Nicht nur Kleider machen Leute

Carolin Oster untersucht die Bedeutung von Farben in höfischen Romanen des Mittelalters

Von Sylvia MeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sylvia Meyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht erst seit Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute“ wissen wir um die Bedeutung von Kleidung für die Konstruktion von Identität und Ansehen. Frühneuzeitliche Kleiderordnungen geben beredtes Zeugnis für die große Aussagekraft, die Kleidung auch in der vormodernen europäischen Gesellschaft besaß.

Carolin Oster geht nicht nur thematisch einen Schritt weiter, denn sie fokussiert ihre Beobachtungen nicht allein auf die Zeit des höfischen Romans, sondern untersucht (auch, aber nicht ausschließlich in Verbindung mit Kleidung) die Rolle, die Farben und Farbattribuierungen bei der Konstruktion höfischer Identität in der Fiktionalität des höfischen Romans spielen.

Seiner Natur als Dissertation gemäß gliedert sich das Buch in theoretische und analytische Kapitel, die sich in Sprache und Lesbarkeit (im Sinne von Lesefluss) deutlich voneinander unterscheiden: Während die Analysen der ausgewählten Textbeispiele durchweg gut lesbar und in sich schlüssig sind, ja ein wirkliches Lesevergnügen aufkommen lassen, sind die Theorieteile von einer spröden, mitunter sperrigen Sachlichkeit geprägt. Das ist sicherlich teilweise ihrer genuin theoretischen Natur geschuldet, doch kann man sich als Leser (auch vom Fach) mitunter des Eindrucks nicht erwehren, dass ein einheitlicherer Stil dem Lesefluss keinen Abbruch getan hätte.

Sicherlich bewusst deckt die Autorin mit ihrer Auswahl der Analysetexte ein ziemlich breites Spektrum an verschiedenen höfischen Romanen ab. Bei mir hinterlässt dieses Vorgehen jedoch eher einen Beigeschmack von Flüchtigkeit und Eklektizismus und lässt den Wunsch aufkommen, diese doch sehr spannende und Gewinn versprechende Thematik für einzelne Werke zu vertiefen. Warum, so möchte man die Hände ringend fragen, hat die Autorin ihre Bemühungen nicht auf eine engere Textauswahl beschränkt, so dass mehr Tiefe möglich gewesen wäre? Beispielsweise scheint die Frage nach der Darstellung weiblicher Schönheit in verschiedenen Versionen des Tristan-Stoffes ebenso spannend und facettenreich, wie eine Untersuchung der Bedeutung von Farbwahrnehmungen, die sich auf Gottfrieds „Tristan“ beschränkt, oder aber eine Analyse der Prosa-Dichtung Hartmanns von Aue, die allein die Natur von Farbattribuierungen weiblicher Körper erforscht. Reflexe all dieser Fragen finden sich bei Oster, doch wird für meine Begriffe keine davon wirklich gründlich beleuchtet. Entwicklungslinien jeglicher Art gerade innerhalb spezifischer Stofftraditionen bleiben so unbeachtet.

Auffallend ist, dass im Themenbereich „Schönheit“ allein die Beschreibungen weiblicher Figuren der Untersuchung unterliegen, während in jenen Kapiteln, die sich der Analyse der „Hässlichkeit“ widmen – sieht man von der wilden Frau ab – fast ausschließlich männliche Figuren betrachtet werden. Absicht oder Zufall? Nicht nur mit dieser Frage bleibt der Leser allein. Denn es werden zwar verschiedene philosophische Strömungen nach ihren Definitionen von Schönheit und Ästhetik befragt, der Transfer von der philosophischen Grundlage hin zu ihrer literarischen Verwendung fehlt jedoch.

Ein zentrales Thema der Arbeit ist die höfische Identität. Unverständlich ist es daher, dass auf eine präliminare Klärung dieses zentralen Begriffs verzichtet wurde. Natürlich, der Identitätsbegriff wird in den Kultur- und Literaturwissenschaften derzeit gern und fast inflationär gebraucht. Doch gerade deswegen ist es zwingend notwendig zunächst zu klären, wie genau der Begriff der Identität für die folgende Arbeit verstanden werden soll. Geschieht dies nicht, müssen Untersuchung und Analyse konturlos bleiben. Es kann nahezu als folgerichtig bezeichnet werden, dass sich in einer Arbeit, in der die inhaltliche Füllung des zentralen Begriffes bestenfalls implizit erschlossen werden kann, der Identitätsbegriff ohne Unterscheidung für sehr verschiedenartige Phänomene verwendet wird. Dennoch: Oster kann schreiben und analysieren, dafür sind die genauen und wohlformulierten Textanalysen Beweis genug.

Ist das Buch lesenswert? Auf diese Frage ist die Antwort ein „Ja“. Ansprüche und Geschmäcker sind verschieden, das gilt für schöngeistige ebenso wie für Fachliteratur. Die Tatsache, dass für meinen Geschmack ein anderer Fokus günstiger gewesen wäre, sagt demnach nichts weiter aus als genau das. Die Arbeit enthält keine groben Fehler und ist damit zumindest als Hinführung zum Thema bestens geeignet.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Carolin Oster: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen.
Literatur – Theorie – Geschichte.
De Gruyter, Berlin 2014.
263 Seiten, 79,00 EUR.
ISBN-13: 9783050064697

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