Episoden des Begehrens

Julya Rabinowich widmet sich in „Krötenliebe“ der Biografie Alma Mahler-Werfels

Von Sebastian EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julia Rabinowichs vierter Roman Krötenliebe oszilliert zwischen biografisch orientiertem Porträt Alma Mahler-Werfels und prosaischer Bearbeitung von philosophischen, psychologischen und naturwissenschaftlichen Themen. Und auch die Dreiecksbeziehung, die die durch Spaltkopf bekannt gewordene Autorin schildert, gehört sicher zu den komplexeren.

Um Alma Mahler-Werfel entspinnt sich ein Gewirr an Beziehungen. Da ist zum einen ihre Bindung an den Maler Oskar Kokoschka, die von zeitgleicher Anziehung und Abstoßung geprägt ist; zum anderen wird sie von Paul Kammerer umworben, dem verkannten Vorreiter der Epigenetik. Aber als wären zwei Verehrer nicht schon genug, prägt auch noch der verstorbene Vater von Alma, Emil Jakob Schindler, das Leben der Tochter über seinen Tod hinaus. Und auch Gustav Mahler übt nach seinem Tod weiterhin Einfluss auf das Leben seiner ersten Frau aus. In das Kabinett an Affären, Liebesbeziehungen und Verbindungen lassen sich dann auch noch ihr späterer Ehemann, der Bauhausgründer Walter Gropius und ihr letzter Ehemann Franz Werfel einordnen. Letztere sind aber eher als Randbemerkungen zur Geschichte von Kammerer, Kokoschka und Mahler-Werfel zu verstehen. All dies wäre nun bereits genug Stoff für mehrere Romane mit klassischer Erzählstruktur, Rabinowich wählt aber einen anderen Weg.

Sie teilt Ihren Text in mehrere kleinere Episoden, die zum einen zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden, zum anderen unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen eröffnen. Da gibt es neben Abschnitten, die die Sicht Kokoschkas einnehmen, solche, die Kammerers Standpunkt nachvollziehbar machen; nicht zu vergessen diejenigen, die aus Sicht der ‚uneigentlichen Protagonistin‘ Mahler-Werfel erzählen. ‚Uneigentliche Protagonistin‘ deshalb, weil im Hintergrund sowohl der allgegenwärtige Ehemann Gustav Mahler als auch der verstorbene Vater die Geschichte durch ihr Nachwirken vorantreiben und auch die beiden anderen Figuren des Dreiecks, Kokoschka und Kammerer, relevant für die Geschichte sind. Aus dieser besonderen Personenkonstellation ergibt sich die zeitliche Struktur des Romans, wobei weder eine einzelne Zeitlinie verfolgt noch die Episoden von Anfang an einen kohärentes Ganzes ergeben. Julya Rabinowich grenzt den Stoff jedoch raffiniert ein und bindet über das Motiv des Kaleidoskops verschiedene Episoden der Lebensgeschichte Alma Mahler-Werfels zusammen, um auf diese Weise kreative Zwischenräume für die Leserin zu eröffnen.

Sprünge in Zeit und Ort – mal liest man über die Kindheit Mahler-Werfels und einen verhängnisvollen Ausflug nach Sylt, mal treffen sich Kokoschka und sie lange nach ihrer Affäre in Venedig, ein anderes Mal verfolgt die Leserin die Arbeit Kammerers im Labor in Wien – lassen nach und nach einzelne Mosaiksteine der verwobenen Geschichte dreier Leben zu einem Ganzen werden. Hierbei arbeitet die Autorin mit den einschlägigen Texten von Oliver Hilmes, Arthur Koestler und der Biografie von Alma Mahler-Werfel. Sie nimmt diese als biografischen Ankerpunkt und entwickelt auf einem schmalen Grat zwischen übermittelter Historie und Fiktion ihr eigenes Bild von Mahler-Werfel. Dieses zeichnet sich nicht nur durch die Beschreibung des Lebensgefühls im Österreich des beginnenden 20. Jahrhunderts aus, sondern ebenso durch die geschickte Verknüpfung von Psychologie, Kunst und Wissenschaftsgeschichte.

Eine Deutung der Beziehung von Mahler-Werfel zu ihrem Vater, aber auch der zu ihren Liebhabern, wäre ohne Probleme unter Rückbezug auf die Psychoanalyse Sigmund Freuds möglich – das wird durch die Erwähnung von Freud und seines Wirkens in Wien, ja sogar seinem persönlichen Kontakt zu Mahler-Werfel nicht nur befördert, es drängt sich durch die Kontrastierung mit der Figur von C.G. Jung fast schon auf.

Rabinowichs Roman ist ein kleines intertextuelles Feuerwerk. Bewusst wird der verdrängte Vordenker der Epigenetik, Kammerer, in den Diskurs eingebracht, bewusst wird auf den zu dieser Zeit viel beachteten Text Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde Bezug genommen. Gerade im Zusammenhang mit Kokoschkas geschilderten Mordfantasien, der sadomasochistischen Praktiken und der generell gewaltgeprägten Beziehung zwischen Mahler-Werfel und ihm ist der Immoralismus Vorwurf, mit dem Wilde konfrontiert wurde, hier vielleicht tatsächlich angebracht.

Im Text tauchen immer wieder kunstgeschichtliche Referenzen auf, sei es nun die Verknüpfung von Mahler-Werfels Initiation in die Erwachsenenwelt in Venedig durch den Maler Gustav Klimt oder der Streit zwischen den Künstlern Kokoschka und Alfred Kubin. Manchmal bricht in den Schilderungen von Lust und Gewalt, die sich in einigen Szenen finden, sogar Isidore Lucien Ducasse, besser bekannt als Lautréamont, durch. Das sind nur einige Beispiele für die Fülle an Referenzen, die Rabinowich in ihrem Roman anführt und damit eine mehr als anregende Lektüre ermöglicht.

Die Komplexität der Dreiecksbeziehung wird nicht aufgelöst – sie entfaltet sich und zerfasert. Alle drei Hauptpersonen stehen am Abgrund, der Klappentext verspricht sogar den Flirt mit ebendiesem als Spezialität Alma Mahler-Werfels. Dieses Gefühl ergänzt um ein feines Gespür für das Österreich kurz vor und während des Ersten Weltkrieges, mit all seinen antisemitischen Verirrungen und seiner Kriegseuphorie, fängt Julya Rabinowich in Krötenliebe gekonnt ein, arbeitet es auf und gibt es ausdrucksstark und in einer beeindruckend variantenreichen Sprache wieder.

So wird ein Bild von Alma Mahler-Werfel, ihren Wegbegleitern und ihrer Stellung in der Gesellschaft dieser Zeit gezeichnet, das zwar nicht als historisch einwandfreies Porträt verstanden werden darf, aber dafür eine Sogwirkung entfaltet, die es schwierig macht, das Buch wegzulegen. Gerade die Fragilität der Charaktere und die Komposition des Textes ist es, die das Lesen zum Vergnügen macht. Jede neue Drehung des Kaleidoskops verändert das Bild und lässt die Leserin tiefer in die Geschichte eintauchen – dementsprechend empfehlenswert ist das Buch für all jene, die das oftmals rauschhafte, ambivalente und schwierige Leben der Alma Mahler-Werfel näher kennenlernen wollen.

Titelbild

Julya Rabinowich: Krötenliebe. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552063112

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