Sittengemälde von morgen

Laurie Pennys kurzweilige Geschichten „Babys machen“ sind engagierte Zeitkritik ohne Moralkeule

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn über Laurie Penny geschrieben wird, darf eines nicht fehlen: Man muss direkt zu Beginn erwähnen, dass sie Feministin ist, auch wenn es hier um Kurzgeschichten geht und nicht um ihre Sachbücher „Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus“ (2012) oder „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ (2015). Ich frage mich, was geschehen würde, wenn man diesen Zusatz wegließe: Diejenigen, die Penny kennen, wissen in der Regel, dass ‚Feministin sein‘ keine Beschäftigung ist, mit der sich der Alltag komplett ausfüllen ließe. Daher ist ‚Feministin‘ in diesem Kontext vielleicht eher eine Art Warnung vor dem Anti-Traditionellen und dem Schock, den Pennys Geschichten auslösen könnten, wenn man nicht darauf vorbereitet ist, dass hier jemand wild nachdenkt und sich an literarische Gedankenexperimente traut. 

Ein Robotor-Baby, als Wikinger verkleidete Stripper, eine angehende Serienmörderin im Praktikum, die Großes vorhat, und Herzen verspeisende Nornen sind nur einige der Charaktere, die Pennys extravagantes Figurenensemble bevölkern. Die Geschichten sind abwechslungsreich und berühren so viele Tabuzonen des gesellschaftlichen und privaten Zusammenlebens, dass man ein ums andere Mal gespannt ist, ob sich der Einfallsreichtum in der nächsten Story tatsächlich noch steigern lässt. Doch Pennys Literatur ist nicht nur eine kurzweilige Lektüre, sondern engagierte Zeitkritik, allerdings ohne Moralkeule. Sie legt den Finger in die Wunden unserer Zeit und zeigt uns nebenbei, wie es aussehen könnte, wenn mächtige Frauen miteinander ins Geschäft kommen wollen und Katzenvideos allein nicht mehr ausreichen, um die alltägliche Depression zu lindern.

Penny entwirft fiktionale Wirklichkeiten und Varianten einer möglichen Zukunft, die uns schon heute nicht mehr fremd sind, weil die Sehnsüchte, Vorlieben und Ängste der Menschen die gleichen geblieben sind. Dort also, wo Miranda Julys Helden weiterhin nur um sich selbst kreisen und Noah Baumbachs Figuren in ihrer nicht enden wollenden Adoleszenz enorm nerven, da sollte man „Babys machen“ lesen und sich von Laurie Penny mitreißen lassen, die auf Attitüde verzichtet, weil sie etwas zu erzählen hat.

Titelbild

Laurie Penny: Babys machen und andere Storys.
Übersetzt aus dem Englischen von Anne Emmert.
Edition Nautilus, Hamburg 2016.
174 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783960540007

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