertriebene Ehrfurcht vor Männern behindert den Durchblick“: Wie Riedel glaube ich, dass Schubart junge, vertrauensselige Mädchen vor gewissenlosen Verführern und unerwünschter Schwangerschaft warnen wollte. Da es sich aber nur um eine Warnung an letztlich belanglose junge Mädchen handelte, nahm er es mit der Sprache nicht so genau. Von wegen „wortgewaltig“! Er hat da schnell etwas hingeschludert. Vielleicht kannte er sich auch nicht so genau aus – wer weiß, wie es damals mit dem Wissen der Herren um körperliche Vorgänge beim Weibervolk bestellt war.

Wie dem auch sei – der Komponist ließ die Strophe weg, was ästhetisch-musikalisch sicher kein Verlust ist. Aber historisch-feministisch schon. Und deshalb habe ich hier und in der Schubart-Stadt Aalen daran erinnert.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag gehört zu Luise F. Puschs Glossen „Laut & Luise“, die seit Februar 2012 in unregelmäßigen Abständen bei literaturkritik.de erscheinen.