Ein emotionsloser Philosophiestudent und zwei krankhaft verliebte Frauen

Janko Markleins Debütroman „Florian Berg ist sterblich“

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Literaturwettbewerb um den open mike, der seit 1993 jährlich in Berlin verliehen wird, ist zweifelsohne eine Talentschmiede für Nachwuchsautor*innen; hier seien die Namen inzwischen etablierter Schriftsteller*innen wie Kathrin Röggla, Julia Franck und Ulf Stolterfoht genannt, die in Berlin ausgezeichnet wurden. Im Jahr 2010 wurde der damals erst 22-jährige Janko Marklein für seine Kurzgeschichte Wir stellen uns nicht dumm an mit einem Preis für Prosa beim open mike bedacht. Marklein, in Bremen geboren, studierte nach dem Abitur am Deutschen Literaturinstitut Leipzig„Literarisches Schreiben“ und an den Universitäten Leipzig sowie der FU Berlin Philosophie. Im Rahmen seiner open mike-Teilnahme wurde er von seinem jetzigen Literaturagenten entdeckt; dieser stellte auch den Kontakt zum Blumenbar-Verlag her. Ganze fünf Jahre ließ die Langform auf sich warten, 2015 aber dann erschien der Debütroman Florian Berg ist sterblich bei ebendiesem Verlag.

In der Coming-of-Age-Geschichte geht es um den Pastorensohn Florian Berg, der nach dem Abitur die niedersächsische Ortschaft Wulsbüttel verlässt, um in Leipzig ein Philosophiestudium zu beginnen. Soweit, so zunächst simpel. Doch wird diese Geschichte nicht linear und sukzessive, sondern in zwei unterschiedlichen Strängen erzählt, die sich jeweils abwechseln. Im ersten wird Florians Anfangszeit in Leipzig geschildert, in der er sich in seine vergebene Logiktutorin Anna Kuszlak verliebt. Um ihr zu imponieren, engagiert er sich – wie seine Angebetete – in der Studentenbewegung und reist ihr später sogar nach Chile nach. Als Anna wegen ihrer politischen Aktivitäten ihren Job als Tutorin verliert, kämpft Florian auf eigenwillige Weise für sie: Er schläft mit der Vertreterin der Leipziger Studierendenschaft Line Weber, damit sie sich dafür einsetzt, dass Anna ihr Tutorium weiterhin geben darf. Line wiederum ist aber in Florian verliebt und macht ihm Avancen, die er abwehrt, weil er sie unattraktiv findet. Überdies ist sie auch noch die Ex-Freundin seines Mitbewohners Stefan, der Florian erzählt, dass er Line „zurückerobern“ will und ihn deshalb darum bittet, Line zu besuchen und ihr in seinem Namen ein Glas selbstgemachtes Apfelmus zu schenken. Pikanterweise hat Florian an diesem Tag den One-Night-Stand mit Line, von dem Stefan zunächst nichts erfährt. 

Der zweite Erzählstrang rückt Florians Jugend in Wulsbüttel in den Fokus, wo er eine Woche nach seinem dreizehnten Geburtstag mit seinem Freund Ole einen Verein für die „Bewachung und Instandhaltung des Gebiets“ gründet, in den laut Vereinssatzung nur Jungen aufgenommen werden. Um im Verein Mitglied zu werden, müssen die „Prüflinge“ Mutproben bestehen und beispielsweise vor den Augen anderer Regenwürmer essen, masturbieren und sich eine Forelle „auf ihre erigierten Penisse stecken“. Auch Florians Mitschülerin Isa, die heimlich in ihn verliebt ist und deshalb seine Nähe sucht, will in den Verein eintreten. Florian hat weder ein Interesse an Isa, noch ist er damit einverstanden, dass sie Vereinsmitglied wird und versucht deshalb, sie fertig zu machen und schreckt dabei auch vor körperlicher Gewalt nicht zurück. So droht Florian ihr an mehreren Stellen des Romans mit „geballte[r] Faust“ Schläge an und schubst sie zur Seite, wenn sie sich ihm körperlich nähern und ein Gespräch beginnen will. Ein anderes Mal stößt er sie mehrmals hintereinander in den Forellenteich.

Marklein zeichnet seine Hauptfigur als gefühlskalten jungen Mann, der weder in seiner Jugend noch in seiner Studentenzeit Emotionalität zeigt, dem vielmehr andere Menschen und deren Gefühle egal zu sein scheinen. Setzt man sich intensiv mit Florian auseinander, wird deutlich, dass er bestimmte Verhaltensmuster aus seiner Jugend während seiner Studienzeit in Leipzig wiederholt. So hat Florian sowohl in Wulsbüttel als auch in Leipzig ohne schlechtes Gewissen mit den Ex-Freundinnen seiner Freunde Paul und Stefan Geschlechtsverkehr, obwohl er keine Gefühle für die Frauen hat und sie gar für unattraktiv hält. Bei seinem ersten Mal mit Isa, die er wegen ihrer „hervortretenden Augen“ in Analogie zu den Fischen auf den Gliedern der Prüflinge mit einer „Forelle“ vergleicht, schaut er sich die Wolken am Himmel an, die ihn an Nilpferde und Elefanten erinnern. Zuvor hat er ihr „mit der Faust in die Magengrube“ geschlagen, bis sie sich vor Schmerzen gekrümmt und ihre Hände in den Bauch gepresst hat. Von Lines Äußerem und ihrem Muttermal im Gesicht ist er nach eigenen Worten so „angewidert“, dass er beim Geschlechtsverkehr die ganze Zeit seine Augen geschlossen halten müsse. Vergleicht man die Sexszenen miteinander, wird deutlich, dass Florian zwischen Sex und Liebe differenziert. So hat er beispielsweise nur deshalb Sex mit Line, damit sie sich dafür einsetzt, dass Anna, in die er wirklich verliebt ist, ihr Tutorium weiter geben darf und er den Kontakt zu ihr intensivieren kann. Auch in Isa ist er nicht verliebt. Aus dem Roman geht allerdings nicht explizit hervor, warum Florian mit ihr Sex hat.

Marklein konstruiert Isa und Line als krankhaft verliebte, devote Frauen, die permanent um die Gunst von Florian werben und dabei sowohl physische als auch psychische Malträtierungen ertragen. Als Isa ihm bei einer Demonstration mit den Worten „Ich liebe dich, Florian Berg, ich liebe, liebe, liebe dich, so wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe! Und ich möchte dich nie wieder verlieren!“ ihre Liebe gesteht, dabei ihre Arme um seine Hüften legt und ihr Kinn auf seine Schulter stützt, bittet er sie desinteressiert darum, „mal eben ein Stück zur Seite zu treten“. Und nachdem Line Florian in der Mensa mit den Worten „Ich weiß, dass ich das eigentlich nicht sagen muss. Ich möchte es aber trotzdem sagen. Ich finde, es ist gut zwischen uns. Und ich glaube, ich liebe dich, Florian Berg“ ihre Gefühle gesteht, erwidert er nüchtern: „Ich liebe dich leider nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich in letzter Zeit so viel zu tun habe. Wahrscheinlich hängt es, wie gesagt auch damit zusammen, dass ich dich nicht besonders attraktiv finde“. Als Line nach dieser Zurückweisung weint, tröstet er sie nicht, sondern „versicher[t] [ihr], wie unattraktiv er sie“ findet, um ihr zu signalisieren, dass er kein Interesse an ihr hat.

Dennoch bleiben die Frauen unbeirrt dabei, dass Florian in Wirklichkeit eine sensible Seite hat, die er bloß vor den anderen verstecken wolle, und erinnern mit ihrer unterwürfigen Art an Frauen, die blind vor Liebe sind und den Angebeteten idealisieren. So erklärt Isa Florian „Ich höre manchmal eine Musikgruppe, die heißen Die Ärzte. Kennst du die auch? […] Da gibt es eine Textzeile, ich finde, die passt zu dir. Sie geht: Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe. […] Du bist eigentlich gar nicht so, wie du bist“ und Line: „Ich weiß ja, was mit dir los ist. […] Du bist so kalt, weil du Angst hast, von mir verletzt zu werden. Tief in deinem Inneren hast du eine sehr zarte Seele, Florian Berg“.

Marklein scheint bei Florian Berg ist sterblich von der Reflexion gewisser moralphilosophischer Probleme geleitet zu sein, handelt doch seine Figur Florian durch sein Verhalten gegenüber Isa, Line, Paul und Stefan eben nicht frei nach der Maxime „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“. Ironischerweise wird Florian von seiner Tutorin Anna ebenfalls mehrfach abgewiesen und mutiert in ihrer Gegenwart zu einer Marionette ohne eigene Meinung, die alles gut findet, was Anna präferiert. Als diese ihn fragt, ob er sich vorstellen könne, auszuwandern, fragt Florian sie, ob sie sich das wirklich vorstellen könne, worauf Anna erwidert, dass sie auswandern würde, solange „die Stadt […] nicht zu groß“ wie Santiago sei, worauf Florian nickt und sagt, dass er sich das „grundsätzlich auch vorstellen [könne], und Santiago […] ihm auf Dauer ebenfalls ein bisschen zu viel“ sei. Außerdem verhält sich Anna in Gegenwart von Florian ebenso desinteressiert wie er gegenüber Isa und Line. So lehnt sie mehrfach seine Einladungen auf eine Tasse Kaffee ab und erklärt ihm, dass sie „schon genug Freunde [habe und] er […] es anderswo versuchen“ solle. Außerdem küsst sie in seiner Gegenwart ihren Freund Tobi und signalisiert ihm mit dem Kuss, dass sie vergeben ist. Am Ende des Romans – so viel darf verraten werden- zeigt Florian tatsächlich erstmals Gefühle, als er sich gegenüber der Mutter seines argentinischen Mitbewohners öffnet: „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, ich…, manchmal denke ich, etwas ist grundsätzlich falsch mit mir …, alles ist mir ganz egal, ich fühle mich mit niemandem verbunden, ich …, das ist doch nicht normal, Senora Fondacaro, das kann doch nicht normal sein, oder?“. Hier erinnert er in seiner verletzlichen Art ebenfalls an Isa und Line, nachdem sie von ihm abgewiesen wurde. Einige Rezipienten mögen vermuten, dass Marklein seinen Protagonisten bewusst als jungen Mann gezeichnet hat, bei dem das negative Karma zugeschlagen hat und am Ende des Romans im Grunde dasjenige zurück bekommt, was er anderen angetan hat.

Marklein ist mit Florian Berg ist sterblich ein äußerst gelungener Debütroman gelungen, der sich durch die zwei ineinander verwobenen Erzählstränge von anderen Coming-of-Age-Geschichten unterscheidet. Die beiden Hauptnarrative führen dazu, dass man als Leser Beziehungs- und Verhaltensmuster der Figur Florian in dessen Studentenzeit durch den Blick auf die vorhergehende Jugendzeit erklärt – ein etwas simples, aber durchaus eingängiges Modell. Beachtlich sind dabei auch die im besten Sinne moralischen Implikationen, die der Roman enthält.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Janko Marklein: Florian Berg ist sterblich. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015.
352 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783351050221

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