Basis für ein neues nationales Bewußtsein

Geschichte und Gegenwart von NS-Film und NS-Unterhaltung

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das große Korpus des NS-Films ist bis heute in zwei Klassen unterteilt. Den wenigen, ideologisch anstößigen und gefährlichen "Vorbehaltsfilmen" steht das Gros der als harmlos eingestuften "Unterhaltungsfilme" gegenüber. Diese Unterscheidung geht auf die alliierten Besatzungsmächte zurück: Die Vorbehaltsfilme wurden gemäßt der "Principles For Inter-Allied Censorship of German Films" indiziert und dürfen bis heute nur unter bestimmten Auflagen gezeigt werden.

Doch es stellt sich die Frage, ob nicht viele der anderen Filme, die nicht indiziert worden sind, ebenso ideologisch bedenklich sein könnten. "Die goldene Stadt" etwa, 1942 von der Ufa realisiert (Regie Veit Harlan) ist ein rassistischer Film, der das Slawentum negativ vom Deutschtum abgrenzt. Indiziert wurde "Die goldene Stadt" nicht. Und wie steht es mit Arbeiten, die heute vielfach als unpolitisch eingestuft werden, wie steht es mit Arthur Maria Rabenalts Film "... reitet für Deutschland" (1941) oder mit Veit Harlans "Immensee. Ein deutsches Volkslied" (1943)?

In exemplarischen Analysen belegen die Autoren des vorliegenden Bandes, wie offensichtlich die Unterhaltungsfilme der dreißiger und vierziger Jahre das Werte- und Normensystem des nationalsozialistischen Deutschland reproduzieren und dabei bedenkliche ideologische Postulate umsetzen. Der deutsche Unterhaltungsfilm der genannten Periode ist bedenklich in dem Sinne, daß er zentrale Ideologeme des NS-Regimes nicht hinterfragt, sondern - durchaus manipulativ, indoktrinativ und suggestiv - durcharbeitet und bestätigt. Hans Steinhoffs Film "Robert Koch, der Bekämpfer des Todes" (1939) stellt nicht unverfänglich Medizinhistorie dar, sondern zeigt, wie ein Arzt mit Führerqualitäten den "gesunden Volkskörper" von einer parasitären Krankheit und Bedrohung (Tuberkulose) befreit. "... reitet für Deutschland" mit Willy Birgel in der Hauptrolle führt vor, wie ein selbstloser, visionärer Führer mit unhinterfragbarem Sendungsbewußtsein für die Nation im internationalen Wettbewerb kämpft und das "Ansehen Deutschlands in Zeiten tiefster Not" wiederherstellt. Er kann dies tun, weil er unerschütterlich an seine Heilsmission glaubt, weil es ihm gelingt, seine - zeichenhaft auf die Weimarer Republik zu beziehende - Lähmung aus eigener Kraft zu überwinden und sein Pferd Harro aus dem "jüdisch dominierten Handel" zu befreien. Seine politischen Äußerungen, etwa, "daß wir ohne unsere Schuld verloren, obwohl wir siegten", läßt sich im Kontext klar auf die sogenannte Dolchstoßlegende beziehen, die mit zur historischen Folie des Filmes gehört.

Auf der Basis literatur- und filmsemiotischer Analyseverfahren stellen die Verfasser weitere, ebenso bedenkliche Machwerke der damaligen Filmindustrie vor, darunter "Immensee", der mit seinem zentralen Wert des Verzichts auf die Kriegspropaganda des Produktionsjahres 1943 reagiert. "Herzensfreud - Herzensleid", eine "Nazikomödie" von Herbert Marischka (1940), funktionalisiert die Partnerwahl der Protagonisten Toni und Paul als zeichenhafte nationale Eingliederung Österreichs ins Reich und als Konstruktion einer großdeutschen Identität. Das beliebte Genre des Fliegerfilms ("Quax der Bruchpilot", 1941; "Quax in Afrika", 1945/1953) zeigt, daß Fliegen kein Selbstzweck, sondern eine geradezu kriegswichtige Angelegenheit ist und zugleich eine Metapher "(völkisch-)heroischen Lebens": Fliegen demonstriert die "soldatischen Tugenden" ("Kampfgeschwader Lützow", 1941, Regie Hans Bertram) und ist eine Schule, in der man selbst noch für das Sterben lernen kann. "Pour le Mérite" (Karl Ritter, 1938) rekapituliert den Aufbau der deutschen Luftwaffe, "Himmelhunde" (Roger Graf Normann, 1942) oder "Junge Adler" (Alfred Weidenmann, 1944) bereiten die Jugend auf den Krieg vor. Die Legitimation von Sterben und Tod wird dabei "auch auf der diskursiven Eebene der Filme geleistet".

Ein Beitrag von Nils Borstnar untersucht Bilder des männlichen Körpers als Träger von Ideologie (in zeitgenössischer Werbung und faschistisch funktionalisierter Plastik), ein anderer (von Jan-Oliver Decker) thematisiert das Starimage Zarah Leanders und leistet den Übergang vom Nationalen zum allgemeinen Problem der Emanzipation. Wie kein anderes Medium macht der Film den "Star". Zum Rollenfach Zarah Leanders im nationalsozialistischen Film gehört, daß sie als Sängerin den normabweichenden Wunsch nach weiblicher Autonomie und sexueller Emphase darstellen muß. Die Filme sanktionieren dies negativ ("Der Weg ins Freie", 1941, Regie Rolf Hansen) oder beschreiben den weiblichen Lebenslauf zurück an die Seite des Mannes unter Aufgabe der künstlerischen Ambitionen ("Die große Liebe", 1941/42, Regie Rolf Hansen).

Das Thema des Sammelbandes ist ein historisches und zugleich hochaktuelles. Am Beispiel der "Volksmusik"-Szene im deutschen Unterhaltungsfernsehen der Gegenwart zeigen Hans Krah und Jörg Wiesel, wie traurig es zugeht, wo es lustig zugeht. Die mise-en-abyme-Struktur des Publikums im Studio enthält in nuce schon die Rezeptionssituation auch außerhalb des Studios. Bild und Ton werden so synchronisiert, daß sie beim Publikum zu quasi-pawlowschen Reflexen führen. Das lustige Schunkeln ist der Höhepunkt der audiovisuell performativen Identitätsstiftung durch die Sendestrategie. Straßenfeger wie "Die volkstümliche Hitparade" des ZDF dienen der "Entdifferenzierung", "Weltsimplifizierung" und nationalen "Identitätsstiftung", und zwar nach denselben Strategien wie noch vor sechzig Jahren. Im "Internationalen Grand Prix der Volksmusik" - dem Dreiländerkampf zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland - geht es gar darum "die Trophäe wieder nach Deutschland" zu holen. Von der Musik im NS-Staat als "Basis für ein neues nationales Bewußtsein", als leitmotivische Strukturierung der Welt in "Heimat" und "Fremde", über den Heimatfilm der fünfziger Jahre, wo sich - wie beim "Förster vom Silberwald" (1954, Regie Alfons Stummer) - im Prozeß des Musizierens quasi die "verlorene Heimat" restituiert, bis hin zur Sendestrategie von Volkshitparaden ist eine klare Traditionslinie zu beobachten.

Gleichwohl wirkt dieser Beitrag, sicherlich der amüsanteste des Bandes, wie ein Fremdkörper: Eine Rückführung der Volksmusikszene auf NS-Strukturen ist an keiner Stelle überzeugend gelungen. Allenfalls kann gesagt werden, daß NS-Unterhaltung und Fernseh-Unterhaltung heute auf dieselben Strategien der Identitätsstifung und Vereinnahmung rekurrieren, also eine viel abstraktere gemeinsame Basis haben, die dann weiter zu analysieren wäre. Gleichwohl macht uns dieser verdienstvolle Band von Hans Krah sehen: Er zeigt, daß das öffentlich-rechtliche Fernsehen gleichermaßen fahrlässig die Volksseele bedient und mit historischem Bildmaterial umgeht wie die Privaten.

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Hans Krah (Hg.): Geschichte(n). NS-Film - NS-Spuren heute.
Verlag Ludwig, Kiel 1999.
224 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3933598001

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