Lebensweisheiten eines nahezu Unbekannten

Über Johann Heinrich Mercks „Literarische Briefe“

Von Inka KordingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Inka Kording

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Soll man ihn modern nennen? Lebensklug? Oder einfach mit gesundem Menschenverstand begabt? Soll man ihn schmähen ob seiner „Elephantenphilosophie“, wie sich Zeitgenossen mokierten? Oder ihn der ‚Rezensitis‘ zeihen? Die „Literarischen Briefe“ Johann Heinrich Mercks, in der Insel-Bücherei von Ulrike Leuschner herausgegeben, bieten zwar keine direkten Antworten darauf, aber sie erschließen ausgewählte Briefe des Gelehrten, Schriftstellers, Literaturkritiker der Aufklärung und Goethe-Freundes über die ebenfalls von Leuschner im Wallstein Verlag herausgegebenen, mehrbändigen „Gesammelten Schriften“ hinaus einem breiteren Leserkreis. Und das ist sehr verdienstvoll, denn Merck dürfte außerhalb der Literaturwissenschaft eher unbekannt sein. Zu Unrecht, wie schon der erste Brief belegt: Gleichzeitig absolutistische Herrschaftskritik und Rezension eines Romans von Martin Wieland, gelingt es Merck im „Schreiben eines Landedelmanns …“, Vorurteile à la „Das Allgemeine Geschrey, das die Leute immer über die Großen erheben, hat mich schon lange verdrossen. Es ist ein taubes Geschrey“ mit technischen Erfindungen zu verbinden: „wenn der Mensch gerade gegen den Weg der lieben Natur hinauf marschiert, (thut er das), was sie niemals thun wird, nemlich: er bringt mit großen Kosten etwas ganz Kleines auf die Bahn.“

Außerdem integriert er Erziehungsratschläge für adlige Sprösslinge: „Man will, er soll allzeit geschickt aufstehen, aber man will ihn niemals fallen lassen: er soll ja nicht wie andre Menschen durch Schaden klug werden.“ Darüber hinaus wird auch der Religionsunterricht von ihm bedacht: „Wie sie ihn zuschneiden, so ists ein Regenmantel, bey schönem Wetter nicht zu gebrauchen, und beym stürmischen auch nicht, weil er zu schwer ist. Deswegen hängt er auch bald in der Garderobe.“ Und das alles auf sieben Seiten.

Merck denkt „Ueber die Landschaft-Mahlerey“ nach, beschreibt die Standesunterschiede bei einer „Landhochzeit“, bei der die ‚braven Leute‘ zwar wie „aus A. Dürers Zeiten“ wirkten, seine Gruppe von Adligen aber „auch meist zu Karrikaturen nicht kräftig genug“ erschien. Er berichtet über Kunstschätze in Kassel, reflektiert über den Ursprung von Elefanten-Fossilien, die ihm besagte Schmähungen eintrugen, und erzählt von seiner Paris-Reise im Winter 1791. Seine Gedanken zur Untrennbarkeit von „Politik, Religion, Moral, Litteratur, Industrie, Komerz, Kultur“ sind von erstaunlicher Aktualität, ebenso wie seine Frage „warum haben wir keinen Stylus mehr im Schreiben, und warum ist nicht mehr die Rede davon?“ Ergänzt wird dieses feine Werk durch Zeichnungen und Aquarelle Mercks, die gelungene Kontrapunkte zu den Briefen setzen. Abgeschlossen wird das Buch durch den schmalen, aber informativen Kommentar der Herausgeberin, der die Einordnung der unterschiedlichen Briefe erleichtert.

Titelbild

Johann Heinrich Merck: Literarische Briefe.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ulrike Leuschner.
Insel Verlag, Berlin 2015.
121 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783458194095

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