Ein Gentleman und sein Sohn

In ihrem dritten Roman „Das letzte Rennen“ vergaloppiert sich Marjana Gaponenko zwischen Nostalgie und schwarzem Humor

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 2012 überraschte die in Odessa geborene Marjana Gaponenko mit ihrem zweiten Roman Wer ist Martha?. Unheilbar krank reist darin ein ukrainischer Ornithologe nach Wien, wo er einige Jahre mit seiner Mutter lebte, um hier einen Abschied in Würde zu feiern. Im Lichte der Erinnerungen an seine galizische Heimat offenbart die Metropole ihren ganzen moribunden Charme. Liebe und Trauer, Leben und Tod gehen in einer sprudelnden Sprache und einem verblüffenden Erzählwitz auf.

In Wien spielt auch Gaponenkos dritter Roman Das letzte Rennen. Dennoch lassen sich die beiden Werke nur schwer miteinander vergleichen. Im neuen Buch erzählt die Autorin vom Wiener Jungen Kaspar Nieć, dessen polnischer Vater auf eher kuriose Weise zu Reichtum gelangt ist. Er ließ sich eine geniale Erfindung von mehreren Firmen abkaufen, von denen er wusste, dass sie sie auf ein Sperrpatent abschieben würden. Mit dem Geld erfüllte er sich den Traum von einer Zucht mit Huzulen-Ponys am Rande des Praters. Ganz alte Schule übt er sich als Gespannfahrer, also dem traditionellen Kutschenfahren in Frack und Zylinder. Sein Sohn Kaspar schaut dem Spleen antriebslos zu und unternimmt ein paar zaghafte Versuche der Emanzipation. Doch zwei Frauenbekanntschaften zerbrechen an seiner Passivität, und das Informatikstudium wird bis zum Stillstand verschleppt. Kaspar gibt auf und kehrt reumütig in den väterlichen Stall zurück, wo er sich als Pferdepfleger anstellen lässt. Zwar hinterlässt der Tod der lebhaften Mutter eine Lücke – später erst wird Kaspar erfahren, dass sie zu viel trank – dennoch lässt es sich im wohlhabenden Haushalt gut aushalten.

Da stürzt unvermittelt das Kartenhaus zusammen. Vater und Sohn verunglücken bei einer Ausfahrt, wobei der Sohn die Arme derart unter der umgekippten Kutsche einklemmt, dass sie amputiert werden müssen. Zwei hochmoderne Armprothesen geben ihm etwas von der alten Bewegungsfreiheit zurück. Mit ihnen kommt auch Nadeshda ins Haus. Vater und Sohn lernten die entzückende ukrainische Krankenpflegerin im Spital kennen. Das Glück währt nicht lange, dann wird beim Vater Demenz diagnostiziert. Er plant deshalb eine letzte rauschende Geburtstagsparty, das letzte Rennen, das er an der Seite seiner Pflegerin mit dem Freitod beschließen will. Denn der Sinn des Lebens besteht auch in der Freiheit zu sterben.

Das alles erzählt Marjana Gaponenko mit einer notorischen Leichtigkeit, die sich über alle Beschwernisse des Lebens spielerisch hinweg setzt. Dadurch erhält dieser Roman etwas Unbescholtenes und Verträumtes, das sich wohltuend auf die Lektüre überträgt. Die Huzulen-Zucht inmitten der Metropole Wien wirkt auf sympathische Weise unzeitgemäß. Nach und nach drängt sich freilich auch ein anderer Eindruck auf. Die Geschichte des unbeholfenen Taugenichts Kaspar Nieć und seiner sonderbaren Familie erhält immer deutlicher Züge einer biedern Harmlosigkeit, woran selbst das tragische Unglück nichts ändert. Die halb ironische, halb naive Ausdrucksweise bleibt sich scheinbar ungerührt gleich. Deshalb vermag der armlose Ich-Erzähler mit seinem stoischen Gleichmut kaum je wirklich zu berühren, weder im Witz noch in der Tragik. Alles an Das letzte Rennen wirkt auf sympathische Weise old-fashioned. Doch was will uns die Autorin damit sagen? Der Roman bleibt, wie die Mutter einst in anderem Zusammenhang bemerkte, „nur eine Andeutung, der Zipfel einer Girlande von Geheimnissen“, die sich kaum erahnen lassen, die aber auch nicht brennend interessieren. Eigentlich schade.

Titelbild

Marjana Gaponenko: Das letzte Rennen. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
272 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783406689550

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