Warum das Gummibärenlied nicht mehr zum ironischen Gag taugt

Ein Gespräch mit Stefan Mesch über die Arbeit an seinem Debütroman „Zimmer voller Freunde“, Jugend in den Neunzigern, Fernsehserien und das Internet

Von Nils DemetryRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Demetry

Stefan Mesch ist mal nur abgehackt zu hören, mal gar nicht und zwischendurch klingt er wie Micky Maus. Die Digitalisierung (hier in Form von Skype) hat unseren Alltag zweifellos sehr bereichert, stellt uns jedoch auch immer wieder vor überraschende Probleme. Stefan Mesch, der Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim studiert hat, heute als freier Autor und Kulturkritiker für ZEIT ONLINE, den TAGESSPIEGEL und DEUTSCHLANDRADIO KULTUR arbeitet und (die meiste Zeit) in Berlin lebt, könnte einen Roman darüber schreiben.

Ein ganz kleines bisschen macht er das auch: Zimmer voller Freunde wird sein Debüt, an dem er seit 2009 schreibt, heißen – und darin treffe „Marcel Proust auf Beverly Hills 90210“, wie er selber „etwas trashig“ zu Protokoll gibt. Dieser zunächst gewöhnungsbedürftige claim entpuppt sich jedoch als nicht so hanebüchen, wie es zunächst scheint: Im Zentrum steht eine Clique Ende der Neunziger Jahre in der badischen Provinz – ein Setting, das der Biographie Meschs, 1983 in Sinsheim geboren, nicht unähnlich ist: Auch er hat, um in der Enge der Provinz und ohne ältere Geschwister „eine vage Vorstellung von dem zu bekommen, was da auf einen zukommt, wenn man erwachsen ist“, Serien wie Willkommen im Leben und Buffy und viele mehr geschaut, gleichsam Nachrichten aus der weiten Welt. Und zu sehen, wie diese autotherapeutische Rezeptionsstrategie der Serien – zu denen auch Dawsons Creek gehörte, in der „altkluge Jugendliche wie ältere Feuilletonisten reden und Steven-Spielberg-Filme gucken“ – am Ende scheitern muss, ist eine der Ausgangsstimmungen für die Figuren in seinem Roman: „Es ist heute normal für uns, dass – bevor wir etwas erleben – wir schon durch erfundene Figuren zu wissen glauben, was wir erwarten müssten.“ Die Figuren – das sind Jugendliche, die sich „kennenlernen, befreunden und entfreunden“, die auf der Suche sind nach der ersten Liebe und einem Plan vom Leben und mit den damit verbundenen Schwierigkeiten konfrontiert werden. Diese Schwierigkeiten unterscheiden sich allein darum schon von denen der heutigen Generation, weil wir in Zimmer voller Freunde das Jahr 1999 schreiben, ein Jahr also, in dem das Internet sich in seiner heutigen Form allenfalls zögerlich am Horizont abzeichnete: Während Instagram heute zur Grundausstattung eines jeden Teenagers (egal, in welchem Dorf er wohnt) gehört, plagt sich so manche Figur in Meschs Debüt noch mit der Limitierung auf drei (!) Fernsehsender – die leeren langen Nachmittage werden dann eben mit der ZDF-Gerichtsshow Streit um drei gefüllt.

Die Begeisterung für neue, frische, manchmal auch abseitige Themen – gemeinsam mit Nikola Richter gab er 2015 das E-Book Straight to your heart. Verbotene Liebe 1995-2015 heraus zeichnet den umtriebigen Mesch aus: Regelmäßig steuert er Beiträge für Kathrin Passigs Techniktagebuch bei oder stellt Mangas und Comics im DEUTSCHLANDRADIO KULTUR vor. Es reicht schon ein kleiner Ausflug in die Literaturszene im Netz, um nach kurzer Zeit ziemlich sicher auf Stefan Mesch zu stoßen: Der 33-jährige bespielt verschiedenste soziale Medien (Facebook, Twitter, Wordpress, Instagram, Lovelybooks, Goodreads), ist als Autor und Kritiker „sehr sichtbar“, teilt ausführliche Listen mit aktuellen Buchempfehlungen, stößt Diskussionen an, positioniert und vernetzt sich – und auf seinem privaten Blog reflektiert Stefan Mesch regelmäßig die Arbeit an seinem Roman. „Ich habe jede Woche fünf tolle Momente, die mir ohne Facebook nicht passiert wären.“ Doch dass sein „digitales“ Netzwerk aus Digitalverlegern, Bloggern, Schriftstellern und Kritikern nun „diesen einen“ Literaturbetrieb verkörpere, bezweifelt er: „Es gibt halt auch noch diese krasse Literaturhauswelt mit Cognac und Sherry und Hinterzimmern. Da komme ich dann auch vielleicht nie rein, weil ich als der Typ gelte, der auf Facebook witzige Geschichten über seine Nachbarn erzählt.“

Doch selbst wenn es diese klassische „Literaturhauswelt“ tatsächlich noch geben sollte: Das Bild der Schriftstellerin oder des Schriftstellers in der Öffentlichkeit befindet sich nicht zuletzt aufgrund des Internets und der Sozialen Medien im Wandel: Viele AutorInnen interagieren via Facebook mit ihren LeserInnen, posten Selfies oder Bilder ihres Frühstücks, debattieren, streiten und vernetzen sich oder begreifen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten als Ergänzung zum klassischen Marketing. „Ich muss als Schriftsteller nicht mehr durch Venedig flanieren mit einem Notizbuch in der Hand“, sagt Stefan Mesch. Trotzdem hat er zu Beginn darauf geachtet, nicht wie „ein trashiger Social Media-Depp“ zu wirken.

Das tut er auch nicht. Stattdessen macht es geradezu großen Spaß, Mesch beim Nachdenken über Kultur, Literatur und Digitales zuzuhören, weil er, neben vielem anderen, auch ein genauer Beobachter unserer Zeit ist. Ein Beispiel: Sei es kurz nach der Jahrtausendwende noch gängige Cliquenkultur gewesen, im angetrunkenen Zustand die Titellieder von Kinderserien wie den Gummibären oder Chip und Chap ironisch anzustimmen („Witzig, dass du dich daran noch erinnerst!“), habe sich die Pointe spätestens mit der völligen Verfügbarmachung so gut wie aller Kindheitserinnerungen auf Youtube und den vielen „Weißt du noch?“-Artikeln auf BUZZFEED erledigt: Der Witz, das Verbrüderungserlebnis funktionieren einfach nicht mehr.

Was funktioniert also noch? Was nicht? Mesch hat es nach eigenem Bekunden sehr geholfen, seit 2009 öffentlich über sein Romanprojekt zu schreiben. Diesem liegt bereits ein sehr genauer Plan zugrunde: Eine 5-Akt-Struktur, mehrere Hauptfiguren, jeder Akt entspricht einem Monat erzählter Zeit. Am Ende ergibt das 30 Kapitel. „Eine Ökonomie, die auch Sopas oft nutzen“, erklärt er lachend. Auch mit einigen Verlagen sei er bereits im Gespräch. Schließlich soll Zimmer voller Freunde einmal „im Schwimmbad von sechzehnjährigen Mädchen gelesen werden“. Solchen, die eben eine kleine Vorstellung davon bekommen wollen, wie das so ist, wenn man erwachsen ist.

Das gesamte Gespräch zwischen Stefan Mesch und Nils Demetry ist auch hier als Podcast (http://auorpodcast.bplaced.net/auor_02-interview-mit-stefan-mesch) nachzuhören.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen